II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 219

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WG
24. Das ite Land
schnitt aus:
ter Zeitung
10 uniusth 1911
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Technik brachte nach so #arkem Anteilnahmeheischen die Stim¬
mung des Publikums in Unsicherheit.
Berliner Premièren.
Ein weites Land, die Seele des Mannes ... Es kann mei¬
nes Erachtens psychologisch nichts Folgerichtigeres geben, als
Lessing=Theaier: „Das weite Land“, Tragikomödie in
das Verhalten dieses Ehemannes, der seiner Frau noch eben
Zirkus Schu¬
fünf Akten von Arthur Samnler.
ihre sklavische Treue zum Vorwurf machte und nun ihren Lieb¬
mann: Die Orestie des Arschylos.
haber unter dem Vorwand des Duelles mordet. Aber — das
Folgerichtige ist an sich noch nicht das Künstlerische. Mathe¬
Von Ernst Heilborn.
matik ist für das Organische kein Maßstab. Man könnte und
man muß sagen: erst in der Verquickung logischen Geschehens
Berlin, 15. Oktober.
mit Willkürlichkeiten, erst in dem Durcheinander von Charak¬
terwollen und Schicksalsfügung ist dichterische Wahrheit. Nach
Ein Dichter hat gesprochen. Kein Zweifel, daß Schnitz¬
der kühlen Technik des dritten Aktes aber verliert sich Schnitz¬
lers neue Tragikomödie besser wäre, wenn sie weniger rich¬
ler in das psychologische Experiment. Und das wirkt hier um
tig wäre. Sie ist auch so reich an sehr Gutem.
so peinlicher, als es Sektion am wahrhaft Lebenden bedeutet.
Nun findet sich eine oberflächliche Gesellschaft zusammen,
und oberflächlich sind die Worte, die man wechselt. Das schein¬
Anstelle psychologischer Seelenmalerei bringen die beiden
bar gleichgültige Gespräch aber enthüllt: innere Erlebnisse tun¬
Schlußakte psychologische Demonstration, ja — psychologisches
sich kund und rühren ans Herz, ein lachendes Wort verbirgt
Theater. Es kommt zu einer Seene, in der der Ehemann —
und offenbart die stillen Leiden langer Jahre, was zwei Men¬
wir wissens wohl, er ist tief in seinem Innersten ein brutaler
schen, die die Ehe verband und veruneinigte, im Wechsel der
Bursche
—, einem seiner Freunde ganz heiter zynisch erzählt,
seelischen Jahreszeiten an sich und an einander erfahren, teilt
wie er sich von der Untreue seiner Frau Gewißheit verschaffte
sich in lautlosem Flüstern mit. Ein Meister des Dialogs hat
und wie er sich dabei benahm. Um gleich darauf zu Forderung
diese Cingangsakte geschrieben, der, wie der moderne Maler
des Liebhabers und dem Duell zu schreiten! Ja, ist sich
sein Bild durch die Rahzienschneidung der Figuren verlebendigt,
Schnitzler nicht bewußt, daß er mit solchem seelischen Exhibi¬
dem Gespräch durch die kecke Unterbrechung den Nachhall
tionismus nicht nur in die Charakteristik verwischend eingreift,
sichert. Ein Meister der Stimmungskunft hat hinter dem
sondern auch die Grenze des gesellschaftlich und menschlich !
Spiel weicher Melodien die harten Dissonanzen des Lebens
Wahrscheinlichen überschreitet? Seltsam! seltsam! es ist als
fühlbar gemacht.
hätte Schnitzler selbst im Forigang des Dramas das Verhält¬
Dieser Mann und diese Frau haben einander geliebt, und
nis zu seinen Gestalten verloren, als hätte er sich aus einem
er ist untreu geworden; aus Temperamentsüberschuß, oder
Liebenden in einen Gleichgültigen, vielleicht in einen Hasser
weil das herannahende Alter erlehnisgierig machte, oder viel¬
verwandelt. Es gibt aber keine Dichtung ohne Liebe. Das
leicht auch nur, weil er eine brutale Natur ist. Sie, die ihn
Ehebruchsdrama „Das weite Land“ hat ein seinen Gestalten
liebte und liebt, hat es getragen. Die Versuchung trat auch
gegenüber selbst ehebrecherischer Dichter geschrieben. Aber, ich
an sie heran, aber sie wies sie ab. Aus Treue gegen den¬
wiederhole es, ein Dichter, und einer, der zu unsern Seelen
Untreuen? Wohl mehr aus Treue gegen sich selbst. Der an¬
spricht.
dere aber, der um sie vergeblich geworben, ging in den Tod.
Die Figur des Ehemannes in ihrer eigenen Mischung ele¬
Und wie aus dieser Stimmungsmalerei heraus gibt Schnitz¬
gischen Empfindens und brutaler Instinkte forderte vielleicht
ler die verwegene, starke Szene: der ewig untreue Mann
vor allem den künstlerischen Darsteller. Herr Monnard
mit den Lebemannsallüren macht es seiner Frau zum Vor¬
zog sie ins schauspielerisch Banale und ins menschlich Unfeine
wurf, daß sie seinen Freund in den Tod getrieben, nur um
hinab. Sehe ich von diesem Mißlingen, das freilich folgen¬
des bißchen Scham und Aengstlichkeit willen. Es wäre ihm
schwer war, und der etwas gespreizten Darbietung des Frl.
eine Genugtuung, wäre sie wie er.
Sussin ab, so war die Aufführung des Lessingthea¬
Das macht den Ausschlag. Es fehlt der Frau nicht an
ters in sich künstlerisch reich. Frau Triesch erschien nach
einem neuen Liebhaber, und diesmal gibt sie sich hin. Der
langer Zeit zum erstenmal wieder auf der Bühne, und es war,
Mann bekommt davon Kunde, er überzeugt sich von dem Fehl¬
als vergegenwärtigte ihr Spiel an einer das unendliche Leid
tritt, er sieht den Liebhaber nächtens aus ihrem Fenster stei¬
der vielen Schwestern, an denen Männerleichtsinn zum Ver¬
gen und rührt sich nicht. Tags darauf aber wirft er ihm eine
brecher wird. In Hingabe und Abwehr blieb sie gleich seelen¬
Beleidigung ins Gesicht, er erzwingt das Duell, er schießt ihn
voll. Mit feinen und durchgeistigten Leistungen standen ihr
nieder. Die Seele des Mannes ist ein weites Land.
Frl. Herterich, die Herren Stieler, Reicher, Marr
Zwischen den beiden Eingangsakten und diesen zwei ab¬
zur Seite. In launiger Karikaturistik durften die Herren
schließenden Aufzügen steht der Mittelakt, der episodisch aus¬
Forest und Ziener gefallen. In einer kleinen Episoden¬
holt. Ein Alpenhotel mit allem was drum und drau hängt,
rolle lenkte Herr Froböse die Aufmerksamkeit auf sich.
lustig und geistreich geschildert. Der Ehemann verführt mal
— Ueber die Reinhardtsche Inszenierung der
wieder ein junges Mädchen. Schnitzler selbst ruht sich, nach¬
„Orestie“ nur wenige andeutende Worte. Galt es Schnitz¬
dem er innere Erlebnisse so stimmungsstark gestaltet, bei seiner
gesicherten Technik aus. Mertwürdig nur: diese gesicherte 1 ker gegenüber das Irrationelle in der Kunst zu ketenen, so 18