II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 259

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24. Das Leite and
tiver Leidenschaft noch ungebrochen walten. „Du. mal alle im Schatten und dienen nur dazu, dus
verstehst mich nicht,“ ruft der Held, Friedrich Wesen der Männer in einem gebrochenen Lichte
Hofreiter, im Schlußakt seiner Frau zu, „in widerzuspiegeln. So tragen Form wie Inhalt
mich sieht keiner hinein, keiner!" Er hat sie dieses Werkes etwas unsicher Schwankendes an
Heiselberger Tageblafl.
sich und lassen nur leise jene Schnitzler eigen¬
betrogen, seit Jahren, diese gute und kluge
tümliche Stimmung anklingen, die aus Ironie
Frau, die ihn liebt und darum einen Verehrer
und Wehmut gemischt ist, die äußerlich kalt be¬
in den Tod gehen läßt; nun steht der Tote zwi¬
rechnet und innerlich so leidenschaftlich heiß ist.
schen ihr und ihm, dem Anbeter des Lebens
Die Aufführung war sehr gut, die Aufnahme
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und Genusses; er begreift nicht, warum seine
aber ziemlich kühl, da das Publikum keine Klar¬
Frau ihm treu blieb und jener sterben mußte.
heit über das Wesen des Helden gewinnen
Weiter stürmt er auf seiner Bahn des gierigen
konnte. An dieser Unzulänglichkeit in der Zeich¬
Zugreifens und Festhaltens, verführt ein früh¬
Artur Schnitziers neues Wert.
reif=unreifes Mädel, das sein bester Freund sichnung der Hauptrolle scheiterte auch ihr Dar¬
zur Gattin ersehnt. Aber als seine Frau nunf steller, Heinz Monnard, der mit Irene
Man schreibt uns aus Berlin:
Triesch zusammen die stärkste schauspiele¬
die ihr so oft freigestellte „Revanche“ nimmt
„Die Seele ist ein weites Land“. Unter die¬
rische Leistung des Abends bot. Dr. P. L.
und einen jungen Fähnrich mit ihrer Liebe be¬
sem Motto vereinigt Schnitzler in seinem
glückt, erträgt er es doch nicht, sondern schießt
neuen Drama, der fünfaktigen Tragikomödie
den Liebhaber über den Haufen. Warumk
„Das weite Land“, die am Samstag ihre
Aus einem Rückfall in die alte Konvention, von
Erstaufführung im Lessingtheater er¬
der er sich losgesagt, aus großer Liebe zu seiner
lebte, die Lebenswege und Seelenschicksale einer
Frau, die plötzlich mit Macht durchdringt, aus
ganzen Reihe von Menschen. Ein Ausschnitt
Eitelkeit, um nicht „der Dumme“ zu sein, aus
aus der modernen österreichischen Gesellschaft,
einer Laune, die das Raubtier=Element des
bald im Sommeraufenthalt zu Baden bei Wien,
Ewig=Männlichen erweckt. Von allem diesen
bald in einem fashionablen Tiroler Hotel am
wird etwas angedeutet, und eben dieses schil¬
Völser Weiher, spiegelt sich in einem bunten
lernde Zwiespältige haftet überhaupt dem Cha¬
Kranz von psychologischen Auseinandersetzun¬
rakter und dem Stil des ganzen Dramas an.
gen und anmutigen Causerien, in denen der
Die Gestalt eines Mannes, in dem die alten
Schöpfer des „Anatol“ heute der unerreichte
Instinkte des Geschlechts die Schranken seiner
Meister ist. Diese Kunst der feinen, innerlich
Kultur zertrümmern, ist gewiß eine tieftragische
belebten Dialogführung, getragen von einer
Erscheinung. Schnitzler aber nennt sein Stück
resignierten, tiefsinnig plaudernden Lebensweis¬
„Tragikomödie“ u. rückt dadurch die Gestalten in
heit, muß nun hinweghelfen über die mancher¬
eine ungewißpielerische Beleuchtung. Es ist
lei Schwächen und Rätsel in Handlung und
nun einmal Untreue und rücksichtslose Genu߬
Charakterzeichnung des neuen Werkes. So viel
sucht das Wesen des Mannes, Polygamie sein
man auch noch von dem Feminismus Schnitzlers
Element, seine Tugend Ausleben seiner Kraft:
und seinem Kult des „süßen Mädels“ reden
das sagt auch die Episodengestalt eines anderen
mag, so ist doch längst das eigentliche Problem
„Ungetreuen". Aber wenn der Vertreter die¬
seines Schaffens der Mann geworden, den er
ses Nietzscheschen Urmenschentums seine Ueber¬
in seinem „Einsamen Weg“ und dem „Ruf des
legenheit im Stück stets nur dadurch beweist, 9
Lebens“ in allen schwankenden Zwielichtdäm¬
merungen des „Weiten Landes“ dargestellt. daß er im Tennis siegt, so kommt ein komisch-d
ironischer Zug hinein, der durch die satirische
Diesmal hat er nun noch tiefer in das Wesen
Schilderung der Episodenfiguren noch verstärktil
des stärkeren Geschlechts sich hineinfühlen wol¬
len; es war sein Ziel, bis zu jenem Unergründ=wird. Die Frauen, die Gattin Hofreiters, das
k
lichen, triebhaft Dämonischen der männlichen junge Mädchen, das er verführt, die Mutter des
Psyche vorzudringen, wo die Urkräfte primi=im Duell getöteten Liebhabers, sie stehen dies= 18