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box 28/4
24. Das ite Land
Bergisch-Märkische Ztg., Elberielt
18 10. 1911
Das weite Land.
Tragikömödie von Artur Schntter.
d. Berlin, 16. Okt.
Unser Feuilleton=Mitarbeiter schreibt uns aus Berlin: Man
wußte es, bevor der Vorhang vor dem erlesenen Publikum in
die Höhe ging, daß uns Artur Schnitzler mit seiner neuen
Tragikomödie „„Das weite Land“ keine Ueberraschung brin¬
gen werde. Die Entwicklung dieses Dichters ist schon lange zu
ihrer Erfüllung gekommen, und wird keine neuen Höhen mehr
ersteigen. Aber es wurde auch keine Enttäuschung, dieser hei¬
tere und doch nachdenkliche Weg in die weiten Gefilde der Seele,
denn sie ist das große unbekannte Land, in dem heute noch die
einzigen Wunder geschehen, die kalte Nüchternheit uns gelassen.
Schnitzler stellt einen Führer von weltmännischer Art, dar, der
auf solchen forschenden Reisen mit eleganter Klugheit, wenn dies
Wort erlaubt ist. zu sagen weiß, wie er die Dinge und Menschen
sieht. Es liegt im Wesen solcher Dramen, daß sie kein besonderes
Interesse an einer Handlung haben, die zielstrebend zu ihrer
Vollendung eilt, und daß sie als weitere Folge auch keinen
eigentlichen Helden haben. Allerlei Menschenschicksale werden
gezeigt, die einen nur in einer besonderen Entwicklungsperiode,
die anderen in einem größeren Lebensausschnitt. Manches Ge¬
schick wird bis zu seinem Ende geführt, manches bleibt für uns
ein Fragment. Im Zenit des Geschehens steht die Gestalt des
großen Liebhabers, der mit verändertem Gesicht fast in jedem
Schnitzlerschen Stück zu finden ist, die Anatolfigur. Diesmal
machte der Dichter den Versuch, die Persönlichkeit dieses Helden
tiefer zu erschauen, sie einfach aufgehen zu lassen in einer bunten
Fülle von Liebesgeschichten. Der Industrielle Hofreiter hat ein
viel verschlungenes Seelenleben; er verrät seine Frau, so oft
sein Blut rebellisch wird, und nimmt es ihr keineswegs übel,
wenn sie sich auf dieselbe Weise revanchiert. Er spürt keine Spur
von Eifersucht. Und doch will er nicht „der Dumme“ sein, fordert
den Liebhaber und erschießt ihn! Er kennt keinen Zwang des
Gewissens und trotzdem vermag er über den Toten, den er nicht
gehaßt und doch getötet, seiner Geliebten nicht zu folgen. Sein
Leben zerbricht ihm unter den Händen, da er glaubte, es am feste¬
sten zu halten.
Es sind keine sonderlich tiefbohrenden Probleme und Erkennt¬
nisse, die Schnitzler da aufgegriffen hat, aber er hat eine seltene
Art, alte Dinge in moderner Form neu zu sagen. Die klassische
Tragödie wußte mit dem Pathos erschütternd zu wirken. Das
Gesellschaftsdrama unserer Tage wird keinen Konflikten aus dem
Wege gehen, die man früher behandelt, doch sie wird die Leiden¬
schaften in verschwiegener Seele ihren Kampf auskämpfen lassen,
und innerer Bewegung nur geringen äußeren Ausdruck geben.
Es ist ein heiteres Stück, das Schnitzler da gegeben hat, und eine
frohe Stimmung lag über dem Theater. Unter glatter Decke be¬
reitet sich so die Katastrophe vor, bis sie plötzlich hereinbricht,
mit wenig theatralischen Requisiten, ohne Pose ein paar kurze
Worte, Achselzucken, und die tragische Komödie eines Lebens fand
ihr Ende. Ein Drama also von wenig äußerem Glanz, aber von
einer guten und starken Innerlichkeit.
Das Lessingtheater brachte eine Darstellung heraus,
die restlos alle Möglichkeiten ausschöpfte und — als Ganzes ge¬
schehen — kaum einen Wunsch offen ließ. Selbst die kleinsten
Rollen waren von besten Kräften besetzt — so hatte Emanuel
Reicher kaum hundert Worte zu sprechen — und es ergab sich
eine Aufführung von einer aufs seinste abgestimmten Einheit¬
lichkeit. Man hat Unrecht, wenn man einige Namen heraus¬
greist; die größeren Rollen wurden von Heinz Monnard,
Irene Triesch und Hilde Herterich getragen.
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24. Das ite Land
Bergisch-Märkische Ztg., Elberielt
18 10. 1911
Das weite Land.
Tragikömödie von Artur Schntter.
d. Berlin, 16. Okt.
Unser Feuilleton=Mitarbeiter schreibt uns aus Berlin: Man
wußte es, bevor der Vorhang vor dem erlesenen Publikum in
die Höhe ging, daß uns Artur Schnitzler mit seiner neuen
Tragikomödie „„Das weite Land“ keine Ueberraschung brin¬
gen werde. Die Entwicklung dieses Dichters ist schon lange zu
ihrer Erfüllung gekommen, und wird keine neuen Höhen mehr
ersteigen. Aber es wurde auch keine Enttäuschung, dieser hei¬
tere und doch nachdenkliche Weg in die weiten Gefilde der Seele,
denn sie ist das große unbekannte Land, in dem heute noch die
einzigen Wunder geschehen, die kalte Nüchternheit uns gelassen.
Schnitzler stellt einen Führer von weltmännischer Art, dar, der
auf solchen forschenden Reisen mit eleganter Klugheit, wenn dies
Wort erlaubt ist. zu sagen weiß, wie er die Dinge und Menschen
sieht. Es liegt im Wesen solcher Dramen, daß sie kein besonderes
Interesse an einer Handlung haben, die zielstrebend zu ihrer
Vollendung eilt, und daß sie als weitere Folge auch keinen
eigentlichen Helden haben. Allerlei Menschenschicksale werden
gezeigt, die einen nur in einer besonderen Entwicklungsperiode,
die anderen in einem größeren Lebensausschnitt. Manches Ge¬
schick wird bis zu seinem Ende geführt, manches bleibt für uns
ein Fragment. Im Zenit des Geschehens steht die Gestalt des
großen Liebhabers, der mit verändertem Gesicht fast in jedem
Schnitzlerschen Stück zu finden ist, die Anatolfigur. Diesmal
machte der Dichter den Versuch, die Persönlichkeit dieses Helden
tiefer zu erschauen, sie einfach aufgehen zu lassen in einer bunten
Fülle von Liebesgeschichten. Der Industrielle Hofreiter hat ein
viel verschlungenes Seelenleben; er verrät seine Frau, so oft
sein Blut rebellisch wird, und nimmt es ihr keineswegs übel,
wenn sie sich auf dieselbe Weise revanchiert. Er spürt keine Spur
von Eifersucht. Und doch will er nicht „der Dumme“ sein, fordert
den Liebhaber und erschießt ihn! Er kennt keinen Zwang des
Gewissens und trotzdem vermag er über den Toten, den er nicht
gehaßt und doch getötet, seiner Geliebten nicht zu folgen. Sein
Leben zerbricht ihm unter den Händen, da er glaubte, es am feste¬
sten zu halten.
Es sind keine sonderlich tiefbohrenden Probleme und Erkennt¬
nisse, die Schnitzler da aufgegriffen hat, aber er hat eine seltene
Art, alte Dinge in moderner Form neu zu sagen. Die klassische
Tragödie wußte mit dem Pathos erschütternd zu wirken. Das
Gesellschaftsdrama unserer Tage wird keinen Konflikten aus dem
Wege gehen, die man früher behandelt, doch sie wird die Leiden¬
schaften in verschwiegener Seele ihren Kampf auskämpfen lassen,
und innerer Bewegung nur geringen äußeren Ausdruck geben.
Es ist ein heiteres Stück, das Schnitzler da gegeben hat, und eine
frohe Stimmung lag über dem Theater. Unter glatter Decke be¬
reitet sich so die Katastrophe vor, bis sie plötzlich hereinbricht,
mit wenig theatralischen Requisiten, ohne Pose ein paar kurze
Worte, Achselzucken, und die tragische Komödie eines Lebens fand
ihr Ende. Ein Drama also von wenig äußerem Glanz, aber von
einer guten und starken Innerlichkeit.
Das Lessingtheater brachte eine Darstellung heraus,
die restlos alle Möglichkeiten ausschöpfte und — als Ganzes ge¬
schehen — kaum einen Wunsch offen ließ. Selbst die kleinsten
Rollen waren von besten Kräften besetzt — so hatte Emanuel
Reicher kaum hundert Worte zu sprechen — und es ergab sich
eine Aufführung von einer aufs seinste abgestimmten Einheit¬
lichkeit. Man hat Unrecht, wenn man einige Namen heraus¬
greist; die größeren Rollen wurden von Heinz Monnard,
Irene Triesch und Hilde Herterich getragen.