II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 261

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24. Das Land
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isschnitt ausiHAZER TAGBLATT
S 10. 19-
im:
„„ Das weite Land“.) über Schnitlers
Tragikomödie „Das weite Land“ die letzten Sonn¬
band außer am Hofburgtheater zugleich noch an
tehreren Bühnen Deutschlands ihre Erstauf¬
ührung erlebte, erfährt man von Berlin recht
nteressante Urteile, die sehr von den Überhebungs¬
versuchen bezüglich Wert und Erfolg des Stückes
eitens der Wiener Judenpresse abweichen. Die
„Vossische Zeitung“ schreibt unter anderem:
„Schnitzlers Produktion, über die man als Gesamt¬
titel den seines ersten Dramas „Liebelei“ schreibens!
könnte, fängt an, etwas Fett anzusetzen. Sie ist )
durch Inzucht erschlafft, durch Wiederholung der
Motive, die immer wieder dieselbe weibliche, ver¬
dorbene und verspielte Gesellschaft liefert. Schnitz¬“
ler ist mit fünf langen Akten um sie herumgegan¬
gen, hat eine ziemlich vollständige Revue über seine
Lieblingstypen abgehalten vom einfachen Trottel
bis zu dem illusionslosen Lebemann.“ — Fernersb
heißt es: „Was also tragisch sein soll an der d
Situation des Lebemannes in grauen Haaren oder
an dem Konflikt dieser Ehe von zwei Menschen,
si
die sich nicht finden können, das hat die Leutesn
nicht allzusehr betrübt. Man hielt sich lieber an die u
Konversation, die von Schnitzler'schem Geiste nicht
geradezu sprudelt, die aber unablässig in der be¬ d
kannten elegischen Frivolität durch die fünf Akteije
rinnt.“ — Die „Deutsche Tageszeitung“ sagt:
„Leider genügt dem Dichter die so erzielte Fülle ##
der Gesichte nicht. Er leistet sich als Nebenthema
und um die Bezeichnung seines Werkes als Tragi= N
komödie besser zu rechtfertigen, noch allerhand kleine
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Gesellschaftssatire: die Verhöhnung der Tennis= (#
fexerei, niedliche Witzchen über Rucksacktouristen2
und dergleichen mehr. Gewiß ist das höchst fidel g
und reizt zum Lachen, aber mit dem angeschnittenen
Problem hat es wenig zu tun. Der Theaterabend
wird durch diese ausgiebigen, sehr geschwätzigen
Spasseteln über Gebühr verlängert, die aufgewor¬
fene Frage selbst jedoch in den Hintergrund ge¬
drängt. Wir wollen hören, was der Menschenkenner
Schnitzler Traurig=Lustiges über das Süßeste und
Wichtigste des Daseins, die Liebe, zu sagen hat —
statt dessen wetteifert er mit Blumenthal und
schreibt einen neuen Akt zum „Weißen Rößl““
Wie aus Hamburg berichtet wird, war dort der
Tragikomödie nur ein Achtungserfolg beschieden.
(Jubiläums=Stadttheater in Klagenfurt.) Durch
ein übersehen der Setzerei wurde der gestrigen
Theaterbesprechung die Merke des Einsenders nicht
beigefügt. Es sei daher nachgetragen, daß die Be¬
sprechung mit H. L. gezeichnet war.
.
w.Tork, Faris, Kom, San Francisco, Stockholn, St P##sse¬
burg, Toronto.
Urellanengabe — Geutl.)
sschnitt aus küsts“
1 7911
Theater.
Arthur Schnitzlers neues Werk.
Man schreibt uns aus Berlin: „Die
Seele ist ein weites Land“. Unter diesem
Motto vereinigt Schnitzler in seinem
neuen Drama, der fünfaktigen Tragi¬
komödie „Das weite Land“, die am
Samstag ihre Erstaufführung im Les¬
singtheater erlebte, die Lebenswege
und Seelenschicksale einer ganzen Reihe von
Menschen. Ein Ausschnitt aus der modernen
österreichischen Gesellschaft, bald im Som¬
meraufenthalt zu Baden bei Wien, bald in
einem fashionablen Tiroler Hotel am
Völser Weiher, spiegelt sich in einem bunten
Kranz von psychologischen Auseinander¬
setzungen und anmutigen Causerien, in
denen der Schöpfer des „Anatol“ heut der
unerreichte Meister ist. Diese Kunst der
feinen, innerlich belebten Dialogführung,
getragen von einer resignierten, tiefsinnig
plaudernden Lebensweisheit, muß nun hin¬
weghelfen über die mancherlei Schwächen
und Rätsel in Handlung und Charakter¬
zeichnung des neuen Werkes. So viel man
auch noch von dem Feminismus Schnitzlers
und seinem Kult des „süßen Mädels“ reden
mag, so ist doch längst das eigentliche
Problem seines Schaffens der Mann ge¬
worden, den er in seinem „einsamen Weg“.
und dem „Ruf des Lebens“ in allen schwan¬
kenden Zwielichtdämmerungen des „weiten
Landes“ dargestellt. Diesmal hat er nun
noch tiefer in das Wesen des stärkeren Ge¬
schlechtes sich hineinfühlen wollen; es war
sein Ziel, bis zu jenem Unergrundlichen,
triebhaft Dämonischen der männlichen
Psyche vorzudringen, wo die Urkräfte pri¬
mitiver Leidenschaft noch ungebrochen wal¬
ten. „Du verstehst mich nicht“ ruft der
Held, Friedrich Hofreiter, im Schlußakt
seiner Frau zu, „in mich sieht keiner hinein,
keiner!“ Er hat sie betrogen, seit Jahren,
diese gute und kluge Frau, die ihn liebt
und darum einen Verehrer in den Tod gehen
läßt; nun steht für ihn, den Anbeter des
Lebens und Genusses, der Tote zwischen
ihnen; er begreift nicht, warum seine Frau
ihm treu blieb und jener sterben mußte.
Weiter stürmt er auf seiner Bahn des gie¬
rigen Ergreifens und Festhaltens, verführt
ein frühreif unreifes Mädel, das sein bester
Freund sich zur Gattin ersehnt. Aber als
seine Frau nun die ihr so oft freigestellte
„Revanche“ nimmt und einen jungen Fähn¬
rich mit ihrer Liebe beglückt, erträgt er es
doch nicht, sondern schießt den Liebhaber
über den Hafen. Warum? Aus einem Rück¬
fall in die alte Konvention, von der er sicht
losgesagt, aus Liebesleidenschaft zu seiner
Frau, die plötzlich mit Macht durchbricht, aus
Eitelkeit, um nicht „der Dumme“ zu sein,
aus einer Laune, die das Raubtier=Element
des Ewig=Männlichen erweckt?
Von allem diesen wird etwas angedeutel
und eben dieses schillernde Zwiespäl¬
tige haftet überhaupt dem Charakter und
dem Stil des ganzen Dramas an. Die
Gestalt eines Mannes, in dem die alten
Instinkte des Geschlechtes die Schranken
seiner Kultur zertrümmern, ist gewiß eine¬
tieftragische Erscheinung. Schnitzler aber