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24. Das veite Land
restlos es am Ende aufgelöst wird, doch von jener Hyper¬
modernität, die mit dem Dekadenten schon innig verwandt ist.
Solch komplizierte Gefühle, wie sie der im Grunde blasierte und
dennoch an ewig neuen Johannistrieben leidende: Hofreiter
empfindet, taugen wohl für den Roman, nicht aber für das
Theater. Sie bleiben auf der Bühne unverstanden, sie können
keine Resonanz im Puvlikum finden, da sie sich nicht auf geradem
Wege entwickeln, sondern auf Zickzackwegen einherirren. Es
gibt Dialoge in diesem Stück, denen ich mit inniger Anteilnahme
und Freude folgte, und dennoch muß ich gestehen, daß ich mir
über den gefühlsmäßigen Urquell von Hofreiters Handlungen
nicht klar geworden bin. Ich weiß nicht, ob er den jungen Ge¬
liebten seiner Frau aus Eifersucht fordert oder nur, um äußerlich
seine Ehre zu reparieren. Alle Figuren des Stückes sind durch und
durch Wiener, wenn man will, sogar Oesterreicher im weiteren
Sinne, aber nie und nimmer in Dettschland möglich. Wie ge¬
rade das Hamburger Publikum mit diesen Menschen sympathi¬
sieren konnte, wie es sie auch nur vestand, wird mir ein ewiges
Rätsel bleiben. In Leipzig, in Hanwver, in Frankfurt hat die
Zuhörerschaft jedenfalls kein Verhäldis zu ihnen gewonnen.
Sechs Menschen, zwei Ehepaare ung zwei junge, frische ledige
flirten so lange kreuz und quer, bis eine gewaltsame
öslng sich als zwügende Notwendigkeit auf¬
brängt. Es kommt zum Duell, die ibermannreife Blasiertheit
fiegt, und die Jugend muß für ihr erste erotisches Wagnis büßen.
Warum eigentlich? Warum nicht ungekehrt? Der Zufall im
Duell hat so entschieden: gegen die Thaterlogik. Ob es nicht am
Ende nicht der Zufall des Gottesgericht, sondern die planmäßige
Tendenz des Dichters war, der um jden Preis originell sein
wollte? Wir wissen nicht, wie sich Kofreiters Frau mit dem
Leben und ihren Gewissensfragen abgfunden hätte, wenn ihre
Untreue das Leben ihres Gatten gefordet hätte. Die menschliche
Seele ist „ein weites Land“ Um dies zu beweisen, bedurfte es
einer fünfaktigen Tragikomöhie. Begebei wir uns erst auf diese
Aussichtswarte, betrachten wer das Lebei einmal erst von diesem
Punkt, dann wird das Unmöglichste zur Möglichkeit und all¬
Wunderdinge der Welt zur Banalität Daß die menschliche Seele
ein weites Land ist, gilt in diesem Sinne nicht als These sondern
als Entschuldigung für psychologische Unwayrscheinlichkeiten.
Gespielt wurde mit meisterlicher Vollendung. Emil Lessings
für Werke mit psychologischen Untertönen geradezu klassische
Regie wuchs hier über eigene frühere Meisterleistungen hinaus.
Nur ein grotesker Aktschluß nach Hofreiters Liebeserklärung an
Erna störte diese Stimmung. Sonst hatte man das Gefühl, daß
nie und nirgends in Berlin besser gespielt werden kann, als im
Lessingtheater Irene Triesch fand sich mit der passiven
Rolle der Genia mit künstlerisch fein abgetöntem Takt ab, Fräu¬
lein Hilde Herterich brachte die schwüle Atmosphäre der sinn¬
lichen Szene berückend zum Ausdruck, Heinz Monnard spielte #t#
den verworrenen Gefühlen der Hauptfigur mit so fein cachier¬
ster Virtuosität, daß man beinahe an ein Erleben glauben konnte.
und Emanuel Reicher gab im Dr. von Aioner eine durchaus
Ausschnitt aus:
19 r. 1917 Napló, Budapest
vom:
(°) Schnitzler ui darabja, Berlinböl täviratozzük:
A Lessing-szinhazban oktöber 18-An mutatjäk be
Schnitzler ui drämäjät, amelynek cime: „Das weite
and“, Ugyanazon a napon lesz a müncheni Hof¬
theaterben és a bécsi Burgszinhäzban is a darat
220
premièrie.
originelle in sich geschlossene Gestalt. Hans Marr hat als
Doktor Mauer vielleicht die passivste der passiven Rollen zu
spielen, aber die innerlichen Leiden des reinen, korrekten Man¬
nes traten trotz aller Diskretion so klar in die Erscheinung, daß
die an sich wenig sagende Figur dem Zuschaner in Uoendigem
Gedächtnis bleiben mußte.
Man Jalan Mihn. Gurtir.
19.10.44
II. Arthur Schnitzler.-Das weite
Land: Tragikömodie in fünf Akten.
Lessingtheater.
Oaeo
Was hier tragisch sein soll,
I.
das hat die Leute nicht allzusehr be¬
trübt. Man hielt sich lieber an die
Konversation.
Jurian L####in
2. Der Dichter ist mehr Erklärer
als Bildner, er sagt uns, was er
uns lebendig zeigen sollte.
Pab Augrigne
3. Man findet kaum Beziehungen
zu einer Komödie, die so völlig auf
Spitzfindigkeiten gestellt ist.
AlegaupO
Die Vorgänge, von einem un¬
vergleichlich gewandten Schachspieler
durcheinandergeschoben, werden von
einer Kette der liebenswürdigsten
und geistreichsten Dialoge geschmückt.
Jag-Clull,
Das Problem ist tadellos ge¬
stellt und tadellos gelöst. Nan
stimmt zu, aber man wird nicht
warm.
24. Das veite Land
restlos es am Ende aufgelöst wird, doch von jener Hyper¬
modernität, die mit dem Dekadenten schon innig verwandt ist.
Solch komplizierte Gefühle, wie sie der im Grunde blasierte und
dennoch an ewig neuen Johannistrieben leidende: Hofreiter
empfindet, taugen wohl für den Roman, nicht aber für das
Theater. Sie bleiben auf der Bühne unverstanden, sie können
keine Resonanz im Puvlikum finden, da sie sich nicht auf geradem
Wege entwickeln, sondern auf Zickzackwegen einherirren. Es
gibt Dialoge in diesem Stück, denen ich mit inniger Anteilnahme
und Freude folgte, und dennoch muß ich gestehen, daß ich mir
über den gefühlsmäßigen Urquell von Hofreiters Handlungen
nicht klar geworden bin. Ich weiß nicht, ob er den jungen Ge¬
liebten seiner Frau aus Eifersucht fordert oder nur, um äußerlich
seine Ehre zu reparieren. Alle Figuren des Stückes sind durch und
durch Wiener, wenn man will, sogar Oesterreicher im weiteren
Sinne, aber nie und nimmer in Dettschland möglich. Wie ge¬
rade das Hamburger Publikum mit diesen Menschen sympathi¬
sieren konnte, wie es sie auch nur vestand, wird mir ein ewiges
Rätsel bleiben. In Leipzig, in Hanwver, in Frankfurt hat die
Zuhörerschaft jedenfalls kein Verhäldis zu ihnen gewonnen.
Sechs Menschen, zwei Ehepaare ung zwei junge, frische ledige
flirten so lange kreuz und quer, bis eine gewaltsame
öslng sich als zwügende Notwendigkeit auf¬
brängt. Es kommt zum Duell, die ibermannreife Blasiertheit
fiegt, und die Jugend muß für ihr erste erotisches Wagnis büßen.
Warum eigentlich? Warum nicht ungekehrt? Der Zufall im
Duell hat so entschieden: gegen die Thaterlogik. Ob es nicht am
Ende nicht der Zufall des Gottesgericht, sondern die planmäßige
Tendenz des Dichters war, der um jden Preis originell sein
wollte? Wir wissen nicht, wie sich Kofreiters Frau mit dem
Leben und ihren Gewissensfragen abgfunden hätte, wenn ihre
Untreue das Leben ihres Gatten gefordet hätte. Die menschliche
Seele ist „ein weites Land“ Um dies zu beweisen, bedurfte es
einer fünfaktigen Tragikomöhie. Begebei wir uns erst auf diese
Aussichtswarte, betrachten wer das Lebei einmal erst von diesem
Punkt, dann wird das Unmöglichste zur Möglichkeit und all¬
Wunderdinge der Welt zur Banalität Daß die menschliche Seele
ein weites Land ist, gilt in diesem Sinne nicht als These sondern
als Entschuldigung für psychologische Unwayrscheinlichkeiten.
Gespielt wurde mit meisterlicher Vollendung. Emil Lessings
für Werke mit psychologischen Untertönen geradezu klassische
Regie wuchs hier über eigene frühere Meisterleistungen hinaus.
Nur ein grotesker Aktschluß nach Hofreiters Liebeserklärung an
Erna störte diese Stimmung. Sonst hatte man das Gefühl, daß
nie und nirgends in Berlin besser gespielt werden kann, als im
Lessingtheater Irene Triesch fand sich mit der passiven
Rolle der Genia mit künstlerisch fein abgetöntem Takt ab, Fräu¬
lein Hilde Herterich brachte die schwüle Atmosphäre der sinn¬
lichen Szene berückend zum Ausdruck, Heinz Monnard spielte #t#
den verworrenen Gefühlen der Hauptfigur mit so fein cachier¬
ster Virtuosität, daß man beinahe an ein Erleben glauben konnte.
und Emanuel Reicher gab im Dr. von Aioner eine durchaus
Ausschnitt aus:
19 r. 1917 Napló, Budapest
vom:
(°) Schnitzler ui darabja, Berlinböl täviratozzük:
A Lessing-szinhazban oktöber 18-An mutatjäk be
Schnitzler ui drämäjät, amelynek cime: „Das weite
and“, Ugyanazon a napon lesz a müncheni Hof¬
theaterben és a bécsi Burgszinhäzban is a darat
220
premièrie.
originelle in sich geschlossene Gestalt. Hans Marr hat als
Doktor Mauer vielleicht die passivste der passiven Rollen zu
spielen, aber die innerlichen Leiden des reinen, korrekten Man¬
nes traten trotz aller Diskretion so klar in die Erscheinung, daß
die an sich wenig sagende Figur dem Zuschaner in Uoendigem
Gedächtnis bleiben mußte.
Man Jalan Mihn. Gurtir.
19.10.44
II. Arthur Schnitzler.-Das weite
Land: Tragikömodie in fünf Akten.
Lessingtheater.
Oaeo
Was hier tragisch sein soll,
I.
das hat die Leute nicht allzusehr be¬
trübt. Man hielt sich lieber an die
Konversation.
Jurian L####in
2. Der Dichter ist mehr Erklärer
als Bildner, er sagt uns, was er
uns lebendig zeigen sollte.
Pab Augrigne
3. Man findet kaum Beziehungen
zu einer Komödie, die so völlig auf
Spitzfindigkeiten gestellt ist.
AlegaupO
Die Vorgänge, von einem un¬
vergleichlich gewandten Schachspieler
durcheinandergeschoben, werden von
einer Kette der liebenswürdigsten
und geistreichsten Dialoge geschmückt.
Jag-Clull,
Das Problem ist tadellos ge¬
stellt und tadellos gelöst. Nan
stimmt zu, aber man wird nicht
warm.