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24. Das veite Land
schaft noch ungebrochen walten. „Du verstehsts gut, die Aufnahme aber ziemlich kühl, da das
mich nicht,“ ruft der Held, Friedrich Hofreiter,
Publikum keine Klarheit über das Wesen des
im Schlußakt seiner Frau zu, „in mich sieht
Helden gewinnen konnte. An dieser Unzu¬
keiner hinein, keiner!“ Er hat sie betrogen,
länglichkeit in der Zeichnung der Hauptrolse
seit Jahren, diese gute und kluge Frau, die
scheiterte auch ihr Darsteller, Heinz Monnark,
ihn liebt und darum einen Verehrer in den Tod
der mit Irene Triesch zusammen die stärkste
gehen läßt; nun steht der Tote zwischen ihnen;
schauspielerische Leistung des Abends bot.
er begreift nicht, warum seine Frau ihm treu
Dr. P.L.
blieb und jener sterben mußte. Weiter stürmt
Wunen, eruplett, pienvern
er auf seiner Bahn des gierigen Zugreifens
und Festhaltens, verführt ein frühreif unreifes
Mädel, das sein bester Freund sich zur Gattin
ersehnt. Aber als seine Frau nun die ihr so
oft freigestellte „Revanche“ nimmt und einen
19.Okt 1911
jungen Fähnrich mit ihrer Liebe beglückt, er¬
trägt er es doch nicht, sondern schießt den Lieb¬
haber über den Haufen. Warum? Aus einem
Rückfall in die alte Konvention, von der er
Berliner Theaterbrief.
sich losgesag, aus großer Liebe zu seiner Frau,
die plötzlich mit Macht durchbricht, aus Eitel¬
Arthur Schnitzlers neues Werk.
keit, um nicht „der Dumme“ zu sein, aus einer
Man schreibt uns aus Berlin: „Die Seele
Laune, die das Raubtier=Element des Ewig¬
ist ein weites Land.“ Unter diesem Motto ver¬
Männlichen erweckt? Von allem diesen wird
einigt Schnitzler in seinem neuen Drama, der
etwas angedeutet und eben dieses schillernde
fünfaktigen Trag komödie „Das weite Land“.
Zwiespältige haftet überhaupt dem Charakter
die am Sonnabend ihre Erstaufführung im
und dem Stil des ganzen Dramas an. Die
Lessingtheater erlebte, die Lebenswege und
Gestalt eines Mannes, in dem die alten In¬
Seelenschicksale einer ganzen Reihe von Men¬
stinkte des Geschlechts die Schranken seiner Kul¬
schen. Ein Ausschnitt aus der modernen öster¬
tur zertrümmern, ist gewiß eine tieftragische
reichischen Gesellschaft, bald im Sommerausent¬
Erscheinung. Schnitzler aber nennt sein Stück
halt zu Baden bei Wien, bald in einem fashio¬
„Tragikomödie“ und rückt dadurch die Gestalten
nablen Tiroler Hotel am Völser Weiher,
in eine ungewiß spielerische Beleuchtung. Es
spiegelt sich in einem bunten Kranz von psycho¬
ist nun einmal Untreue und rücksichtslose Ge¬
logischen Auseinandersetzungen und anmutigen
nußsucht das Wesen des Mannes. Polygamie
Cauferien, in denen der Schöpfer des „Anatol“.
sein Element, seine, Tugend Ausleben seiner
heut der unerreichte Meister ist. Diese Kunst
Kraft; das sagt auch die Episodengestalt eines
der einen, innerlich belebten Dialogführung,
andern „Ungetreuen“. Aber wenn der Ver¬
getragen von einer resignierten, tiefsinnig plau¬
treter dieses Nietzscheschen Uebermenschtums
dernden Lebensweisheit, muß nun hinweg¬
seine Ueberlegenheit im Stück stets nur dadurch
helfen über die mancherlei Schwächen und
beweist, daß er im Tennis siegt, so kommt ein
Rätsel in Handlung und Charakterzeichnung
komisch ironischer Zug hinein, der durch die
des neuen Werkes. So viel man auch noch
satirische Schilderung der Episodenfiguren noch“
gem Hemmiomns Schnitzters und seinem
verstärkt wird. Die Frauen, die Gattin Hof¬
Kult des „süßen Mädels“ reden mag, so i
reiters, das junge Mädchen, die Mutter des
doch längst das eigentliche Problem seines
im Duell getöteten Liebhabers, sie stehen dies¬
Schaffens der Mann geworden, den er in seinem
mal alle im Schatten und dienen nur dazu,
geinsamen Weg“ und dem „Ruf des Lebens“
das Wesen der Männer in einem gebrochenen
in allen schwankenden Zwielichtdämmerungen
Lichte widerzuspiegeln. So tragen Form wie
des „weiten Landes“ dargestellt. Diesmal hat
Inhalt dieses Werkes etwas unsicher Schwan¬
er nun noch tiefer in das Wesen des stärkeren
kendes in sich und lassen nur leise jene Schnitz¬
Geschlechtes sich hineinfühlen wollen; es wax,
ler eigentümliche Stimmung anklingen, die
sein Ziel, bis zu jenem Unergründlichen, trieb¬
aus Ironie und Wehmut gemischt ist, die
haft Dämonischen der männlichen Psyche vor¬
äußerlich kalt berechnet und innerlich so leiden¬
#ndringen, wo die Urkräfte primitiver Leiden= schaftlich heiß ist. Die Aufführung war sehr
24. Das veite Land
schaft noch ungebrochen walten. „Du verstehsts gut, die Aufnahme aber ziemlich kühl, da das
mich nicht,“ ruft der Held, Friedrich Hofreiter,
Publikum keine Klarheit über das Wesen des
im Schlußakt seiner Frau zu, „in mich sieht
Helden gewinnen konnte. An dieser Unzu¬
keiner hinein, keiner!“ Er hat sie betrogen,
länglichkeit in der Zeichnung der Hauptrolse
seit Jahren, diese gute und kluge Frau, die
scheiterte auch ihr Darsteller, Heinz Monnark,
ihn liebt und darum einen Verehrer in den Tod
der mit Irene Triesch zusammen die stärkste
gehen läßt; nun steht der Tote zwischen ihnen;
schauspielerische Leistung des Abends bot.
er begreift nicht, warum seine Frau ihm treu
Dr. P.L.
blieb und jener sterben mußte. Weiter stürmt
Wunen, eruplett, pienvern
er auf seiner Bahn des gierigen Zugreifens
und Festhaltens, verführt ein frühreif unreifes
Mädel, das sein bester Freund sich zur Gattin
ersehnt. Aber als seine Frau nun die ihr so
oft freigestellte „Revanche“ nimmt und einen
19.Okt 1911
jungen Fähnrich mit ihrer Liebe beglückt, er¬
trägt er es doch nicht, sondern schießt den Lieb¬
haber über den Haufen. Warum? Aus einem
Rückfall in die alte Konvention, von der er
Berliner Theaterbrief.
sich losgesag, aus großer Liebe zu seiner Frau,
die plötzlich mit Macht durchbricht, aus Eitel¬
Arthur Schnitzlers neues Werk.
keit, um nicht „der Dumme“ zu sein, aus einer
Man schreibt uns aus Berlin: „Die Seele
Laune, die das Raubtier=Element des Ewig¬
ist ein weites Land.“ Unter diesem Motto ver¬
Männlichen erweckt? Von allem diesen wird
einigt Schnitzler in seinem neuen Drama, der
etwas angedeutet und eben dieses schillernde
fünfaktigen Trag komödie „Das weite Land“.
Zwiespältige haftet überhaupt dem Charakter
die am Sonnabend ihre Erstaufführung im
und dem Stil des ganzen Dramas an. Die
Lessingtheater erlebte, die Lebenswege und
Gestalt eines Mannes, in dem die alten In¬
Seelenschicksale einer ganzen Reihe von Men¬
stinkte des Geschlechts die Schranken seiner Kul¬
schen. Ein Ausschnitt aus der modernen öster¬
tur zertrümmern, ist gewiß eine tieftragische
reichischen Gesellschaft, bald im Sommerausent¬
Erscheinung. Schnitzler aber nennt sein Stück
halt zu Baden bei Wien, bald in einem fashio¬
„Tragikomödie“ und rückt dadurch die Gestalten
nablen Tiroler Hotel am Völser Weiher,
in eine ungewiß spielerische Beleuchtung. Es
spiegelt sich in einem bunten Kranz von psycho¬
ist nun einmal Untreue und rücksichtslose Ge¬
logischen Auseinandersetzungen und anmutigen
nußsucht das Wesen des Mannes. Polygamie
Cauferien, in denen der Schöpfer des „Anatol“.
sein Element, seine, Tugend Ausleben seiner
heut der unerreichte Meister ist. Diese Kunst
Kraft; das sagt auch die Episodengestalt eines
der einen, innerlich belebten Dialogführung,
andern „Ungetreuen“. Aber wenn der Ver¬
getragen von einer resignierten, tiefsinnig plau¬
treter dieses Nietzscheschen Uebermenschtums
dernden Lebensweisheit, muß nun hinweg¬
seine Ueberlegenheit im Stück stets nur dadurch
helfen über die mancherlei Schwächen und
beweist, daß er im Tennis siegt, so kommt ein
Rätsel in Handlung und Charakterzeichnung
komisch ironischer Zug hinein, der durch die
des neuen Werkes. So viel man auch noch
satirische Schilderung der Episodenfiguren noch“
gem Hemmiomns Schnitzters und seinem
verstärkt wird. Die Frauen, die Gattin Hof¬
Kult des „süßen Mädels“ reden mag, so i
reiters, das junge Mädchen, die Mutter des
doch längst das eigentliche Problem seines
im Duell getöteten Liebhabers, sie stehen dies¬
Schaffens der Mann geworden, den er in seinem
mal alle im Schatten und dienen nur dazu,
geinsamen Weg“ und dem „Ruf des Lebens“
das Wesen der Männer in einem gebrochenen
in allen schwankenden Zwielichtdämmerungen
Lichte widerzuspiegeln. So tragen Form wie
des „weiten Landes“ dargestellt. Diesmal hat
Inhalt dieses Werkes etwas unsicher Schwan¬
er nun noch tiefer in das Wesen des stärkeren
kendes in sich und lassen nur leise jene Schnitz¬
Geschlechtes sich hineinfühlen wollen; es wax,
ler eigentümliche Stimmung anklingen, die
sein Ziel, bis zu jenem Unergründlichen, trieb¬
aus Ironie und Wehmut gemischt ist, die
haft Dämonischen der männlichen Psyche vor¬
äußerlich kalt berechnet und innerlich so leiden¬
#ndringen, wo die Urkräfte primitiver Leiden= schaftlich heiß ist. Die Aufführung war sehr