box 28/4
24. Das weite Land
Ausschnitt ausfeneralanzeiger für Düsseldorf
Düsseldorf
27 10.191
vom:
1
W
Sudermann und Verwandtes.
Die Grenzen seiner Persönlichkeit läßt der Dichter
gestellten Gattin Lykons und Pflegevater von Lykons
freilich auch hier, gerade hier erkennen, indem er seinen
(Zu den Uraufführungen von Sudermann
adelig geratenen zwei Kindern. Nichtsdestoweniger hat
Feldherrn viel vom Sieg im mehr oder minder äußeren
und Schni#!
Arratos — töricht=raffiniert! — jede Nennung von
ebesnpenhetneg
Sinn reden, jedoch wenig von innerer Fülle offenbaren
Aus Berlii Erganzung unserer Draht¬
Lykons Namen strengstens verboten! Da, gerade am
läßt. Ja, das Werk ist geradezu aufgebaut auf heißer
meldung über Sudermanns jüngstes Werk geschrieben:
zehnten Jahrestag jenes angeblich von Arratos errun¬
Sehnsucht nach weltlichem Erfolg, auf heftiger Angst vor
Trotz allem, was seit mehr als einem Jahrzehnt an
genen Siegs, der gleichbedeutend ist mit des Arratos
dem Vergessenwerden, Sudermann erfindet im ersten
Sudermann genörgelt ward, sind die Sudermann¬
Regierungs=Antritt — gerade da taucht in Syrakus ein
der sechs Akte, im „Vorspiel“, eine allegorische Flügel¬
Premieren in Berlin doch immer noch „große Abende“
elender, geschundener, blinder Bettler auf, der da be¬
gestalt, die mit der Keule auf schlafende Krieger hinweist
37
der Spielzeit. Allerdings sind sie aus künstlerischen Er¬
hauptet, Kunde zu bringen von Lykons letzten Schick¬
und sich als einen bösartigen Bruder des Todes bekennt:
eignissen allgemach gesellschaftliche geworden.
salen. Der Bettler ist Lykon oder vielmehr sein schlechter= w
als den radikalsten Auslöscher menschlichen Lebens, als
Die anspruchsvollsten Kenner und Liebhaber der dra¬
dings nicht wiederzuerkennender Schatten.
den Bringer des Vergessenwerdens. Und der dramatisch¬
matischen Muse, die dem durchschnittsmäßigen Theaterge¬
Der blinde Bettler bringt nun mit ätzender Rede
theatralische Kampf der folgenden fünf Akte empfängt seine
vi
triebe fernbleiben und nur bei literarisch vielversprechen¬
Leben ins politische Leben von Syrakus. Erk gewinnt
Nahrung aus der Rache des Helden an dem, der ihn in
den Erstaufführungen im Zuschauerraum auftauchen, sie
Vergessenheit stieß.
die Bettler, die eigenen Kinder (ohne daß sie den Vater
kommen schon längst nicht mehr zu Sudermann (soweit
erkennen), die Bürger, die Söldner. Er verhindert den
Welch bedenkliche überschätzung des armen fragwür¬
sie nicht etwa als gewerbsmäßige Nörgler der Presse dazu
drohenden überfall von Seiten der karthagischen Flotte.
digen Dings, das man Nachrühm nennt! Das Untiefe
verpflichtet sind). Sie erwarten sich von ihm keine über¬
Dabei wird er schwer verwundet, behält aber doch das h
dieses Grundgedankens muß auf das ganze Werk ver¬
raschungen, keinen Fortschritt mehr. Dafür aber drängt
letzte Wort; der falsche Freund Arratos vergiftet sich,
flachend wirken und etliche schiefe Konstruktion zur Folge
das wohlhabende Berlin W., das so viel Zeit totzu¬
und des Lykon Sohn wird die Herrschaft antreten. Sein)e
haben. Doch soll dem Dichter nicht vergessen werden, daß
schlagen hat und soviel Themen für die Soupergespräche
anderes Kind aber, die kaum erblühte Jungfrau, ahnt
er den Gedanken in seinem Helden entschlossen durch¬
des Winters braucht, um so unermüdlicher zu den Suder¬
unmittelbar nach des Bettlers Tod: „Das kann nur Einer
führt: sein Feldherr rächt sich für den Sturz ins große
mann=Abenden. Der erfolgreiche Autor darf sich auf alle
gewesen sein ...“
Dunkel, allein er selber tritt auch wirklich nicht mehr aus
Fälle des Bewußtseins freuen, daß er mindestens eine ge¬
dem Vergessensein hervor.
Man sieht, Sudermann hat sichs nicht geringe Mühe
sellschaftliche Macht ist und bleibt, bis etwa eine siegreiche
kosten lassen, eine Tragödie großen Stils zu ersinnen.
Die Vorgeschichte ist etwas unklar. Soviel steht jeden¬
„süngere Mode seine Werke aus der Öffentlichkeit ver¬
(Die gelegentliche Ahnlichkeit mit dem Motiv des heim¬
treibt.
falls fest: der Held, Lykon, Feldherr der Syrakusaner,
kehrenden Odysseus kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht
hat einen falschen Freund mit Namen Arratos, der im
Soweit aber ists mit Hermann Sudermann keines¬
werden.) Er hat fast das gesamte Solistentum des König¬
verräterischen Bündnis mit dem Karthagerfeldhauptmann
wegs gekommen. Und nach dem Gesamteindruck des
lichen Schauspielhauses auf die Bühne gerufen, hat alle
ihn bei einer Schlacht in der Quellenschlucht beseitigen
gestrigen Abends wird ers auch in absehbaren Zeiten
Mittel des Theaters zu Hilfe genommen: ergreifende
will, um selbst die Herrschaft über Syrakus zu ergreifen.
nicht dahin kommen lassen. Sein neuestes Werk, „Der
Zwiesprachen und wildbewegte Massenszenen, Symposion
Der Plan gelingt nicht völlig. Durch des Lykon Helden¬
Bettler von Syrakus“ zeigt einen sehr entschie¬
mit Hetärengelächter und Revolution mit frischem Blut¬
mut wird ein Sieg erfochten, wobei Lykon nicht getötet,
denen und sehr achtungswerten Willen, alle Kraft zu¬
geruch. Und die Hauptrolle gibt Gelegenheit zu einer
sondern bloß verwundet, von den Karthagern geblendet
sammenzufassen und mit ehrlichen Mitteln den Erfolg zu
großen schauspielerischen Leistung. Daß die Handlung
und eingekerkert wird. Dies ereignet sich zwischen dem
erzwingen. Im Vorspiel vernimmt man sogar ein Paar
noch durch die Verquickung mit völlig entbehrlichen
Vorspiel und der eigentlichen Tragödie, die zehn Jahre
Herzenstöne des Helden, die wohl als Bekenntnisworte
karthagischen Geschichten verbreitert und verwirrt wurde,
nach der verhängnisvollen Schlacht einsetzt. Allzu kunstvoll
des Dichters gedeutet werden könnten. Es klingt an
läßt sich wohl nur aus der Absicht erklären, daß das Bild
in Brocken und Bröckchen verteilt, werden die entscheiden¬
Hauptmanns Selbstgespräche in der „Versunkenen Glocke“
äußerst bunt und figurenreich werden sollte.
den Vorgänge von damals nun während der ersten Tra¬
an (nicht im Sinne einer Nachahmung!), wenn hier
Schaut aus solcherlei Zügen, wie auch namentlich aus
gödienakte nachberichtet.
der Feldherr ungefähr klagt, daß er, der doch auszog,
der unausgegorenen Fabulierung der Heldengattin und
Der falsche „leishinwandelnde“ Arratos, ein wachs¬
das Hohe oder die Hohen zu ehren, so viel Schimpf und
des verräterischen Leisetreters der Theatraliker deutlich
weicher Tyrann und durchsichtiger Intrigant, ist nun seit
Spott ernte; wenn er die Götter aufleht, ihm redliche
hervor, so fehlt es doch auf der anderen Seite diesmal
zehn Jahren Herr von Syrakus und überraschender¬
Kraft zum Sieg zu verleihen.
nicht an ernstlichen Versuchen, gediegene Charakteristik!
weise auch Gemahl der im Vorspiel überaus ideal dar= zu geben und grobe Kulisseneffekte zu meiden. „Der
4
rech
ver
wan
zwei
Irr
nati
ure
inn
24. Das weite Land
Ausschnitt ausfeneralanzeiger für Düsseldorf
Düsseldorf
27 10.191
vom:
1
W
Sudermann und Verwandtes.
Die Grenzen seiner Persönlichkeit läßt der Dichter
gestellten Gattin Lykons und Pflegevater von Lykons
freilich auch hier, gerade hier erkennen, indem er seinen
(Zu den Uraufführungen von Sudermann
adelig geratenen zwei Kindern. Nichtsdestoweniger hat
Feldherrn viel vom Sieg im mehr oder minder äußeren
und Schni#!
Arratos — töricht=raffiniert! — jede Nennung von
ebesnpenhetneg
Sinn reden, jedoch wenig von innerer Fülle offenbaren
Aus Berlii Erganzung unserer Draht¬
Lykons Namen strengstens verboten! Da, gerade am
läßt. Ja, das Werk ist geradezu aufgebaut auf heißer
meldung über Sudermanns jüngstes Werk geschrieben:
zehnten Jahrestag jenes angeblich von Arratos errun¬
Sehnsucht nach weltlichem Erfolg, auf heftiger Angst vor
Trotz allem, was seit mehr als einem Jahrzehnt an
genen Siegs, der gleichbedeutend ist mit des Arratos
dem Vergessenwerden, Sudermann erfindet im ersten
Sudermann genörgelt ward, sind die Sudermann¬
Regierungs=Antritt — gerade da taucht in Syrakus ein
der sechs Akte, im „Vorspiel“, eine allegorische Flügel¬
Premieren in Berlin doch immer noch „große Abende“
elender, geschundener, blinder Bettler auf, der da be¬
gestalt, die mit der Keule auf schlafende Krieger hinweist
37
der Spielzeit. Allerdings sind sie aus künstlerischen Er¬
hauptet, Kunde zu bringen von Lykons letzten Schick¬
und sich als einen bösartigen Bruder des Todes bekennt:
eignissen allgemach gesellschaftliche geworden.
salen. Der Bettler ist Lykon oder vielmehr sein schlechter= w
als den radikalsten Auslöscher menschlichen Lebens, als
Die anspruchsvollsten Kenner und Liebhaber der dra¬
dings nicht wiederzuerkennender Schatten.
den Bringer des Vergessenwerdens. Und der dramatisch¬
matischen Muse, die dem durchschnittsmäßigen Theaterge¬
Der blinde Bettler bringt nun mit ätzender Rede
theatralische Kampf der folgenden fünf Akte empfängt seine
vi
triebe fernbleiben und nur bei literarisch vielversprechen¬
Leben ins politische Leben von Syrakus. Erk gewinnt
Nahrung aus der Rache des Helden an dem, der ihn in
den Erstaufführungen im Zuschauerraum auftauchen, sie
Vergessenheit stieß.
die Bettler, die eigenen Kinder (ohne daß sie den Vater
kommen schon längst nicht mehr zu Sudermann (soweit
erkennen), die Bürger, die Söldner. Er verhindert den
Welch bedenkliche überschätzung des armen fragwür¬
sie nicht etwa als gewerbsmäßige Nörgler der Presse dazu
drohenden überfall von Seiten der karthagischen Flotte.
digen Dings, das man Nachrühm nennt! Das Untiefe
verpflichtet sind). Sie erwarten sich von ihm keine über¬
Dabei wird er schwer verwundet, behält aber doch das h
dieses Grundgedankens muß auf das ganze Werk ver¬
raschungen, keinen Fortschritt mehr. Dafür aber drängt
letzte Wort; der falsche Freund Arratos vergiftet sich,
flachend wirken und etliche schiefe Konstruktion zur Folge
das wohlhabende Berlin W., das so viel Zeit totzu¬
und des Lykon Sohn wird die Herrschaft antreten. Sein)e
haben. Doch soll dem Dichter nicht vergessen werden, daß
schlagen hat und soviel Themen für die Soupergespräche
anderes Kind aber, die kaum erblühte Jungfrau, ahnt
er den Gedanken in seinem Helden entschlossen durch¬
des Winters braucht, um so unermüdlicher zu den Suder¬
unmittelbar nach des Bettlers Tod: „Das kann nur Einer
führt: sein Feldherr rächt sich für den Sturz ins große
mann=Abenden. Der erfolgreiche Autor darf sich auf alle
gewesen sein ...“
Dunkel, allein er selber tritt auch wirklich nicht mehr aus
Fälle des Bewußtseins freuen, daß er mindestens eine ge¬
dem Vergessensein hervor.
Man sieht, Sudermann hat sichs nicht geringe Mühe
sellschaftliche Macht ist und bleibt, bis etwa eine siegreiche
kosten lassen, eine Tragödie großen Stils zu ersinnen.
Die Vorgeschichte ist etwas unklar. Soviel steht jeden¬
„süngere Mode seine Werke aus der Öffentlichkeit ver¬
(Die gelegentliche Ahnlichkeit mit dem Motiv des heim¬
treibt.
falls fest: der Held, Lykon, Feldherr der Syrakusaner,
kehrenden Odysseus kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht
hat einen falschen Freund mit Namen Arratos, der im
Soweit aber ists mit Hermann Sudermann keines¬
werden.) Er hat fast das gesamte Solistentum des König¬
verräterischen Bündnis mit dem Karthagerfeldhauptmann
wegs gekommen. Und nach dem Gesamteindruck des
lichen Schauspielhauses auf die Bühne gerufen, hat alle
ihn bei einer Schlacht in der Quellenschlucht beseitigen
gestrigen Abends wird ers auch in absehbaren Zeiten
Mittel des Theaters zu Hilfe genommen: ergreifende
will, um selbst die Herrschaft über Syrakus zu ergreifen.
nicht dahin kommen lassen. Sein neuestes Werk, „Der
Zwiesprachen und wildbewegte Massenszenen, Symposion
Der Plan gelingt nicht völlig. Durch des Lykon Helden¬
Bettler von Syrakus“ zeigt einen sehr entschie¬
mit Hetärengelächter und Revolution mit frischem Blut¬
mut wird ein Sieg erfochten, wobei Lykon nicht getötet,
denen und sehr achtungswerten Willen, alle Kraft zu¬
geruch. Und die Hauptrolle gibt Gelegenheit zu einer
sondern bloß verwundet, von den Karthagern geblendet
sammenzufassen und mit ehrlichen Mitteln den Erfolg zu
großen schauspielerischen Leistung. Daß die Handlung
und eingekerkert wird. Dies ereignet sich zwischen dem
erzwingen. Im Vorspiel vernimmt man sogar ein Paar
noch durch die Verquickung mit völlig entbehrlichen
Vorspiel und der eigentlichen Tragödie, die zehn Jahre
Herzenstöne des Helden, die wohl als Bekenntnisworte
karthagischen Geschichten verbreitert und verwirrt wurde,
nach der verhängnisvollen Schlacht einsetzt. Allzu kunstvoll
des Dichters gedeutet werden könnten. Es klingt an
läßt sich wohl nur aus der Absicht erklären, daß das Bild
in Brocken und Bröckchen verteilt, werden die entscheiden¬
Hauptmanns Selbstgespräche in der „Versunkenen Glocke“
äußerst bunt und figurenreich werden sollte.
den Vorgänge von damals nun während der ersten Tra¬
an (nicht im Sinne einer Nachahmung!), wenn hier
Schaut aus solcherlei Zügen, wie auch namentlich aus
gödienakte nachberichtet.
der Feldherr ungefähr klagt, daß er, der doch auszog,
der unausgegorenen Fabulierung der Heldengattin und
Der falsche „leishinwandelnde“ Arratos, ein wachs¬
das Hohe oder die Hohen zu ehren, so viel Schimpf und
des verräterischen Leisetreters der Theatraliker deutlich
weicher Tyrann und durchsichtiger Intrigant, ist nun seit
Spott ernte; wenn er die Götter aufleht, ihm redliche
hervor, so fehlt es doch auf der anderen Seite diesmal
zehn Jahren Herr von Syrakus und überraschender¬
Kraft zum Sieg zu verleihen.
nicht an ernstlichen Versuchen, gediegene Charakteristik!
weise auch Gemahl der im Vorspiel überaus ideal dar= zu geben und grobe Kulisseneffekte zu meiden. „Der
4
rech
ver
wan
zwei
Irr
nati
ure
inn