II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 290

Schnitzler und Sudermann
Von Erich- Köhrer
„Das weite Lands, Tragikomödie von Arthur Schmitzler
„Der Bettler von Syrakuse Tragödie von Hermann Sudermann
Buchausgabe Verlag I. G. Cotta, Stuttgart, Markt 3
„Das weite Lande ilt ein Verlegenheitstitel. Das weite
Land ilt nach Schnitzler die menichliche Seele mit ihren
Höhen und Tiefen, ihren verborgenen Abgründen und
leuchtenden Gipfeln, ihren verlchlungenen Pfaden und
ihren komplizierten Verwicklungen. Aber die menichliche
Seele in ihrer Weltenweite ist das Probiem ichon vieler
Dichter und Dichtungen gewelen, und Goethe und Kleilt,
lblen und Wedekind, um nur einige zu nennen, hätten mit
gleicher Berechtigung mehr als einem ihrer Werke diesen
Titel geben können. Zwei Ehepaare Itellt Schnitzler in
die Mitte leines Ausblicks auf das weite Land. Beide,
Friedrich Hofreuter und leine Frau Genia, und Doktor
von Aigner und leine Frau Anna, lind in der Tiefe ihrer
Seelen eng miteinander verwachlen. Die Männer beten
in der Stille ihre Frauen an, aber lie können neben der
Liebe die Liebelei nicht lallen. Frau von Aigner hat lich
einlt von ihrem Manne getrennt, weil lie leine Untreue,
die für ihn freilich keine Untreue ist, nicht ertragen kann.
Aber lie ilt Schaulpielerin, ihr Beruf wird ihr, neben der
Erziehung ihres Sohnes, zum Lebensinhalt und lie vermaj)
ihren Weg allein zu gehen. Und doch, lie, die zahllose
Geithehnille ihres Lebens ihrem Gedächtnis hat entgleiten
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Phot. Rembrandt
Rofa Poppe (Philarete)
Max Pohl (Arratos)
„Der Bettler von Sprakuse
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lehen, vermag den Sehnnerz nicht zu vergellen, den ihr
Mann ihr einmal angetan hat. Die jüngere Frau Genia,
an der lich das Schickfal der älteren Freundin wiederholt,
kommt nicht lo leicht von dem Manne los, an dem lie
trotz leiner Seitenlprünge mit der ganzen rätlelhaften Kraft
einer Frauenliebe hängt. Ihr Kampf um das Ende dieler
Liebe oder wenigltens ihrer Ehe, bildet den Tatlachen¬
gehalt der Tragikomödie.
Denn auch ihr Mann kommt nur Ichwer von ihr los.
Wie tief die Liebe zu ihr in den Gründen leiner Seele
wurzeit, das wird ihm vielleicht erlt ganz klar, als ein anderer
lie ihm ernsthaft ltreitig macht. Über die Laffen der guten
Geselllchaft, die lie umflirten, lächelt er. Ihn lelblt ver¬
knüpfen mnit einer Daine dieler Gesellschaft zarte Bande,
aber leiner Frau fühlt er lich licher. Aber indes er in den
Alpen ein Mädel an lich reißt, das nicht mehr als die
phylilche Unichuld durch das Treiben der Gesellschaft ge¬
rettet hat, verführt leine Frau einen flotten, lieben, jungen
Burichen oder wird von ihm verführt. Hofreuter erfährt
von dielen Beziehungen, und als er dem jungen Mann
angelichts leiner Frau gegenüberlteht, brüskiert er ihn und
Itreckt ihn am nächtten Tage im Duell tot hin. Nicht
verletzte Eitelkeit, nicht beleidigtes Ehrgefühl, nicht die
übliche Eiferlucht treiben ihn zu Forderung und Duell¬
mord. Ihn peiticht die brennende, in der Seele geheimlten
Tiefen glimmende Liebe zu leiner Frau, die zur hellen
Flamme auflodert, als er in den Augen des Andern das
Siegerbewußtlein, den Glanz des Glückes lieht. Nun aber
findet die Frau, die immer noch voll Sehnlucht leiner ge¬
harrt, immer noch auf eine neue Zukunft gehofft hat, den
Mut und die Kraft, lich von ihm zu lösen. Sie geht zur
Mutter des Toten, Frau von Aigner, und Hofreuter bleibt
allein. Das Mädel, das im Gebirge lein wurde, will mit
ihm hinam ins Leben. Aber er Shülleit lie ab, er will
allein lein Schicklal zimmern.
Es ilt nicht ganz leicht und nicht gefahrlos, aus dielen
fünf Akten von mehr als dreiltündiger Dauer und dem
komplizierten Gewirr der lie überlpinnenden Fäden die
Handlung ohne allzu viele Wirrnille herauszuschälen. Der
Dichter Schnitzler verleugnet lich auch diesmal nicht
völlig, der Dramatiker aber hat verlagt. Am meilten
verblüfft die kühle Atmolphäre des Stückes. Schnitzler,
der lonit leine Werke mit einer lo herzlichen Wärme zu
erfüllen weiß, lieht diesmal leine Aufgabe wie ein Rechen¬
exempel an. Es ilt kein Blut in leinen Menichen und kein
Wohlbehagen um lie. Und die Rechnung ilt schließlich
lo kompliziert, daß man beim Verfolgen ermüdet. Kein
zwingendes Muß beherricht Menschen und Dinge. Wo
der Zuschauer wärmer wird, da ist diele Wirkung mit
unschnitzlerischen Effektchen ertrotzt.
Die Aufführung im Berliner Lellingtheater blieb ganz
in der Atmolphäre des Stückes. Sympathilch, kühl, un¬
interelliert. Aber lie zeigte auch nicht eine Spur dichte¬
rischen Glanzes und machte aus dem weiten Land eine
ziemlich einförmige Steppe ohne ragende Gipfel. Reicher
vielleicht, Frau Grüning und Fräulein Herterich, auch
Stieler und Marr waren ein bilichen herzhaft. Das Pre¬
mierenpublikum verzichtete vor Ablpannung auf jeden
Kampf.
Auch im Schaulpielhaufe gab es bei der Première von
Sudermanns „Bettler von Syrakuse keinen Relt von jener
Kampfesitimmung, die früher diele Premièren lo anmutig
belebte. Denn von der Theatralik des Stückes ließ das
Publikum lich willig beherrichen. Hart wogt zwilchen Syrakus