II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 291

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24. bas ite Land
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Hnmmmmmmnmmmmmmmmnmmmmmnmmnmmmmmnmnmm Dramatische Rundschau. imminmmmmmmmmmmmnmmmmmninin 637
Stück mutatis mutandibus ungefähr dieselbe
Rolle spielt wie der Dämon der Vergessenheit

bei Sudermann. Überhaupt ein vortreffliches
Symbol für eine jede gute Tragikomödie, dieses
lustfarbene Vehikel des blühenden Lebens neben
der düsteren Mauer des ewigen Schweigens.
Die Tragikomödie, wenn sie dem unglaublich
komplizierten Leben gehorsam sein will, darf sich
vor dem Bei=, Durch= und Ineinander schein¬
barer Widersprüche nicht scheuen, muß dem flüch¬
tigsten Farbenspiel und den leisesten Tonüber=.
gängen nachspüren — aber da ruht ja gerade
Schnitzlers Stärke. Ruht die unnachahmliche
Feinkunst der Wiener überhaupt. Die Eindeutig¬
keiten, das Entweder—Oder, die Zusammenstöße
und die Katastrophen gehören einem Sudermann;
ihr Gebiet dagegen sind die schmalen Stege
zwischen den Zeilen, die Untertöne, die unter¬
halb des Bewußtseins mitschwingenden Stimmun¬
gen, die mit den Dingen selbst kaum noch etwas
zu schaffen haben wollen, sondern sich selig be¬
freit von ihnen lösen, um wie ein winziges, bis
zur Unsichtbarkeit durchsichtiges Wölkchen durch
den Ather zu segeln. Nicht das schwere, tief¬
gründige, konfliktreiche Etwas, das wir im pathe¬
tischen Sinne „Seele“ nennen, ist eigentlich ihr
künstlerisches Objekt, sondern, um ein Bahrsches
Lieblingsdiminutiv zu gebrauchen, die animula,
mehr banges Rätsel als schreckensvolles Geheim¬
nis. Sie alle schöpfen mehr das Leben aus der
Phot. Rembrandt, Charlottenburg.
Kunst als die Kunst aus dem Leben.
Carl Clewing (Cykon) und Frl. Thimig (Myrrha)
Pantobiës nennt sich der keulentragende Dämon,
in Sudermanns „Bettler von Syrakus“.
der die Schwelle zu Sudermanns Drama hütei;
flammt. Aber merkwürdig! Die Flamme wärmt
„Panta rhei“ (Alles fließt) könnte als Motto vor
uns nicht; kalt und leer gelassen gehen wir achsel¬
Schnitzlers Tragikomödie stehen. Die Seele ist
zuckend aus einem Hause, in dem doch während
ein weites Land, ohne feste Grenzen, ohne feste
dreier Stunden so viele bunte und bewegte Bil¬
Ordnung, ein Chaos, in dem Zartes und Düste¬
der an uns vorüberzogen.
res, Treue und Treulosigkeit, Anbetung für die
Die darstellerischen Ehren des Abends trug
eine und Verlangen nach einer andern nachbar¬
fast allein Carl Clewing, das neugewonnene
lich, unterscheidungslos beieinanderwohnen. Denn
Mitglied der Königlichen Bühne. Er brachte für
selbstverständlich handelt es sich um die Liebe,
die äußerst anspruchsvolle Titelrolle eine äußer¬
wenn Schnitzler „Seele“ sagt.
liche und innerliche Elastizität mit, die jeder
Das ist die Tragik der Komödie, daß es so
Wandlung und Wendung blitzschnell gerecht wurde
gar keine Sicherheit auf diesem Planeten gibt,
und manchmal geistige Größe vortäuschte, wo
daß wir mit uns selber am wenigsten rechnen
doch nur großtönende Worte sind. Fräulein
und bauen können, und daß die Hand am Steuer
Thimig, die Darstellerin der Myrrha, erst kürz¬
just dann versagt, wenn es auf den genauesten
lich aus Wien herübergekommen, begnügte sich
und sichersten Griff ankommt. Nichts scheint die¬
mit einer jungmädchenhaften Lieblichleit, die nicht
sem Friedrich Hofreiter, dem ausgemachten Ge¬
der Innigkeit entbehrte, aber ein wenig zuviel
nießer, für den alles und alle nur Instrumente
vom deutschen Backfisch hatte.
seiner naiven Selbstsucht sind, umheimlicher an
seiner Frau, nichts macht sie ihm fremder, als
Jenn es Arthur Schnitzler für spätere
wenn er erfahren muß, daß es die Tugend war,
L1 Auflagen seiner Tragikomödie „Das weite
die Tugend schlechthin, ein Schemen, ein Phan¬
Land“ (Berlin, S. Fischer) um ein ähnliches
tom, ein Nichts in seinen Augen, was Frau
Buchwappen zu tun sein sollte, wie die Suder¬
Genia bewog, sich dem vermessenen Wunsche des
mannsche Tragödie es führt, so möchte ich ihm
armen Korsakow zu versagen, selbst dann noch,
empfehlen, sich von Walser oder Orlik oder auch
als sie fürchten mußte, ihn dadurch in den Tod
von Klimt „das scharlachrote Automobil an der
zu treiben, wie es tatsächlich geschehen. Oh!
Friedhofsmauer“ zeichnen zu lassen, das in seinem dem Herrn Gemahl wäre es eine wahre Erleich¬