II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 329

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24. Das seite Land
zwingenden Macht, mit der hier seltsamste Schicksale in
ihrer wechselseitigen Verkettung, in ihrem sinnlich=übersinn¬
lichen Zu= und Gegeneinanderstreben gestaltet sind. Mit Recht
heißt dieses erschütternde Trama Tragkomödie: die tiefe
Notwendigkeit, mit der das scheinbar Widerspruchsvolle sich
vollzieht, läßt das Menschengetriebe wie einen Tanz wunder¬
lich wehrloser Marionetten erscheinen. Einen Tanz, den die
weiche Wiener Luft mit süßmelancholischen Schleiern umspinnt
und bei dem es auch nicht an eifrigen Springern fehlt,
die nur possierlich und gar nicht tragisch und doch im
Reigen unentbehrlich sind.
Das Schwebende und Verhaltene, das Schillern zwischen
Groteske und Trauerspiel wurde von der Regie (Basil) sehr
gut fühlbar gemacht. Steinrück und Frau von Hagen
schufen in den Hauptrollen Ausgezeichnetes; auch die meisten
Episodenfiguren wurder trefflich dargestellt. Dr. K. W.
„Die Hydra“. Ein Lustspiel in drei Akten ohne Ehebruch
Neue Badische Landeszeitung, Meumi
und Situations=Komik von Karl Ettlinger.
München, 15. Oktober.
Wie bei Schnitzler ist auch bei Karl Ettlinger,
obwohl in ganz anderer Weise, der Untertitel lehrreich. Er
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heißt: Ein Lustspiel in drei Akten ohne Ehebruch und
Situationskomik. Man sagt sich unwillkürlich: Schon hier,
schon auf dem Theaterzettel, ein Witz! Denn dies ist das
igentümliche: den meisten Autoren wäre ein Zuwachs an
aufs Innigste zu wunschen; bei Karl Ettlinger mochte
Wit
Unser Münchener Korrespondent faßt seine Ein¬
fürchten, er habe davon zu viel. In gewissem Grade
man
drücke von der dortigen Premiere der Schnitzlerschen Tragi¬
hat diese Furcht sich als begründet erwiesen. Auch die
komödie im folgenden zusammen:
besten Witze, gehäuft ergeben noch kein Lustspiel.
Der Titel ist symbolisch zu fassen. In einem nach¬
Auch bei Ettlingers Stück ist der Titel symbolisch ge¬
denklichen Gespräch während des dritten Aktes fallen etwa
meint. Die hundertköpfige „Hydra“ ist das Publikum, aber
die folgenden Worte: „Haben Sie bemerkt, was für kompli¬
der Kundige weiß sie in eine nützliche Milchkuh zu ver¬
— Was hat
zierte Subjekte wir Menschen eigentlich sind? —
wandeln. Beispiel: Ein Theater, nach künstlerischen Prin¬
nicht alles zugleich in uns Raum, Aubetung für die eine,
zipien begründet und geleitet, geht dem Bankrott entgegen,
Man ver¬
Verehrung für andere, Treue, Treulosigkeit...
doch es bringt goldene Berge ein, sowie man entschlossen
sucht wohl, etwas Ordnung in sich zu bringen, aber das
den Wünschen der blöden und gierigen Menge entgegen¬
ist nicht das Natürliche. Das Natürliche ist das Chaos.
kommt. Ein zeitgemäßes Thema und — wie bei Ettlinger
Dieses Chaos Tiefen,
Die Seele ist ein weites Land. ..“
nicht anders zu erwarten war — höchst amüsant behandelt.
des weiten Seelenlandes verworrene Wege mit flüchtigem
Ein wahres Brillantfeuerwerk farbiger, sprühender, prai¬
Lichte zu erhellen, hat Schnitzler versucht. Um es gleich
seinder Reden wird abgebrannt und die Zusage, daß nicht
zu sagen: wie er es vermocht hat, tut es ihm keiner nach.
von Situationen, sondern allein vom Dialog die komische
In keinem seiner früheren Stücke durchforscht er so hell¬
Wirkung ausgehen solle, treulich gehalten. Nicht viele
seherisch, so geduldig das Labyrinth der erotischen Gefühle,
Autoren besäßen Geist und Geschick genug für ein solches
wie sie (rus Hingebung und Härte, Demut und Eitelkeit,
Wagnis. Ettlinger hat beides im Ueberfluß, und in dieser
Haß und Begehren sich unermeßlich mannigfach vererben.
Hinsicht darf man ihm gratulieren. Aber aus der gleichen
Es ist leicht, die Mängel des Werkes aufzuzeigen; man wird
Eigenart, die den Vorzug der Arbeit ausmacht, folgen auch
vor allem sagen: trotz mächtiger Spannungen und wirk¬
ihre Schwächen. Es ist — um nur ein Beispiel zu nennen —
samer Höhepunkt ist es dialogisierter Roman. Nicht das
an sich noch kein Fehler, daß mit Ausnahme eines ver¬
resolute Auf und Ab des Dramas, sondern das Nach und
logenen, gutmütigen, prahlerischen jüdischen Theateragenten
Nach des wirklichen Lebens und der Erzählung, die beide
(überhaupt der besten Figur des Lustspiels) und einigen Neben¬
auch rückläufige Bewegung und den Aufstieg in der Spirale
personen alle Leute in dem Stück zuletzt „umfallen“. Der
kennen. Doch diesem Einwand mag nachgrübeln, wer daran
Freude hat. Er ist belanglos gegenüber der Fülle und edle Kunstfanatiker Lindt wird zum aeckenbaften Geldmacher,