II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 342

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24 weste Land
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Rngrirint Eritunn
21. Oktober 1911.
weite und ach so platte Land herabzusteigen, wo wir die
himmeln it absteht. Dieser Hofreiter soll doch mindestens ein
Stickluft einer über alle Beschreibung unerquicklichen und un¬
hübscher und liebenswürdiger Schwerenöter sein, ein Spiel¬
interessanten Handlung atmen, in der er sein ewig einziges
ball seiner Leidenschaft, ein Mann, dem die Frauen nach¬
Thema, eben das der Liebelei, in neuem Aufputz krampfhaft
laufen, sonst sind ja seine Erfolge wie seine Flatterhaftigkeit
zu variieren sucht. Die Hauptperson seines neuen Stückes,
doppelt unwahrscheinlich. Und diesen Menschen gibt ausge¬
der Fabrikant Friedrich Hofreiter, sagt einmal: „Wenn man
rechnet Herr Steinrück, der kein „Liebhaber“, sondern ganz
Zeit hat und in der Laune ist, baut man Fabriken, erobert
und gar Charakterspieler ist. Wenn wir also Schnitzlers jüng¬
Länder, schreibt Symphonien, wird Millionär; aber glaube
stes Musenkind vielleicht über Gebühr scharf beurteilen, so
mir, das ist doch alles Nebensache. Die Hauptsache seid Ihr!
trägt ganz gewiß diese durchaus falsche Besetzung der Haupt¬
— Ihr! — Ihr! —“ Damit meint er seine Liebe und deren
rolle die Schuld, sowie auch der Stil der ganzen Aufführung,
sehr unwürdigen Gegenstand. Es ist aber in unserer heutigen
der unseres Erachtens völlig verfehlt war. Die reizende Deko¬
so verdammt ernsthaften und traurigen Zeit geradezu peinlich,
ration des ersten und das Interieur des fünften Aktes, der
ein ganzes fünfaktiges, über drei Stunden spielendes Stück
Umstand, daß die meist norddeutsch sprechenden Herren sich
wieder rein nur auf das sexuelle Problem und zwar in seiner
mit „Servus“ begrüßten und krampfhaft jedem weiblichen
frivolsten Oberflächlichkeit aufgebaut zu sehen. Nie war
Wesen die Hand küßten — das genügt nicht zur Zeichnung
Schnitzler selbst in seinen Fehlern weniger liebenswürdig und
eines Wiener Milieus, noch weniger konnte es das tödtlich
weniger kurzweilig. Gesucht, wie die ganze Problemstellung
langsame Tempo, in dem das Stück gespielt wurde, beschleuni¬
und die Entwicklung, klingt auch schon der Titel. Das „weite
gen. Die Regie unseres modernen Schauspiels, aber nur jene
Land“ ist nach seiner Anschauung die Seele, in der viele Nei¬
unserer Hofbühne, hat eine wahre Manie, den Dialog durch
gungen nebeneinander Platz haben sollen: die Liebe zum
endlose Kunstpausen zu verzögern und dazu womöglich noch
Gatten oder zur Gattin, daneben zum Geliebten oder zur Ge¬
anhaltend im leifesten Flüsterton sprechen zu lassen. Sagen
liebten und auch noch zu einer zweiten und dritten. Diese so
sich die Herren denn gar nicht, daß dies selbst ein besseres
bequeme Philosophie soll durch das Stück expliziert werden;
Stück umbringen muß? Das ist der ewig falsche Wahn von
der weitherzige Held desselben aber wird selbst bei Schnitzler
der vermeintlichen Natürlichkeit. Selbst Schauspieler, die
an ihr zu Schanden. Er wird zuletzt doch zum Verteidiger
früher frei von der Leber weg sprechen konnten, gewöhnen
seiner fragwürdigen Ehre, indem er den Geliebten seiner
sich jetzt ein sublimes Säuseln an und sprechen das gewöhn¬
Frau niederschießt. Dieser niedergeschossene Jüngling, einer
lichste Zeug mit geheimnisvollen Kunstpausen, und, um nur
der wenigen sympathischen Menschen im Stücke, und die
ja nicht zu unterstreichen, wird ein gleichmäßiges Fortplät¬
Frau, die zwischen ihrem Liebhaber und ihrem Don Juan
schern der Rede beliebt. Ein Laube oder einer, der seinen
von Gatten, eben diesem Hofreiter, hin und her schwankt, tun
Geist besäße, täte uns heute bitter not: ein vollsaftiger Thea¬
einem beinahe leid, denn dieser Hofreiter verdiente viel mehr
termensch, der das gesprochene Wort und unsere herrliche
über den Haufen geschossen zu werden. Und da er seine
deutsche Muttersprache auf der Bühne in ihre Rechte wieder
Frau fortwährend betrügt, ebenso wie er die Annäherung
einsetzte.
seiner reuigen Gattin stets zurückweist, hat er vor einem höhe¬
Schnitzlers Stück erfordert ein ziemlich zahlreiches Per¬
ren Richterstuhl als dem des Herrn Schnitzler gar nicht ein¬
sonal, darunter auch für dankbare Rollen. Es sind meist kleine
mal das Recht, sich im fünften Akt so aufzuspielen. Der Ver¬
humoristische Nebenrollen, die zwar gar nichts Neues bringen,
fasser weiß auch nicht recht, was er mit ihm und den anderen
aber doch immer wieder belacht werden: ein paar Schablo¬
anfangen soll, denn nach mühsamen fünf Akten, von denen
nen der Gesellschaft, ein jüdischer Portier, für den Schnitzler
die ersten beiden geradezu tödtlich langweilig sind, entläßt er
ein Vorbild auf dem Semmeringer Südbahnhotel gefunden
uns mit lauter ungelösten Fragen. Und wenn er und wir
haben soll (hier Herr Stettner) usw. Die Hauptrollen sind
noch die Geduld hätten, hätte er auch noch fünf weitere Akte
außer dem Hofreiter Herrn Steinrücks seine Frau Genia, von
Liebeleien dazu schreiben können. Schnitzler nennt sein bisher
Frau v. Hagen, auch nicht eben wienerisch, aber diskret dar¬
jedenfalls schwächstes Stück eine Tragikomödie. Sie geht
gestellt. Die Schauspielerin Meinhold Aigner, als die wir
zwar tragisch aus, aber Komisches haben wir nicht an ihr fin¬
Fräulein Dandler nach längerer Zeit gerne wieder sahen, ein
den können. Was will das sagen, daß ein paar überflüssige
Marinefähnrich und Liebhaber, von Herrn v. Jacobi hübsch
humoristisch gefärbte Figuren durch das Stück laufen. In
gegeben, der Hoteldirektor von Aigner (Herr Graumann) und
seiner diesmal so mühsamen Technik verschmäht es Schnitzler,
als eine der wenigen anständigen Menschen, die im Stück
selbst die gewöhnlichste Wahrscheinlichkeit vorzutäuschen: er
vorkommen, der Arzt Dr. Mauer, von Herrn Ulmer sym¬
läßt fast das ganze Stück in einem Garten und dann in der
pathisch dargestellt. Er kann die „Herzensschlampereien“
Halle eines Hotels spielen, um das ewige Auf= und Abtreten
wie er die Schnitzlerischen Liebeleien nennt, nicht leiden. Das
aller zur Handlung notwendigen Personen auch nur einiger¬
ganze „weite Land“ ist eine einzige große Herzensschlamperei.
maßen zu motivieren. Diese Hotelvorhalle mit den komischen
Ich fürchte, sie wird diese Saison nicht überleben. Zum Schluß
Touristen, mit dem Portier, den Boys usw. — wie oft haben
wirft das Gesunde doch jeden Giftstoff und alles Krankhafte
wir sie schon erlebt! Auf dem Theaterzettel haben die Per¬
hinaus: es wäre ja nicht gesund, wenn es diese Kraft nicht
sonen alle einen Beruf oder eine Beschäftigung, im Stücke nie.
mehr besäße.
Da haben sie immer Zeit, sie reisen oder sie haben zu Hause
Auseinandersetzungen mit ihrer Gattin oder ihrer Geliebten.
Weit harmloser und lustiger ist Karl Ettlingers „drei¬
Dabei ist dieser Fabrikant angeblich ein verfluchter Kerl, ein
aktiges Lustspiel ohne Ehebruch und Situationskomik“. Nur
geriebener Spekulant und Arbeiter, um den sich beide Hemi¬
die Gesuchtheit des Titels hat es mit dem Schnitzlerischen
sphären reißen. Man begreift nur nicht, wann er eigentlich
Stück gemein. Es heißt „Die Hydra“. Gemeint ist das
je gearbeitet und sein kolossales Vermögen zusammengebracht
vielköpfige Publikum; auch hier wird der Titel erst im Laufe
hat. Wir lernen ihn nur als das kraft= und haltlose Produkt
des Stückes erklärt. Hydra ist schon erstens einmal ein Titel,
eines überfeinerten tatenlosen Wienertums kennen.
der dem Mindergebildeten ohne weiteres nicht verständlich ist,
außerdem aber ist das Publikum nur in sehr übertragenem
Ja das habe ich vergessen zu bemerken: die Geschichte
Sinn der Gegenständ des Stückes, das „Der Erfolg“ oder sonst
spielt ja in Wien oder vielmehr in Baden bei Wien und in
wie heißen könnte. Es spielt durchaus in Theaterkreisen, und
einem Dolomitenhotel. Bei der Aufführung im Burgtheater,
der Verfasser führt uns zwei Theaterdirektoren als höchst un¬
die gleichzeitig mit unserer und mit einem Halbdutzend ande¬
gleiche Kompagnons vor. Der eine, der Geldmann, möchte
rer stattfand — ein überaus praktisches und schlaues Ver¬
gern neben dem klassischen Repertoire und den ernsten, nur
fahren, das sich seit Bahrs „Kindern“ einzubürgern scheint —
das Defizit vermehrenden Stücken unbekannter junger
wird das Wiener Milieu selbstverständlich voll zum Ausdruck
Autoren, auch den französischen Schwank zur Füllung der
gekommen sein. In unserer Aufführung, die überhaupt ziem¬
Kasse ausgeführt sehen. Sein Kollege aber, der Dichter Hans
lich schwach war, konnte von vornherein keine Rede davon
Lindt, pfeift auf das Publikum und die Kasse und möchte
sein, denn Herr Steinrück, der ja alles spielt, gab den Hof¬
alusschließlich jugendlichen Talenten die Bahn brechen. Dies
reiter. In Wien spielte ihn Herr Korff jedenfalls nach dem
Fführt zu sehr drolligen Kontroversen. In diesen Kontroversen
Willen des Dichters: also eine Besetzung, die von der unseren
und im lustigen pointenreichen Dialog liegt die Hauptstärke
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