24. Das Wir I. .
box 29/1
Eslaug
0
115 10 1911
Lobetheater. Sonnabend, 14. Oktober. „Das weite Land“
Tragikomödie von Arthur Schnitzler.")
Zur gloßen Tragödie
mit der Wucht des Schicksals und dem für seine Idee kämpfenden
Menschen fehlt es unseren Dichtern, die von der Bühne herab zum
Volke und nicht nur zum Sperrsitz sprechen wolleih offenbar an
Kraft und Ausdruck. Sie wenden ihre ganze Teilfahme —
wie
jüngst wieder Otto Ernst — den schwankenden Charakteren zu, die
mit dem Leben spielen, und mit denen infolgedessen das Leben
gleichfalls spielt; sie modellieren Großstadtmenschen, die sich von der
Welle des Tages tragen lassen, zwar auch solche, die ihr Arbeits¬
pensum vollenden, aber nicht nach dem kategorischen Imperativ des
Pflichtgefühls, sondern weil sie verdienen wollen, damit auch der
Rausch, die Lust am Genuß zu ihrem Recht komme. Es sind All¬
tagsmenschen, die so tun, als ob die Grenzen des Lebens für sie zu
eng gesteckt seien, und sich eine Pfeudo=Philosophie zurecht machen,
nach der sie sich als Sklaven einer geheimnisvollen Gesetzmäßigkeit
fühlen, die alle Charaktere, ob sie nun wollen oder nicht wollen,
aus unsichtbaren Wurzeln sich entwickeln läßt. Auch in seiner neuen
Tragikomödie, die sich wieder einmal mit dem „Liebesleben“ gewisser
Wiener Gesellschaftskreise beschäftigt, führt uns Schnitzler wieder
mehrere Vertreter dieses Menschenschlages vor, unter denen einer
das etwas wesenlos und abstrakt klingende Thema des „weiten
Landes“ erläutert, indem er ausruft: „Was für komplizierte
Menschen wir doch im Grunde sind! So vieles hat zugleich Raum in
uns. Liebe und Trug. Treue und Treulosigkeit, Anbetung für die
eine (das Weib nämlich!) und Verlangen nach einer anderen oder
nach — mehreren. Wir versuchen wohl Ordnung in uns zu schaffen,
(so gut es geht, aber diese Ordnung ist doch nur elwas Künstliches.
Das Natürliche ist das
Chaos! Die Seele ist ein weites
Land!“ Das spricht Herr Dr. von Aigner aus, der geschiedene
Mann einer Schauspielerin. Aber er spielt nicht die Hauptrolle, in
der Komödie, sondern erscheint nur episodisch als ein moderner
Epikuräer, um „Milieu zu verbreiten“ und unechte Perlen von
Philosophie“ zum besten zu geben. Die eigentliche Handlung des
Stückes bestreiten vier andere: Der Fabrikant Hofreiter, seine Frau,
deren Geliebter, ein Marinefähnrich (der Sohn Aianers) und eine
Demi Vierge. Fräulein Erna Wahl, die im „Höhenrausch“ des
Gebirges sich dem Fabrikanten an den Hals wirft und seine Ge¬
liebte wird. Aber bevor diese beiden Paare „sich finden“ führt
Schnitzler eines seiner bekannten Probleme vor, das sich nicht lösen
läßt und darum zuguterletzt mit einem Pistolenschuß verpufft, dem
der junge Fähnrich zur See zum Opfer fällt. Frau Hofreiter he
sämlich, so wird uns zu Anfang des ersten Aktes erzählt ein
jungen Pianisten, den sie angeblich nicht erhören wollte in
getrieben. Herrn Hofreiter, der wiederum ein altes Verh
Frau Naiter, der Gattin seines Freundes, unterhalt, ist
haltung seiner Frau insofern etwas peinlich, als er#
gern sähe, daß auch sie ihr Techtelmechtel und infolge
vor ihm voraus habe. Denn darauf kommt die ganze
lich hinaus. Als Hofreiter dann später erfährt, daß
den jungen Fähnrich Nachts in ihr Fenster steigen laßt,
met
sin „sittlicher“ Erleichterung auf und meint in unübertrefflich selbst¬
gerechter Weise: „Es ist mir wie eine — innere Befreiung. Es i
gewissermaßen, als hätte sie Sühne getan für den Tod Korsakows
. der Pianist) und zwar in einer höchst vernünftigen und
schmerzlosen Weise. Sie fängt an, mir wieder menschlich nahe
zu sein!!" Die unverblümte Erotik treibt also auch in diesem
Schnitzlerschen Stücke wieder ihr Wesen nur gegen früher mit dem
Unterschiede, daß sie nicht mit der graziösen Leichtfertigkeit auftritt,
sondern ihre Figuren wie Marionetten aufziehen läßt. Erna Wahl
sowohl wie der Fähnrich, die beide im Leben des Ehepaures Hof¬
reiter eine Rolle spielen, sind ganz anders angelegr, als sie später
sich entwickeln und treten beide unvermittelter auf den Plan als es
ein logisch aufgebauter Bühnenvorgang vertragen kann. Daß der
Ehemann Hosteiter schließlich in einer fast launigen Anwandlung
auf den seinem Charakter so garnicht entsprechenden Einfall kommt,
den Fähnrich wegen des „Einsteigens“ auf Pistolen zu fordern und
ihn aus Versehen niederzuschießen, liegt ebensowenig im Plan der
ganzen Tragikomödie, als in den Grundsätzen Hofreiters, einer
innerlich durch und durch haltlosen Natur. Für Breslau hat das
Stück seine besondere Redeutung, als darin auch, wenigstens in der
Buchausgabe, eine episodische Figur erscheint ein Herr Serknitz aus
Breslau, der im Hotel des Badeortes so oft vergeblich nach seiner
reinen Wäsche fragt. Im Hinblick auf die viele schmutzige, die in
den Atten ausgebreitet wird, wirkt dieser Herr Serknitz aus Breslau
wie ein Apostel der sittlichen Neinheit, und wenn sie sich zunächst
auch nur in seinem Bedürfnis nach sauberen Oberhemden außert. Der
Verfasser hat auch mit diesem Stück die großen Erwartungen, die
man vor 15 Jahren nach dem Erscheinen seiner „Liebelei“ auf ihn
gesetzt hatte, nicht erfüllt. Der Stimmungsgehalt und die scharfe
Porträtierung der Charaktere, die sonst Schnitzlers starke Seite zu
sein pflegten, sind hier bei weitem nicht mit der alten Meisterschaft
gehandhabt, und geblieben ist eigentlich nur die Prägnanz des
Tialogs, der zuweilen auch von witzigen und geistreichen Bemerkungen
dnichsetzt ist. Der stark hervortretende Zug zur Pikanterie, der in
Schnitzlers sein geschliffenen Einaktern ganz an seinem Platze war,
beeinträchtigt hier in diesen fünf Akten, denen vor allem die innere
Einheitlichkeit fehlt, völlig den Zug ins Große und Kraftvolle. Und
was das „weite Land“ der Seele betrifft, so bleiben diese Seelen
schen am Grenzpfahl stehen, aus Furcht, sich darin zu verirren, sind
sie doch schon verirrt genug!
Die Aufführung unter Herrn Bonnos Regie litt unter einem
gewissen Stilmangel, der sich besonders in den ersten Akten sehr
empfindlich bemerkbar in
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Eslaug
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115 10 1911
Lobetheater. Sonnabend, 14. Oktober. „Das weite Land“
Tragikomödie von Arthur Schnitzler.")
Zur gloßen Tragödie
mit der Wucht des Schicksals und dem für seine Idee kämpfenden
Menschen fehlt es unseren Dichtern, die von der Bühne herab zum
Volke und nicht nur zum Sperrsitz sprechen wolleih offenbar an
Kraft und Ausdruck. Sie wenden ihre ganze Teilfahme —
wie
jüngst wieder Otto Ernst — den schwankenden Charakteren zu, die
mit dem Leben spielen, und mit denen infolgedessen das Leben
gleichfalls spielt; sie modellieren Großstadtmenschen, die sich von der
Welle des Tages tragen lassen, zwar auch solche, die ihr Arbeits¬
pensum vollenden, aber nicht nach dem kategorischen Imperativ des
Pflichtgefühls, sondern weil sie verdienen wollen, damit auch der
Rausch, die Lust am Genuß zu ihrem Recht komme. Es sind All¬
tagsmenschen, die so tun, als ob die Grenzen des Lebens für sie zu
eng gesteckt seien, und sich eine Pfeudo=Philosophie zurecht machen,
nach der sie sich als Sklaven einer geheimnisvollen Gesetzmäßigkeit
fühlen, die alle Charaktere, ob sie nun wollen oder nicht wollen,
aus unsichtbaren Wurzeln sich entwickeln läßt. Auch in seiner neuen
Tragikomödie, die sich wieder einmal mit dem „Liebesleben“ gewisser
Wiener Gesellschaftskreise beschäftigt, führt uns Schnitzler wieder
mehrere Vertreter dieses Menschenschlages vor, unter denen einer
das etwas wesenlos und abstrakt klingende Thema des „weiten
Landes“ erläutert, indem er ausruft: „Was für komplizierte
Menschen wir doch im Grunde sind! So vieles hat zugleich Raum in
uns. Liebe und Trug. Treue und Treulosigkeit, Anbetung für die
eine (das Weib nämlich!) und Verlangen nach einer anderen oder
nach — mehreren. Wir versuchen wohl Ordnung in uns zu schaffen,
(so gut es geht, aber diese Ordnung ist doch nur elwas Künstliches.
Das Natürliche ist das
Chaos! Die Seele ist ein weites
Land!“ Das spricht Herr Dr. von Aigner aus, der geschiedene
Mann einer Schauspielerin. Aber er spielt nicht die Hauptrolle, in
der Komödie, sondern erscheint nur episodisch als ein moderner
Epikuräer, um „Milieu zu verbreiten“ und unechte Perlen von
Philosophie“ zum besten zu geben. Die eigentliche Handlung des
Stückes bestreiten vier andere: Der Fabrikant Hofreiter, seine Frau,
deren Geliebter, ein Marinefähnrich (der Sohn Aianers) und eine
Demi Vierge. Fräulein Erna Wahl, die im „Höhenrausch“ des
Gebirges sich dem Fabrikanten an den Hals wirft und seine Ge¬
liebte wird. Aber bevor diese beiden Paare „sich finden“ führt
Schnitzler eines seiner bekannten Probleme vor, das sich nicht lösen
läßt und darum zuguterletzt mit einem Pistolenschuß verpufft, dem
der junge Fähnrich zur See zum Opfer fällt. Frau Hofreiter he
sämlich, so wird uns zu Anfang des ersten Aktes erzählt ein
jungen Pianisten, den sie angeblich nicht erhören wollte in
getrieben. Herrn Hofreiter, der wiederum ein altes Verh
Frau Naiter, der Gattin seines Freundes, unterhalt, ist
haltung seiner Frau insofern etwas peinlich, als er#
gern sähe, daß auch sie ihr Techtelmechtel und infolge
vor ihm voraus habe. Denn darauf kommt die ganze
lich hinaus. Als Hofreiter dann später erfährt, daß
den jungen Fähnrich Nachts in ihr Fenster steigen laßt,
met
sin „sittlicher“ Erleichterung auf und meint in unübertrefflich selbst¬
gerechter Weise: „Es ist mir wie eine — innere Befreiung. Es i
gewissermaßen, als hätte sie Sühne getan für den Tod Korsakows
. der Pianist) und zwar in einer höchst vernünftigen und
schmerzlosen Weise. Sie fängt an, mir wieder menschlich nahe
zu sein!!" Die unverblümte Erotik treibt also auch in diesem
Schnitzlerschen Stücke wieder ihr Wesen nur gegen früher mit dem
Unterschiede, daß sie nicht mit der graziösen Leichtfertigkeit auftritt,
sondern ihre Figuren wie Marionetten aufziehen läßt. Erna Wahl
sowohl wie der Fähnrich, die beide im Leben des Ehepaures Hof¬
reiter eine Rolle spielen, sind ganz anders angelegr, als sie später
sich entwickeln und treten beide unvermittelter auf den Plan als es
ein logisch aufgebauter Bühnenvorgang vertragen kann. Daß der
Ehemann Hosteiter schließlich in einer fast launigen Anwandlung
auf den seinem Charakter so garnicht entsprechenden Einfall kommt,
den Fähnrich wegen des „Einsteigens“ auf Pistolen zu fordern und
ihn aus Versehen niederzuschießen, liegt ebensowenig im Plan der
ganzen Tragikomödie, als in den Grundsätzen Hofreiters, einer
innerlich durch und durch haltlosen Natur. Für Breslau hat das
Stück seine besondere Redeutung, als darin auch, wenigstens in der
Buchausgabe, eine episodische Figur erscheint ein Herr Serknitz aus
Breslau, der im Hotel des Badeortes so oft vergeblich nach seiner
reinen Wäsche fragt. Im Hinblick auf die viele schmutzige, die in
den Atten ausgebreitet wird, wirkt dieser Herr Serknitz aus Breslau
wie ein Apostel der sittlichen Neinheit, und wenn sie sich zunächst
auch nur in seinem Bedürfnis nach sauberen Oberhemden außert. Der
Verfasser hat auch mit diesem Stück die großen Erwartungen, die
man vor 15 Jahren nach dem Erscheinen seiner „Liebelei“ auf ihn
gesetzt hatte, nicht erfüllt. Der Stimmungsgehalt und die scharfe
Porträtierung der Charaktere, die sonst Schnitzlers starke Seite zu
sein pflegten, sind hier bei weitem nicht mit der alten Meisterschaft
gehandhabt, und geblieben ist eigentlich nur die Prägnanz des
Tialogs, der zuweilen auch von witzigen und geistreichen Bemerkungen
dnichsetzt ist. Der stark hervortretende Zug zur Pikanterie, der in
Schnitzlers sein geschliffenen Einaktern ganz an seinem Platze war,
beeinträchtigt hier in diesen fünf Akten, denen vor allem die innere
Einheitlichkeit fehlt, völlig den Zug ins Große und Kraftvolle. Und
was das „weite Land“ der Seele betrifft, so bleiben diese Seelen
schen am Grenzpfahl stehen, aus Furcht, sich darin zu verirren, sind
sie doch schon verirrt genug!
Die Aufführung unter Herrn Bonnos Regie litt unter einem
gewissen Stilmangel, der sich besonders in den ersten Akten sehr
empfindlich bemerkbar in