W
box 29/
24. baste-Land
Schlesieche Volkszeitung, Fresian
15 10 PI7
Lobetheater.
Uraufführung.
„Das weiie Land.“
Tragikomödie in 5 Arten von Artur Schnißler.
Ein Sittenbild will Schnitzler in seinem neuesten Werke zeichnen, eine
Groteske hat er verfaßt. Es ist zur Genüge bekannt, daß in unseren
Tagen der Begriff von Ehre und Sittlichkeit oft eine Auslegung erfährt,
die tief bedenklich erscheint. Man weiß, daß sich in vielen Kreisen ein
Geist der Entartung, der auf unser ganzes Volksleben vergiftend wirkt,
bemerkbar macht. Daß aber in unseren chaftlichen Kreisen —
auch in Wiener Kreisen, die der Autor vielleicht in erster Linie im Auge
hat — eine solche sittliche Begrifsoverwirrung und Verwilderung gang
und gäbe ist, wie sie uns Artur Schnitzler durch seine Tragikomödie
„Das weite Land“ beweisen will, das muß ganz entschieden bestritten
werden. Wenn der Schriftsteller Zeitverhältnisse schildern,
wenn er
Auswüchse der Gegenwart geißeln will, so wird, wenn das
in
an.
gemessener Form geschieht, begreiflich, ja unter Umständen vielleicht so¬
gar als befreiend wirkend gefunden werden. Wenn aber, wie im
weiten Land“ Probleme angeschnitten werden, ohne nur den Versuch
einer Lösung zu machen, wenn uns der Autor in einen wahren Irrgarten
von Ehebrüchen führt, ohne diese zu geißeln und eine Schlußfolgerung
daraus zu ziehen, so verdient ein derartiges Stück eine noch weit schärfere
Ablehnung, als sie tatsächlich am Sonnabend abend erfolgt ist.
Eine in ihrer alle Begriffe übersteigenden Brutalität geradezu un¬
mögliche Figur ist dieser Fabrikant Friedrich Hofreiter, der seine Frau
hintergeht und dieselbe Frau verläßt, weil sie, obwohl sie einen
anderen, der Selbstmord verübt, liebt, ihrem Gemahl treu geblieben ist,
der dann auf seiner Hochgebirgsreise aufs neue einen Ehebruch begeht,
aber nun, als er nach Hause kommt, den Ehebrecher seiner Frau vor
die Pistole fordert und niederknallt. Ebenso unmöglich ist aber auch
die Figur dieser Gemahlin des Fabrikanten Hofreiter, die sich eben
diesem Ehebrecher, den ihr Mann dann tötet, während dessen Reise an
den Hals geworfen hat, um — fußend auf das vorhergehende Ver¬
halten ihres Mannes — diesen wieder zu gewinnen. Um das Schicksal
dieses Ehepaares dreht sich die Tragikomödie, deren fratzenhafter Aus¬
gang auch durch die Aussicht auf die nahe Wiederkehr des im Ausland
weilenden Kindes des Ehepaares Hofreiter in nichts gemildert wird.
Um die Familie Hofreiter hat Schnitzler noch einige Figuren gruppiert,
die sich zum Teil den Anschauungen des Herrn Hofreiter würdig an¬
reihen. Wir sehen den geschiedenen Gatten der Frau Meinhold, der die
Seele als „das weite Land“ bezeichnet, sehen den Bankier Natter, der
seine Frau so liebt, daß er sie ruhig Ehebrüche verüben läßt und sich
nur dadurch „revanchiert“, daß er dem Ehebrecher durch Gerüchte Un¬
annehmlichkeiten zu bereiten sucht, und sehen weiter Fräulein Erna, die
die Hand eines Ehrenmannes ausschlägt und mit Herrn Hofreiter ein
Verhältnis anknüpft. Dies alles bekommen wir in fünf Akten seivier
und als Beilagen werden einige geistreichelnde Gespräche aufgetragen.
Die Künstler setzten ihr besten Kräfte an das Werk, ohne es vor
dem Durchfall retten zu können. Herr Strobl versuchte als Fabri¬
kant Hofreiter aus der Rolke eine mögliche Figur zu machen, ein Be¬
ginnen, das trotz des vorzüglichen Spieles natürlich nicht gelang
Das gleiche gilt von Frau Santen, deren Spiel sich auf der bekannten
Höhe bewegte. Lobend zu erwähnen sind noch Herr Skoda als
Fähnrich, Fräulein Lind als Erna, Frl. Kernic als Adele, Herr
Elfeld als Dr. Mauer, Herr Schmidt als Bankier Natter und nicht
zuletzt Frl. Salta als Frau Meinhold.
Schon beim „Anatol“=Zyklus Schnitzlers stößt die Frivolität ab, da sie
nur als solche aufgetragen wird. Im „weiten Land“ wurde sie un¬
erträglich, da dem Stück jegliches tiefere Moment fehlt. Die Tragi¬
komödie, die in Breslau und gleichzeitig an mehreren anderen Bühnen
Deutschlands am Sonnabend zum ersten Male in Szene ging, wurde
im Lobetheater von dem zahlreich erschienenen Publikum abgelehnt.
Sogar Zischen machte sich bemerkbar, als eine kleine Gruppe Beifall am
Schluß erzwingen wollte. Die Ablehnung war wohlverdient.
P. H.
Ausschnitt aus
Breslauer Zeitung
Sktdor
vom:
F
II. II. Lobe=Theater. „Das weite Land“.*) Es ist nicht
ganz zutreffend, wenn Schnitzler sein neuestes Werk, das gestern an
unserem Lobe=TheatergematZwölj anderen Bühnen seine Urauf¬
*) Die Buch=Ausgabe ist soehen bei S. Fischer=Berlin erschienen.
führung erlebte, eine Tragikomödie nennt. Ein Drama, das durchaus zu
agischem Ausgang drängt und auch tragisch ausklingt, wird nicht dadurch
zur Tragikomödie, daß einige Personen und Episoden leicht komisch sind.
daß die Menschen sich frei und natürlich unterhalten, und daß es ganz frei
etwa von dem großen Pathos der Römertragödie ist. Freilich, auf dem hohen
Kothurn wandelt Schnitzler nicht, aber — dies kann nicht gut verschwiegen
werden — ein wenig auf Stelzen. Wenn ein guter, geistreicher Dichter
und kluger Mensch ein Werk schafft, so wird es sicher niemals dumm, lang¬
weilig oder schlecht sein; aber es liegt die Gefahr vor, daß es zu klug'
wird. Die Stelzengefahr! Schnitzler kompliziert die psychischen Regungen
zu sehr; so sehr, daß sie die dramatische Wirkung verlieren. Er tut es
diesmal ganz bewußt, gewissermaßen programmatisch. In dem Chaos der
menschlichen Seele, in dem die Ordnung nur künstlich geschaffen werden
kann, hat viel nebeneinander Platz, Treue und Trug, Anbetung und zu
gleich Verlangen nach einer anderen oder mehreren anderen; denn die
Seele ist ein weites Land! Schnitzler führt uns in manche weise
Seelenländer. Im Mittelpunkt der Ehebrüche — es sind schon Eheketten¬
brüche! — steht ein nicht mehr absolut junger, aber noch absolut erfolg¬
reicher moderner Renaissancemensch, der Fabrikant Hofreiter. Während er
selbst seine Frau mit einer Barbiersgattin fast offenkundig betrügt, beaig¬
wöhnt er seine Frau, die stolze und schöne Genia, daß ein junger,
russischer Künstler, der sich das Leben nimmt, ihr Geliebter gewesen.
Als er aber hört, daß er sich das Leben genommen, well
Frau Genia tugendhaft geblieben, entfremdet ihm das wiederum
die eigene Frau. Es macht ihn unruhig, daß jemand das
Leben verlieren mußte, eines Phantoms wegen, nur weil seine Frau
treu war. Und dieser selbe, so merkwürdig kompliziert empfindende Mann
betrügt schleunigst seine Frau mit einer anderen, diesmal einem jungen
Mädchen, und schießt einen jungen Fähnrich im Duell über den Hausen,
dem gegenüber Frau Genia nicht standhaft geblieben war. Es ist nicht
Liebesschmerz, nicht Eifersucht, nicht Rache; vielleicht am ehesten nich
gekränkte Eitelkeit oder auch Haß und Neid des langsam beginnendn
Alters gegen die siegreich anstürmende Jugend. Aber eine Brücke für das
Verständnis dieser verschiedenen seelischen Empfindungen wird nicht ge¬
schlagen; daß die Seele eben ein weites Land ist, ist ein philosophischer
Trost, aber kein dramatischer. Viel eher verstehen wir schon, daß sich
die arme Frau Genia, die in ihrem einfachen, gesunden Empfinden völl g
schwankend und irre geworden, nun doch trotz aller Tugend langsam
ins Verderben gleitet. Oder daß sich das junge Mädchen, das ganz fest
und sicher in sich selbst ruht und ihren Lebensweg in jedem Schritt sich
selbst wählt, dem unwiderstehlichen Fabrikdirektor zu eigen gibt. Oder
auch den Bankier, der die verschiedenen Ehebrüche seiner Frau genau
kennt, aber geduldig erträgt, weil er trotz alledem seine Frau liebt. Man
sieht, es mangelt nicht an Kombinationen. Um die Sache noch mehr
zu komplizieren, oder sagen wir, um die Konstruktion möglichst vollständig
zu machen, spielt der dritte Akt in einem Hotel, dessen Direktor ein Mann
mit einem besonders weiten Seelenland ist, ein Freund Hofreiters, ein
Mann, der sich vor langen Jahren von seiner an sich heißgeliebten Frau
getrennt hat, weil sie seine Theorie von dem weiten Seelenland in der
Praxis nicht anerkennen wollte, ein Mann, der der Vater des jungen
Fähnrichs ist, der zwar das väterliche Glück bei den Frauen geerbt
zu haben scheint, aber leider in seinem frühen Glück niedergeschossen wird.
Daß alle diese Menschen, deren Hauptbeschäftigung übrigens neben dem
Ehebruch das Tennisspielen ist, gut gesehene, scharf umrissene Tyven sind,
daß sie in ihren vielen Unterredungen manches feine, kluge Wort sprechen,
bedarf bei Schnitzler kaum der Erwähnung. Aber es fehlt dem Drama
eben der dramatische Atem und die Kraft der Ueberzeugung. So blieb denn
auch die Aufnahme bei dem fast ausverkauften Hause in den Grenzen
eines recht warmen, literarischen Achtungserfolges. Ja, nach dem Schluße
akte setzte sogar zunächst, ehe der Beifall es übertäubte, vernehmliches
Zischen ein. Freilich kam diese Aeußerung wohl nur von Leuten, die damit
ihrem Mißfallen nicht über den dramatischen Wert oder den dichterischen
Gehali Ausdruck geben wollten, sondern darüber, daß der arme Fähnrich
im Duell fiel. Am liebsten hätte man wohl ein unblutiges Duell gesehen,
oder zum mindesten hätte der böse Hofreiter fallen müssen. Ja, ja, es
ist schon nichts bei den modernen Dichtern mit der poetischen Gerechtigkeitt
Und deshalb zischten die naiven Genießer. — Die Aufführung tat alles,
um dem Werke zu einem möglichst großen Erfolge zu verhelfen, und der
Beifall dürfte nicht zum geringsten Teile der Darstellung gegolten haben.
Herr Strobel gab den Hofreiter durchaus als modernen Menschen, ohne
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Schlesieche Volkszeitung, Fresian
15 10 PI7
Lobetheater.
Uraufführung.
„Das weiie Land.“
Tragikomödie in 5 Arten von Artur Schnißler.
Ein Sittenbild will Schnitzler in seinem neuesten Werke zeichnen, eine
Groteske hat er verfaßt. Es ist zur Genüge bekannt, daß in unseren
Tagen der Begriff von Ehre und Sittlichkeit oft eine Auslegung erfährt,
die tief bedenklich erscheint. Man weiß, daß sich in vielen Kreisen ein
Geist der Entartung, der auf unser ganzes Volksleben vergiftend wirkt,
bemerkbar macht. Daß aber in unseren chaftlichen Kreisen —
auch in Wiener Kreisen, die der Autor vielleicht in erster Linie im Auge
hat — eine solche sittliche Begrifsoverwirrung und Verwilderung gang
und gäbe ist, wie sie uns Artur Schnitzler durch seine Tragikomödie
„Das weite Land“ beweisen will, das muß ganz entschieden bestritten
werden. Wenn der Schriftsteller Zeitverhältnisse schildern,
wenn er
Auswüchse der Gegenwart geißeln will, so wird, wenn das
in
an.
gemessener Form geschieht, begreiflich, ja unter Umständen vielleicht so¬
gar als befreiend wirkend gefunden werden. Wenn aber, wie im
weiten Land“ Probleme angeschnitten werden, ohne nur den Versuch
einer Lösung zu machen, wenn uns der Autor in einen wahren Irrgarten
von Ehebrüchen führt, ohne diese zu geißeln und eine Schlußfolgerung
daraus zu ziehen, so verdient ein derartiges Stück eine noch weit schärfere
Ablehnung, als sie tatsächlich am Sonnabend abend erfolgt ist.
Eine in ihrer alle Begriffe übersteigenden Brutalität geradezu un¬
mögliche Figur ist dieser Fabrikant Friedrich Hofreiter, der seine Frau
hintergeht und dieselbe Frau verläßt, weil sie, obwohl sie einen
anderen, der Selbstmord verübt, liebt, ihrem Gemahl treu geblieben ist,
der dann auf seiner Hochgebirgsreise aufs neue einen Ehebruch begeht,
aber nun, als er nach Hause kommt, den Ehebrecher seiner Frau vor
die Pistole fordert und niederknallt. Ebenso unmöglich ist aber auch
die Figur dieser Gemahlin des Fabrikanten Hofreiter, die sich eben
diesem Ehebrecher, den ihr Mann dann tötet, während dessen Reise an
den Hals geworfen hat, um — fußend auf das vorhergehende Ver¬
halten ihres Mannes — diesen wieder zu gewinnen. Um das Schicksal
dieses Ehepaares dreht sich die Tragikomödie, deren fratzenhafter Aus¬
gang auch durch die Aussicht auf die nahe Wiederkehr des im Ausland
weilenden Kindes des Ehepaares Hofreiter in nichts gemildert wird.
Um die Familie Hofreiter hat Schnitzler noch einige Figuren gruppiert,
die sich zum Teil den Anschauungen des Herrn Hofreiter würdig an¬
reihen. Wir sehen den geschiedenen Gatten der Frau Meinhold, der die
Seele als „das weite Land“ bezeichnet, sehen den Bankier Natter, der
seine Frau so liebt, daß er sie ruhig Ehebrüche verüben läßt und sich
nur dadurch „revanchiert“, daß er dem Ehebrecher durch Gerüchte Un¬
annehmlichkeiten zu bereiten sucht, und sehen weiter Fräulein Erna, die
die Hand eines Ehrenmannes ausschlägt und mit Herrn Hofreiter ein
Verhältnis anknüpft. Dies alles bekommen wir in fünf Akten seivier
und als Beilagen werden einige geistreichelnde Gespräche aufgetragen.
Die Künstler setzten ihr besten Kräfte an das Werk, ohne es vor
dem Durchfall retten zu können. Herr Strobl versuchte als Fabri¬
kant Hofreiter aus der Rolke eine mögliche Figur zu machen, ein Be¬
ginnen, das trotz des vorzüglichen Spieles natürlich nicht gelang
Das gleiche gilt von Frau Santen, deren Spiel sich auf der bekannten
Höhe bewegte. Lobend zu erwähnen sind noch Herr Skoda als
Fähnrich, Fräulein Lind als Erna, Frl. Kernic als Adele, Herr
Elfeld als Dr. Mauer, Herr Schmidt als Bankier Natter und nicht
zuletzt Frl. Salta als Frau Meinhold.
Schon beim „Anatol“=Zyklus Schnitzlers stößt die Frivolität ab, da sie
nur als solche aufgetragen wird. Im „weiten Land“ wurde sie un¬
erträglich, da dem Stück jegliches tiefere Moment fehlt. Die Tragi¬
komödie, die in Breslau und gleichzeitig an mehreren anderen Bühnen
Deutschlands am Sonnabend zum ersten Male in Szene ging, wurde
im Lobetheater von dem zahlreich erschienenen Publikum abgelehnt.
Sogar Zischen machte sich bemerkbar, als eine kleine Gruppe Beifall am
Schluß erzwingen wollte. Die Ablehnung war wohlverdient.
P. H.
Ausschnitt aus
Breslauer Zeitung
Sktdor
vom:
F
II. II. Lobe=Theater. „Das weite Land“.*) Es ist nicht
ganz zutreffend, wenn Schnitzler sein neuestes Werk, das gestern an
unserem Lobe=TheatergematZwölj anderen Bühnen seine Urauf¬
*) Die Buch=Ausgabe ist soehen bei S. Fischer=Berlin erschienen.
führung erlebte, eine Tragikomödie nennt. Ein Drama, das durchaus zu
agischem Ausgang drängt und auch tragisch ausklingt, wird nicht dadurch
zur Tragikomödie, daß einige Personen und Episoden leicht komisch sind.
daß die Menschen sich frei und natürlich unterhalten, und daß es ganz frei
etwa von dem großen Pathos der Römertragödie ist. Freilich, auf dem hohen
Kothurn wandelt Schnitzler nicht, aber — dies kann nicht gut verschwiegen
werden — ein wenig auf Stelzen. Wenn ein guter, geistreicher Dichter
und kluger Mensch ein Werk schafft, so wird es sicher niemals dumm, lang¬
weilig oder schlecht sein; aber es liegt die Gefahr vor, daß es zu klug'
wird. Die Stelzengefahr! Schnitzler kompliziert die psychischen Regungen
zu sehr; so sehr, daß sie die dramatische Wirkung verlieren. Er tut es
diesmal ganz bewußt, gewissermaßen programmatisch. In dem Chaos der
menschlichen Seele, in dem die Ordnung nur künstlich geschaffen werden
kann, hat viel nebeneinander Platz, Treue und Trug, Anbetung und zu
gleich Verlangen nach einer anderen oder mehreren anderen; denn die
Seele ist ein weites Land! Schnitzler führt uns in manche weise
Seelenländer. Im Mittelpunkt der Ehebrüche — es sind schon Eheketten¬
brüche! — steht ein nicht mehr absolut junger, aber noch absolut erfolg¬
reicher moderner Renaissancemensch, der Fabrikant Hofreiter. Während er
selbst seine Frau mit einer Barbiersgattin fast offenkundig betrügt, beaig¬
wöhnt er seine Frau, die stolze und schöne Genia, daß ein junger,
russischer Künstler, der sich das Leben nimmt, ihr Geliebter gewesen.
Als er aber hört, daß er sich das Leben genommen, well
Frau Genia tugendhaft geblieben, entfremdet ihm das wiederum
die eigene Frau. Es macht ihn unruhig, daß jemand das
Leben verlieren mußte, eines Phantoms wegen, nur weil seine Frau
treu war. Und dieser selbe, so merkwürdig kompliziert empfindende Mann
betrügt schleunigst seine Frau mit einer anderen, diesmal einem jungen
Mädchen, und schießt einen jungen Fähnrich im Duell über den Hausen,
dem gegenüber Frau Genia nicht standhaft geblieben war. Es ist nicht
Liebesschmerz, nicht Eifersucht, nicht Rache; vielleicht am ehesten nich
gekränkte Eitelkeit oder auch Haß und Neid des langsam beginnendn
Alters gegen die siegreich anstürmende Jugend. Aber eine Brücke für das
Verständnis dieser verschiedenen seelischen Empfindungen wird nicht ge¬
schlagen; daß die Seele eben ein weites Land ist, ist ein philosophischer
Trost, aber kein dramatischer. Viel eher verstehen wir schon, daß sich
die arme Frau Genia, die in ihrem einfachen, gesunden Empfinden völl g
schwankend und irre geworden, nun doch trotz aller Tugend langsam
ins Verderben gleitet. Oder daß sich das junge Mädchen, das ganz fest
und sicher in sich selbst ruht und ihren Lebensweg in jedem Schritt sich
selbst wählt, dem unwiderstehlichen Fabrikdirektor zu eigen gibt. Oder
auch den Bankier, der die verschiedenen Ehebrüche seiner Frau genau
kennt, aber geduldig erträgt, weil er trotz alledem seine Frau liebt. Man
sieht, es mangelt nicht an Kombinationen. Um die Sache noch mehr
zu komplizieren, oder sagen wir, um die Konstruktion möglichst vollständig
zu machen, spielt der dritte Akt in einem Hotel, dessen Direktor ein Mann
mit einem besonders weiten Seelenland ist, ein Freund Hofreiters, ein
Mann, der sich vor langen Jahren von seiner an sich heißgeliebten Frau
getrennt hat, weil sie seine Theorie von dem weiten Seelenland in der
Praxis nicht anerkennen wollte, ein Mann, der der Vater des jungen
Fähnrichs ist, der zwar das väterliche Glück bei den Frauen geerbt
zu haben scheint, aber leider in seinem frühen Glück niedergeschossen wird.
Daß alle diese Menschen, deren Hauptbeschäftigung übrigens neben dem
Ehebruch das Tennisspielen ist, gut gesehene, scharf umrissene Tyven sind,
daß sie in ihren vielen Unterredungen manches feine, kluge Wort sprechen,
bedarf bei Schnitzler kaum der Erwähnung. Aber es fehlt dem Drama
eben der dramatische Atem und die Kraft der Ueberzeugung. So blieb denn
auch die Aufnahme bei dem fast ausverkauften Hause in den Grenzen
eines recht warmen, literarischen Achtungserfolges. Ja, nach dem Schluße
akte setzte sogar zunächst, ehe der Beifall es übertäubte, vernehmliches
Zischen ein. Freilich kam diese Aeußerung wohl nur von Leuten, die damit
ihrem Mißfallen nicht über den dramatischen Wert oder den dichterischen
Gehali Ausdruck geben wollten, sondern darüber, daß der arme Fähnrich
im Duell fiel. Am liebsten hätte man wohl ein unblutiges Duell gesehen,
oder zum mindesten hätte der böse Hofreiter fallen müssen. Ja, ja, es
ist schon nichts bei den modernen Dichtern mit der poetischen Gerechtigkeitt
Und deshalb zischten die naiven Genießer. — Die Aufführung tat alles,
um dem Werke zu einem möglichst großen Erfolge zu verhelfen, und der
Beifall dürfte nicht zum geringsten Teile der Darstellung gegolten haben.
Herr Strobel gab den Hofreiter durchaus als modernen Menschen, ohne