W0
Lan
box 29/1
24. Das. 116
buig, Poreite.
(Oseilenangebe ohse Gewamr.
schnitt aus:
scher Courier
11 OKT 191
42
es in Wirklichkeit gar nicht gibt, wenigstens einem so furcht¬
Das weite Land.
baren, irrevarablen Ding gegenüber wie der Tod. Und
(Tragikomödie von Arthur Schnitzler.)
warum? Sie hat den Freund doch sehr gern gehabt: er
war leider nicht ihr Geliebter, sagt sie! Warum also, wo
Von Franz Rolan#
sie doch weiß, daß es nur Gleiches mit Gleichem vergelten
(Nachdruck verboten)
hieß, wenn sie Friedrich betrog? Nicht um seinetwillen blieb
„Sollte es Ihnen noch nicht aufgefallen sein, was für
sie
standhaft, nicht einmal um des Kindes willen — sie
komplizierte Subjekte wir Menschen im Grunde sind? So
konnte es eben einfach nicht — —
vieles hat zugleich Raum in uns! Wir versuchen wohl Ord¬
Friedrich flieht vor seiner Frau — 14 Tage hat er's mit
nung in uns zu schaffen, so gut es geht, aber diese Ordnung
sich herumgeschleppt, fast ohne es selbst ze wissen — da plötz¬
ist doch nur etwas Künstliches —. Die Seele — ist ein weites
lich, über Hals und Kopf, reist er davon — ins Gebirge mit
Land —
seinem Freunde — sie fragt nach dem Grunde — und er
Diese Sätze bergen den Kern des neuesten Schnitzlerschen
sagt es ihr offen und deutlich — so deutlich, daß es beinahe
Dramas; doch liegt der Kern nicht offen zutage, sondern er
schon wieder nicht wahr geworden ist — —
ist eingehüllt in die Augenblicksstimmung des Sprechenden —
Im Gebirge, wo, an einem Seile angeseilt, Friedrich,
aller Sprechenden. Man hört in diesem Stück die Menschen
sein Freund Mauer, und dessen stille Liebe, Fräulein Erna
sprechen — den augenblicklichen Einfällen und ihrer Stim¬
Wahl, dem Tode ins Gesicht geschaut und die Wonnen ge¬
mung entspringen Worte — aus den gesprochenen Worten
fahrvollster Hochgebirgsbesteigung genossen haben, erklärt
gehen Handlungen hervor, denn das einmal ausgesprochene
Friedrich Erna seine Liebe und den Wunsch, sich von seiner
Wort ist eine Tatsache geworden, die die Menschen zum
Frau scheiden lassen zu wollen — und nach der ersten und
Weiterhandeln zwingt, die Seele aber, die den Impuls für
einzigen Liebessucht jagt er davon, ruhelos, und schreibt kurze
das Wort gab, hat nichts mehr mit ihm zu schaffen, sobald
Ansichtskarten und Grüße aus Kaprile, Pordoi und Gott#
es auf der Zunge geboren ist.
weiß noch,, woher — —
Wir versuchen wohl Ordnung in uns zu schaffen — wir
Frau Genia, die Verlassene, fängt ein Verhältnis an mite
stellen Begriffe auf — geben Namen: Liebe — Haß — Eifer¬
einem jungen Fähnrich — aus Liebe — zu wem? — Viel¬
sycht — aber diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches.
leicht aus Liebe — zu Friedrich!
Der Fabrikant Friedrich Hofreiter hat eine Frau, und es
Friedrich ist heimlich zurückgekommen, hat erst unter
ist ihm Lebensgewohnheit, sie mit anderen Frauen und
Ernas Fenster gestanden, hat dann in seinem Garten seine
Mädchen zu betrügen, ganz offenkundig; es ist nicht (eine
Frau mit dem Fähnrich belauscht — sich auf die Wiese gelegte
Schuld, daß sie ihn nie direkt gefragt hat, er würde ihr
und prachtvoll geschlafen. — Es ist ihm wie eine innere Be¬
nichts abgeleugnet haben. — Liebt er seine Frau nicht? —
freiung, er geht nicht mehr als Schuldiger herum, er atmetz
Jedenfalls hat er ein merkwürdig gutes Gedächtnis für Ge¬
auf. Es ist, als hätte seine Frau Sühne getan für den Tod¬
sspräche — vielleicht ganz belanglose Gespräche — seiner Frau
des andern.
nit anderen Männern. — Ein guter Freund von ihm hat
Als er aber am nächsten Tag dem Fähnrich ins Auge¬
Selbstmord begangen — niemand ahnt — niemand kann
sieht, beleidigt er ihn tödlich — warum? „Wenn es Haß
jahnen, warum — nur Friedrich Hofreiter wittert — man
wäre — Wut — Eifersucht — Liebe.“ — „Na ja, von all
ann wirklich nur das Wort „wittern“ hier anwenden —
dem verspür ich allerdings verdammt wenig. Aber man
#irgendeinen Zusammenhang dieses Selbstmordes mit seiner
will doch nicht der Hopf sein." Er erschießt den
Frau. Sie gibt ihm den Abschiedsbrief des Freundes, den
Gegner im Duell.
unglückliche Liebe zu ihr zum Selbstmord trieb, zu lesen.—
Die Liebe seiner Frau stirbt an diesem „Mord“. Und
Er ist sprachlos vor Staunen, denn er hat wirklich nicht das
war es nicht doch „Liebe“, die Friedrich zum Morde trieb? —
Geringste gewußt; ihr auch nicht das Geringste angemerkt,
„Hineinschauen in mich kannst Du doch nicht. Kann keiner.“
als er ihr die Nachricht vom Tode des Freundes gebracht hat,
Genia flieht zur Mutter des Erschossenen. Erna möchte¬
trotzdem sie den Abschiedsbrief vorher erhalten hatte.
Friedrich folgen, wohin es immer geht,
„Wird nicht ans
Eifersucht? — O nein — ein dummes, albernes Wort —
genommen. Alles ist Täuschung. Aus, Erna, auch
keine Spur — im Gegenteil
Grauen flößt ihm die
zwischen uns!“
Frau ein, deren starre Tugend einen Menschen in den Tod
getrieben. Tugend — ein Nichts, ein Schemen, etwas, das
Es ist schrecklich, aus einem Drama, das in der gesamten
Weltliteratur einzig ist, zur Erleichterung des Verständnisses
*) Diese Zeilen, als Einleitung zu Schnitzlers neuester
ein Stück Inhalt herauszureißen, denn jede der hier nicht
Dichtung erscheinen im neuen Programmheft der „Schauburg“
genannten zahlreichen anderen Personen hat eine Seele —
die Uraufführung, zusammen mit Wien und Berlin, findet be¬ s und die Seele
— und so weiter.
kanntlich am Sonnabend, den 14. Oktober, statt.
Es wird schwer sein, das Stück, das so ganz weltfern
liegt von allem, was wir als „Theater“ kennen, überhaupt zu
spielen, denn selbst Ibsens Kunst wirkt hiergegen als
„Theater“ und die Seele jedes Zuschauers ist — ein
ettes Land.
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buig, Poreite.
(Oseilenangebe ohse Gewamr.
schnitt aus:
scher Courier
11 OKT 191
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es in Wirklichkeit gar nicht gibt, wenigstens einem so furcht¬
Das weite Land.
baren, irrevarablen Ding gegenüber wie der Tod. Und
(Tragikomödie von Arthur Schnitzler.)
warum? Sie hat den Freund doch sehr gern gehabt: er
war leider nicht ihr Geliebter, sagt sie! Warum also, wo
Von Franz Rolan#
sie doch weiß, daß es nur Gleiches mit Gleichem vergelten
(Nachdruck verboten)
hieß, wenn sie Friedrich betrog? Nicht um seinetwillen blieb
„Sollte es Ihnen noch nicht aufgefallen sein, was für
sie
standhaft, nicht einmal um des Kindes willen — sie
komplizierte Subjekte wir Menschen im Grunde sind? So
konnte es eben einfach nicht — —
vieles hat zugleich Raum in uns! Wir versuchen wohl Ord¬
Friedrich flieht vor seiner Frau — 14 Tage hat er's mit
nung in uns zu schaffen, so gut es geht, aber diese Ordnung
sich herumgeschleppt, fast ohne es selbst ze wissen — da plötz¬
ist doch nur etwas Künstliches —. Die Seele — ist ein weites
lich, über Hals und Kopf, reist er davon — ins Gebirge mit
Land —
seinem Freunde — sie fragt nach dem Grunde — und er
Diese Sätze bergen den Kern des neuesten Schnitzlerschen
sagt es ihr offen und deutlich — so deutlich, daß es beinahe
Dramas; doch liegt der Kern nicht offen zutage, sondern er
schon wieder nicht wahr geworden ist — —
ist eingehüllt in die Augenblicksstimmung des Sprechenden —
Im Gebirge, wo, an einem Seile angeseilt, Friedrich,
aller Sprechenden. Man hört in diesem Stück die Menschen
sein Freund Mauer, und dessen stille Liebe, Fräulein Erna
sprechen — den augenblicklichen Einfällen und ihrer Stim¬
Wahl, dem Tode ins Gesicht geschaut und die Wonnen ge¬
mung entspringen Worte — aus den gesprochenen Worten
fahrvollster Hochgebirgsbesteigung genossen haben, erklärt
gehen Handlungen hervor, denn das einmal ausgesprochene
Friedrich Erna seine Liebe und den Wunsch, sich von seiner
Wort ist eine Tatsache geworden, die die Menschen zum
Frau scheiden lassen zu wollen — und nach der ersten und
Weiterhandeln zwingt, die Seele aber, die den Impuls für
einzigen Liebessucht jagt er davon, ruhelos, und schreibt kurze
das Wort gab, hat nichts mehr mit ihm zu schaffen, sobald
Ansichtskarten und Grüße aus Kaprile, Pordoi und Gott#
es auf der Zunge geboren ist.
weiß noch,, woher — —
Wir versuchen wohl Ordnung in uns zu schaffen — wir
Frau Genia, die Verlassene, fängt ein Verhältnis an mite
stellen Begriffe auf — geben Namen: Liebe — Haß — Eifer¬
einem jungen Fähnrich — aus Liebe — zu wem? — Viel¬
sycht — aber diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches.
leicht aus Liebe — zu Friedrich!
Der Fabrikant Friedrich Hofreiter hat eine Frau, und es
Friedrich ist heimlich zurückgekommen, hat erst unter
ist ihm Lebensgewohnheit, sie mit anderen Frauen und
Ernas Fenster gestanden, hat dann in seinem Garten seine
Mädchen zu betrügen, ganz offenkundig; es ist nicht (eine
Frau mit dem Fähnrich belauscht — sich auf die Wiese gelegte
Schuld, daß sie ihn nie direkt gefragt hat, er würde ihr
und prachtvoll geschlafen. — Es ist ihm wie eine innere Be¬
nichts abgeleugnet haben. — Liebt er seine Frau nicht? —
freiung, er geht nicht mehr als Schuldiger herum, er atmetz
Jedenfalls hat er ein merkwürdig gutes Gedächtnis für Ge¬
auf. Es ist, als hätte seine Frau Sühne getan für den Tod¬
sspräche — vielleicht ganz belanglose Gespräche — seiner Frau
des andern.
nit anderen Männern. — Ein guter Freund von ihm hat
Als er aber am nächsten Tag dem Fähnrich ins Auge¬
Selbstmord begangen — niemand ahnt — niemand kann
sieht, beleidigt er ihn tödlich — warum? „Wenn es Haß
jahnen, warum — nur Friedrich Hofreiter wittert — man
wäre — Wut — Eifersucht — Liebe.“ — „Na ja, von all
ann wirklich nur das Wort „wittern“ hier anwenden —
dem verspür ich allerdings verdammt wenig. Aber man
#irgendeinen Zusammenhang dieses Selbstmordes mit seiner
will doch nicht der Hopf sein." Er erschießt den
Frau. Sie gibt ihm den Abschiedsbrief des Freundes, den
Gegner im Duell.
unglückliche Liebe zu ihr zum Selbstmord trieb, zu lesen.—
Die Liebe seiner Frau stirbt an diesem „Mord“. Und
Er ist sprachlos vor Staunen, denn er hat wirklich nicht das
war es nicht doch „Liebe“, die Friedrich zum Morde trieb? —
Geringste gewußt; ihr auch nicht das Geringste angemerkt,
„Hineinschauen in mich kannst Du doch nicht. Kann keiner.“
als er ihr die Nachricht vom Tode des Freundes gebracht hat,
Genia flieht zur Mutter des Erschossenen. Erna möchte¬
trotzdem sie den Abschiedsbrief vorher erhalten hatte.
Friedrich folgen, wohin es immer geht,
„Wird nicht ans
Eifersucht? — O nein — ein dummes, albernes Wort —
genommen. Alles ist Täuschung. Aus, Erna, auch
keine Spur — im Gegenteil
Grauen flößt ihm die
zwischen uns!“
Frau ein, deren starre Tugend einen Menschen in den Tod
getrieben. Tugend — ein Nichts, ein Schemen, etwas, das
Es ist schrecklich, aus einem Drama, das in der gesamten
Weltliteratur einzig ist, zur Erleichterung des Verständnisses
*) Diese Zeilen, als Einleitung zu Schnitzlers neuester
ein Stück Inhalt herauszureißen, denn jede der hier nicht
Dichtung erscheinen im neuen Programmheft der „Schauburg“
genannten zahlreichen anderen Personen hat eine Seele —
die Uraufführung, zusammen mit Wien und Berlin, findet be¬ s und die Seele
— und so weiter.
kanntlich am Sonnabend, den 14. Oktober, statt.
Es wird schwer sein, das Stück, das so ganz weltfern
liegt von allem, was wir als „Theater“ kennen, überhaupt zu
spielen, denn selbst Ibsens Kunst wirkt hiergegen als
„Theater“ und die Seele jedes Zuschauers ist — ein
ettes Land.