II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 438

Lan
24. Das weite
g: Bochumer Anzeiger
16 0kt 1911
Das weite Land,
Tragikomödie von Arthu==Schnitzler.
Uraufführung im Bochumer Neuen Stadttheater.
Arthur Schnitzler, der Wiener, ist bei uns im
Reiche eine bekannte Persönlichkeit. Seine Bücher sind
in Leihbibliotheken stark gefragt — ich bitte um Ent¬
schuldigung für diesen Ausdruck, und hinter dem
Opalglas manches modernen Bücherschranks sieht man
seinen „Anatol“ oder die „Liebelei“ stehen. Und da
bei uns in Deutschland kein Dichter so recht gewürdigt
wird, der nicht mit einem ausländischen verglichen wer¬
den kann, so hat man für Schnitzler das Schlagwort
vom „österreichischen Maupassant“ er¬
funden.
Es ist nicht schwer, einzusehen, wie der Wiener
zu dieser Ehre kommt. Was Maupassant in Deutsch¬
land beliebt gemacht hat, ist ja nicht seine wunderbar
scharfe Beobachtungsgabe und seine immer wieder
packende Psychologie. Sondern das ist seine schonungs¬
lose Art, das Thema des Sexuellen im menschlichen
Leben zu behandeln: den sprudelnden Bächen zu folgen.
heimliche Wasserläufe aufzudecken und unterirdische
Adern und Aederchen überall — überall zu finden.
Diese glänzende, französisch=elegante Art der Be¬
handlung und diese Vorliebe für das Erotische besitzt
auch Schnitzler. (Und insofern stimmt der Vergleich.)
Aber sie ist bei dem Wiener nur eine Lebensäußerung
einer kämpfenden und ringenden Künstlerseele. Einer
Seele, die aus der Fülle alles dessen, was die Kultur
unserer Zeit über uns gebracht hat, und die aus dem
ganzen komplizierten Seelenleben eines modernen
Menschen heraus nach einem Ausweg, nach dem
Wissen, — wenn es nicht so abgedroschen wäre, möchte
man fast sagen: nach einer Weltanschauung sucht. Ihn
kümmert nicht die materielle Not. Aber all die geistige
Not und körperliche Zerrissenheit des Großstäd¬
ters von heute, des Menschen aus der besseren Ge¬
sellschaft ldiesmal ohne Gänsefüßchen), hat in ihm einen
seltenen, ergreifenden Schilderer gefunden.
Das gibt uns Maupassant nicht. Und darum heißt
es das Beste und Wertvollste in Schnitzlers Werken
übersehen, wenn man ihn mit jenem plumpen Schlag¬
wort den „österreichischen Maupassant“ nennt.
Das weite Land....
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Der Doktor von Aigner, der auch als Direktor
gegeben hatte. Sie wußte ja um ihres Gatt#
eines Dolomitenhotels Wiener, Kavalier und Lebens¬
ziehungen zu anderen Frauen; aber sich dadus
künstler bleibt, gibt uns den Schlüssel zum Titel.
rächen, daß sie ihn ebenfalls hinterging — nein,
hatte sie nicht vermocht. Schon deshalb nicht,
„Das Natürliche,“ so meint er einmal in einer
Grunde ihres Herzens die Liebe — zu ihrem
nachdenklichen Minute. „ist das Chaos. Ja
mein
schlief.
guter Hofreiter, die Seele ...
ist ein weites Land,
Das versteht Hofreiter nicht. Einen Mens
wie ein Dichter es einmal ausdrückte.
Es kann
den Tod gehen lassen — aus Tugend? Nein,
übrigens auch ein Hoteldirektor gewesen sein.“
steht er nicht. Und so ist die Treue seiner Fr
In dieses weite Land läßt uns Schnitzler hinab¬
ein lauter Vorwurf gegen ihn selber ...
sehen. Vieles sehen wir da unten liegen, Dörfer,
trennt die beiden Menschen mehr als ie ...
Städte, Felder, Straßen. Eisenbahnzüge, Fabriken,
Das Leben geht weiter. In einem Dolomit
Meßbuden. Dazwischen die Menschen. Alles bewegt
trifft Hofreiter unter den anderen Bekannten
sich, hat einen Zweck, lebt.
Erna Wahl wieder, die er zu Hause kaum
hatte. Erna Wahl — dieselbe, die Hofreiter
Wir, die wir von der Höhe herabsehen, sehen wohl
Freund, Mauer, liebt und zur Frau will. Un
das Aeußerliche da unten und die Bewegung. Aber
beiden schlagen die Flammen zusammen: das
was da im Innern überall vorgeht, gärt und kämpft,
gerade, sichere Mädel, das Hofreiter wie sie sa
das bleibt uns ewig fremd.
ihrem siebenten Jahre liebt, wirft sich in seine
So fremd wie unsere Seele.... Was wissen wir
Das Leben aeht weiter. Genia ist zu Hau
Menschen denn von einander? Was wissen wir von
blieben und hat sich — war es bei ihr Liebe oder
uns selbst? — Auch da bleiben wir ja immer am
dem Fähnrich von Aigner geschenkt. Und nu
Aeußerlichen kleben. Und sehen selbst von dem nur
es rasch: der heimkehrende Hofreiter erhält durch
einen klein winzigen Ausschnitt. Den mag dann jeder
Zufall die Beweise für das Geschehene. Und
nennen, wie er will: Komödie, Tragödie, Operette,
Hofreiter, der nicht verstehen konnte, wie sein
Groteske. Wie jeder will.
„aus Treue“ einen andern sterben lassen konn#
selbe Hofreiter provoziert wegen ihrer Untre
Arthur Schnitzler hat den, den er uns diesmal
Duell. Der Andere fällt ..
zab, eine Tragikomödie genannt....
Der letzte Akt. Hofreiter wird sich dem
stellen und dann, später, irgendwohin ins
Wiener und Wienerinnen sind, wie fast immer,
gehen. Nicht mit Erna Wahl, wie diese will.
Schnitzlers Helden auch diesmal. Und auch diesmal
er fühlt sich mit einem Male alt ..
„Na
sind es Leute der besseren Gesellschaft. Leute, die nicht
schnapp ich doch zusammen. Aus, Erna, auch
vom Geldverdienen zu reden brauchen. Unter ihnen ist
uns. Du bist zwanzig, Du gehörst nicht zu mir
der Fabrikant Friedrich Hofreiter. (Der Name
Wagen rollt draußen, die Stimme seines, kleiner
klingt merkwürdig an den des Oberleutnants Hofrichter
nes dringt durch den Garten: „Ja, Percy.“ so wi
an — man erinnert sich an jene Giftmordaffäre.)
er einmal auf, „Ja, Percy, ich komme schon..
Hofreiter ist, wenn man so will, der Held der
Tragikomödie. Und — wieder merkwürdigerweise —
Eine Tragikomödie nannte Schnitzler sein
ein etwas unsympathischer Held. Biedermann im
Sprechen, Lebemann in der Liebe — trotzdem er ver¬
Aber — ich glaube, das läßt schon die knappe I
r
heiratet ist — und Egoist bis ins Aeußerste. Wir er¬
angabe sehen — man darf sich dadurch nicht t
leben gerade noch, wie er sein Verhältnis zu der Frau
lassen. Darf nicht erwarten, mit den Mensch
des Bankiers Natter löst — und erleben zu gleicher
der Bühne einmal so recht herzlich lachen zu
Zeit die letzten Wellenringe, die der Selbstmord des
Gewiß: da sind ein paar flott karikierte
Musikers Korsakow, schlägt. Hofreiter vermutet.
figuren, die sich in einem Lustspiel prächtig ausn
Korsakow habe in näheren Beziehungen zu seiner
würden. Gewiß: da sind tausend kleine, scharft
Frau gestanden.
Hofreiters Frau? Genia? Sie war unschuldig achtete Züge, die uns lächeln machen. Aber die
gewesen. Sie konnte ihrem Manne zeigen, daß sich der scheln ist wehmütig, oder auch bitter, je nachdem
4 Musiker aus unglücklicher Liebe zu ihr den Todi
Das liegt an Schnitzler. Schnitzler ist nu