II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 448

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24. Das beite nund
Zeitung: Bohemia


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Datum: 15, Okt. 1911
ieser Gesellschaft, die wohl in Sprache und nichts zu geben hat und nirgends verweilen mag,
Auftreten der unfrigen gleicht, der aber alles Geistig= schon einmal gezeigt: auf seinem einsamen Weg
„Das weite Jand“.
Seelische aus dem Geist und der Seele eines besonders, die Neige des Lebens hinab. Nun bringt er ihn
Verfeinerten zugeteilt worden ist. Es ist die beste wieder vor uns, und diesmal mitten in seinen Taten
Tragikomödie in fünf Akten von Arthur Schnitzler.
Blüte unserer bürgerlichen Kultur, aus ihrem na= und Abenteuern. Es ist derselbe Mensch; nur in
(Erstaufführung am Neuen deutschen Theater.)
türlichen Erdreich emporgezüchtet in eine dünnerei den Jahren der dichterischen Entwicklung seither noch
Den Menschen Schnitzlers begegnet man wie
etwas kälter, stählerner — vielleicht auch umso viel
und äußerst durchsichtige Atmosphäre. Darum eben
lieben Jugendbekannten nach Jahren der Entfernung.
großartiger geworden.
ist diese Nähe wohlbekannter Menschen dennoch so
Da sind sie wieder — und sinds doch auch nicht mehr.
interessant, darum ihre Ungewöhnlichkeit dennoch so
Friedrich Hofreiter, Fabrikant. Klug, reich, kühn,
vertraut.
Zwischen Erkennen und Wiederfinden vergeht ein
glücklicher Unternehmer, glücklicher Liebhaber. Faszi¬
Und darum mag man den Dichter auch dann
unruhiger Moment; in die vertrauten Gesichter
nierend, obwohl er die Vierzig längst hinter sich
haben sich freinde Züge eingegraben, — undeutliche
noch lieben, wenn sich ihm die Bewunderung ver¬
hat, rücksichtslos trotz der gepflegtesten Formen. Ihn
Kunde aus Tiefen, die im Augenblick nicht zu er¬
interessiert kaum etwas anderes, als sein Erfolg,
sagt; weil uns sein Spiel, wie immer es gestellt und
sein Genuß, seine Laune. „Gute Laune ist die
messen sind. Bis dann, nach dem spannenden Spiel
geführt sein mag, doch jedesmal enger an die Inti¬
einer schnellen Enträtselung, die Gewißheit wieder¬
Hauptsache auf Erden“, sagt er einmal. So lebt
mität dieser gepflegten und geklärten Menschlichkeit
heranbringt. Aus dem sicher umzirkelten Gebiet ihrer
kehrt: Sie sind, die sie waren; sind dieselben ge¬
er sein Leben eigentlich unverbunden und allein; er
blieben, mit dem durchschimmernd zarten Bau ihrer
gebraucht die Menschen, aber er hat sie nicht für
gesellschaftlichen Formen geht sein Weg sacht und
Scelen, mit ihrer gepflegten Sicherheit im Denken
eben in das Wunderreich ihrer inneren Möglichkei¬
sich. Sein kleiner Sohn ist irgendwo in England
und Tun, mit ihrer ganzen, ungemein distinguierten
ien hinüber, in das weite Land der Seele.
auf der Schule. Und Genia, seine Frau? Sie
und sehr fatalen Feinheit. Und was erst noch fremd
passen eben nicht zusammen und haben sich auf ein
Auch diesmal wieder strömt alle Kraft des
scheinbar leidliches Nebeneinander eingerichtet. Er
und neu erschien, das sind nur die Marken eines
Geschehens aus dem unerschöpflichen Urgrund stärkster
hat eben seiner Letzten, einer kleinen Gans von Ban¬
intensiven Erlebens, das sie inzwischen bereichert,
Seelenbewegung: aus der Liebe; auch diesmal
kiersfrau, den Abschied gegeben; seine Frau hat sich aus
vertieft, vielleicht auch beruhigt, aber keineswegs drängt alle Bebeutung des Erlebten dem einen un¬
innerer Reinlichkeit — oder aus verborgener Liebe
verwandelt hat. Sie sind dieselben; und was sie
ausweichlichen Ziele des Lebens zu: dem Tode. Ein
uns eiwa Neues zu sagen haben, sie sagen es im selben
zu ihrem Mann; wer könnte es genau genug
Spiel zwischen Liebe und Tod: es gibt ja fast kein
der Leidenschaft eines jun¬
Ton und Rhythmus, aus denselben Kräften und
unterscheiden?
Werk von Schnitzler, unter dessen Titel sich dieser
Gründen, wie dazumal.
gen Künstlers versagt, der darum aus dem
Vermerk nicht setzen ließe. Mit den Menschen
Es ist ein enger, verläßlich umgrenzter Kreis,
kommen auch die Motive wieder . .. liebe Jugend= Leben ging. Das macht ihr nun die Nähe ihres
eine Welt stetig wachsender Vertraulichkeiten. Das
Mannes unerträglich. Sie will von ihm, und kann,
bekannte, mit tieferen und geschärften Zügen. Aus
gibt diese besondere Wärme her, das wohlige Ge¬
ihrer reich abgestuften Fülle ist hier eines von herbster
fühl wertvoller Menschennähe, das sich allen Be= Bitterkeit ausgewählt: Das Motiv der hohen
oen Glmen, uch anden, ais hr die Wahrhent
denken gegen die Form und gegen die Weisheit des
sagen. Nun ist plötzlich er es, der nicht bei ihr aus¬
persönlichen Kultur ohne Güte, die darum unfrucht¬
Werkes selbst standhaft widersetzt. Denn es haftet bar und unnahbar bleiben muß; das Motiv des hält. Statt Bewunderung oder Dankbarkeit ergreift
nicht an der einzelnen Figur, nicht an ihrer Iuner= Siegers ohne Gewinn. Auch das ein Wiederfinden. ihn das Gefühl, daß dieser Frauentugend ein allzu
lichkeit oder ihrem Schicksal. Es umhegt die Gesamt= Schnitzler hat diesen frostigen Uebermenschen, der großes Opfer gebracht worden sei, daß sie sich nun