II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 470

Diese Seelenkomplikationen glossiert Schnitzler vier Akte lang übrigens Unrecht, wenn man ihn mit irgend einem der französischen
mit vielen feuilletonistischen Geistreichigkeiten und immer in einem Meister des Stils vergleicht: Schnitzler bedeutet mehr als sie, er
Dialog, der diese Akte zu einem feinen Konversationslustspiel auf ist nicht bloß der Causeur, er ist in Wahrheit der lachende Philosoph,
bemerkenswert solider psychologischer Grundlage stempelt. Vieles er ist der Psycholog, der nicht nur unterhält, sondern auch immer
in diesen Partien gehört zum Geschliffensten, was der geschmack= etwas zu sagen hat und durch seine verblüffenden Wahrheiten und
volle Dialogiker je gesprochen, und man freut sich vielfach dieser Offenheiten zum Nachdenken anregt. Hamburger Fremdenblatt.
Weisheit, die mit überlegenem humoristischen Schmunzeln die Wahr¬
Deutsches Schauspielhaus. Arthur Schnitzlers neueste Tragi¬
heit sagt und durch keine neue Entdeckung im weiten Lande seelischer
Stimmungen aus der Fassung zu bringen ist Umso größer das komödie „Das weite Land“, die gestern in Wien, Berlin, Hamburg,
Frankfurt und anderwärts zu gleicher Stunde gegeben wurde, hatte
Staunen, das der lächelnde Weise urplötzlich die Stirne zu finsteren
tragischen Falten runzelt. Der froh das Leben genießende Fabrikant im Deutschen Schauspielhause ein günstiges Schicksal. Sie machte
tritt mit einem Male mit den Tragödienhelden in Konkurrenz, greift neugierig mit ihrem ersten, interessierte mit ihrem zweiten, belustigte
zum Revolver und erschießt den von der Gattin begünstigten Fähn= mit ihrem dritten, spannte mit ihrem vierten und packte mit ihrem
rich. Diese tragische Krönung wirkt unorganisch. Doch gewiß ist fünften Aufzuge. Demgemäß gab es nach den ersten drei Akten
Grunde des Helden Liebe zur Gattin immer so glühend und echt nach dem fünften Aufzuge zu einem kräftigen Erfolge steigerte.
gewesen, daß er nicht anders handeln konnte? Und war ihm alles
Neue Hamburger Zeitung.
andere nur Episode? Es ist das Schlußfragezeichen des Schnitzler¬
So ist dieses Werk ein Beweis von der Kenntnis der menschlichen
schen Wertes, andeutend, daß es uns wohl immer versagt bleiben
Seele, eine starte Leistung an geistiger Kraft, eine echte Dichtung
wird, einzudringen in die Geheimnisse des weiten Landes, das wir
endlich, weil nicht spitzfindige Klügelei, sondern allein dichterische
Seele nennen.
Berliner Börsen=Zeitung.
Inspiration auf diesen allerverborgensten Pfaden des weiten Landes
Aber wie dem auch sei, es gibt in diesem wirren, plaudrigen,
führen konnte.
willkürlich gedrehten Werk einen Dialog und einige Szenen, die
Das Außere dieses Werkes zeugt von großer Kunst: der
ein Dutzend korrekterer, energischer geführten „Stücke“ aufwiegen.
dramatische Aufbau ist geschickt, was sich schon dadurch erweist,
Der erste Akt in seiner träumerischen Weichheit, einige heitere
daß eine Zuhörerschaft sehr bald durchaus gefesselt wird. Die
Details des dritten Aktes, die verhaltene Stimmung der ersten Charaktere sind von verblüffender Mannigfaltigkeit und doch jeder
Hälfte des vierten das sind Werte, die heute selten wer zu in sich geschlossen, eine zum mindesten interessante Persönlichkeit,
bieten hat.
B. Z. am Mittag. ein lebender Mensch. Die Sprache ist von ungezwungener Alltäg¬
lichkeit der Worte und doch oft schön. Hannoverscher Anzeiger.
Berlin, 14. Oktober. (Privattelegramm.) Schnitzler's Tragi¬
komödie „Das weite Land“ entließ das mit jedem Akt mehr und
Hannover, 14. Oktober. In der Schauburg zu Hannover
mehr gefesselte Publikum des Lessingtheaters mit dem Eindruck
fand heute unter ungeteiltem großen Beifall, bei vorzüglicher Dar¬
eines starken Erlebnisses Des Publikum verlangte lebhaft
stellung die erste Aufführung von „Arthur Schnitzler, Das weite
nach dem Autor, für den Direktor Otto Brahm dankte.
Land“ statt.
Neue Freie Presse. Wien.
Neues Wiener Tagblatt.
Das Stück ist kein Publikums=Erzeugnis. Leise, allzuleise
Es gibt wenig moderne Gesellschaftsstücke von so ausgesprochen
oft für den Theatererfolg geht es seinen Weg ins Innere der
tragischem Gehalt: und vielleicht keines, bei dem die Tragik trotz
Menschen, breitet die Fülle seiner Erkenntnisse, seiner feinziselierten
der allzuzarten Form noch so stark und aufrecht geblieben wäre.
Worte in allzubreit hinfließendem Strom aus. Biegt dann für
Das ist — wie jede echte Tragik — die Frucht eines tiefen und
mächtigen ethischen Wollens. Auch hierin verleugnet Schnitzlers einen Akt (den dritten) bewußt in ein populäres Fahrwasser, um
Dichtung ihre Herkunft aus dem Salonstück nicht, das ja auch hier freilich stark aus der Sphäre Schnitzlers in die grobkörniger
immer in einer moralischen Auseinandersetzung gipfelt. Nur daß Lustspielfabrikanten zu geraten. Kehrt mit dem vierten Akt in
bei dem modernen und unendlich verfeinerten Schnitzler die Schnitzlers Heimat zurück und formt dann ein Musterbeispiel
advokatorische Diskussion ganz vermieden und alle Erkenntnis echt stillster und dabei dramatischster Entladung.
Leipziger Neueste Nachrichten.
dichterisch auf das Gefühl gestellt ist. So hat er, in weiter Distanz
und mit seinen andersgearteten Kräften, einen ähnlichen Weg
Der Beifall des äußerst zahlreichen Publikums steigerte sich
zurückgelegt, wie der große Henrik Ibsen. Und in der Tat ist ja mit jedem Aktschlusse und wuchs nach dem fünften Akte zu solcher
bei Schnitzler die Verwandtschaft mit diesem mächtigen Gevatter Stärke an, daß Regisseur Basil für den abwesenden Dichter zu
der ganzen deutschen Moderne noch am stärksten und am ehrenvollsten danken genötigt war.
Bayrischer Kurier, München.
zu spüren.
Bohemia, Prag.
Aber allzuviel will das nicht besagen gegenüber dem
Das Publikum nahm das neue Werk des Wiener Dichters
Reichtum dieses Stückes an Feinheiten und Schönheiten des sehr
mit großem Interesse und Respekt entgegen und gab so reichlich
flüssigen und natürlichen Dialogs, an tiefen Gedanken und scharfen
Applaus, daß Oberregisseur Dr. Eger für den Dichter danken konnte.
Analysen. Man hat zwar von einem sehr geistvollen Dichter
Prager Tagblatt.
wie Schnitzler nichts anderes erwartet. Aber hier ist doch noch
Arthur Schnitzlers fünfaktige Tragikomödie „Das weite Land“,
mehr, als man mit einiger Sicherheit erhoffen durfte. Hier ist
ein Drama mit komplizierter Erotik und komplizierten Charakteren,
Überfluß, Reife und jenes gewisse Etwas, das nicht einen Moment
erwies sich bei der heutigen ersten Aufführung unter Dr. Carl Hage¬
das Interesse an den Hauptvorgängen erlahmen äßt. Wie man
mann's Regie als ein sehr wirksames Theaterstück mit literarischen
einen spannenden Roman in einem Zuge zu Ende liest, so fesselt
Qualitäten.
Hamburger Echo.
das Gegenständliche dieses Stückes, das heißt das Schicksal dieser
Menschen, bis zum letzten Satz. Allerdings vielleicht weniger um ihrer
Er ist ein Meister des feingeschlifsenen und pointierten Stils.
selbstwillen, als weil eben Schnitzlers Künstlerfinger sie geformt haben.
Mit einer Leichtigkeit, die sich nur noch bei den geschicktesten Franzosen
So kam am Samstag und ebenso gestern bei der ersten Wieder¬
vorfindet, gleitet der Wiener über die schlüpfrigsten und gewagtesten
holung ein unbestrittener, starker Erfolg nach allen Akten zustande.
Situationen und Gespräche hinweg, ohne zu verhüllen und ohne
zu Zweidentigkeiten seine Zuflucht zu nehmen. Man tut ihm
Münchener Zeitung.