II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 475

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24. Das weite Land
hassen, daß er treu und untreu sein kkönne war das Neue.
ist, ohne sich dessen bewußt zu sein, die fehlt, ohne dafür
Der Ausgangspunkt für die ganze Gegenwart. Auch
zur Verantwortung gezogen werden zu können. Mit so
Schnitzler knüpfte hier vor Jahren an. Und gestern hat
viel innerlicher Hoheit war sie ausgestattet, ein lichter
Medk in „Das weite Land“ geführt. Das weite
Schein war um sie gebreitet. Im übrigen schien eine fast
Land ist das Land der Seele, in dem viele Wege gehen:
allgemeine Verschwörung zum Undeutlichsprechen im Gange
vieles nebeneinander Raum hat, auch das Unvereinbarste
zu sein. Die Stimmung des Stückes drückte auf die Sprech¬
Nachbarschaft halten muß. Viele Wege sind da, kreuz und
technik. Von den zahlreichen Personen seien die edle und
quer durch das weite Land. Auch Holzwege. Und bei aller
larmoyante Schauspielerin der Frau Wiesner, der fesche
Ehrerbietung für Schnitzler sei es gesagt — auf einem solchen
Globetrotter des Herrn Neufeld, die beschränkte Frau
Holzweg scheint Schnitzler zu gehen. Seine Menschen sind
Wahl des Fräuleins Rogall, der edelgesinnte Doktor
mme schon etwas müde und schlaff gewesen. Sie haben
Mauer des Herrn Recke, der Tennisidiot des Herrn
iel gelächelt, wissend gelächelt, trübsinnig gelächelt und,
Warbeck erwähnt. Herr Rehberger war ein Junker
venn einer einmal einen Anlauf nahm, etwas anderes zu
keck, Frl. Ries gab sich mit der glaubhaften Unbesonnen.
tun, als trübsinnig weise zu lächeln, so schien es nur zu
heit einer ersten Liebe. Herr Strauß stand als Bankier¬
dem Zwecke zu geschehen, um einem klugen Arzt, — der
type gut und aufrecht da. Herrn Lenhart fehlte das
immer da war — Anlaß zu einsichtsvollen Bemerkungen
Faszinierende, das man seinem Doktor Aigner nachsagte.
über das Leben zu geben. Das war immer schon so mit
den Menschen Schnitzlers. Aber sie waren immer in ein leb¬
haftes Geschehnis gespannt, das sie zwang, sich irgendwie
zu entscheiden. Aber jetzt haben diese Schnitzlerschen Men¬
schen psychologische Arterienverkalkung bekommen. In dem
neuen Drama spielen sie bloß Tennis und denken darü####
nach, wie fürchterlich kompliziert sie sind. Es fließt fast
kein Blut mehr in ihnen, alle Körperlichkeit hat sich ver¬
flüchtigt, sie bestehen nur mehr aus Instinkten und Gehirn¬
substanz. Die Instinkte sind sozusagen auch bloß Begriffe
geworden und einzig zu dem Zwecke da, um der Gehirnsub¬
stanz einen Stoff zum Spintisieren zu geben. Das neuent¬
deckte Wunder in der künstlerischen Darstellung des Men¬
schen betraf die Zwiespältigkeit seines Willens. Aber Schnitz¬
lers Menschen wollen schon gar nicht mehr. Sie lassen sich
immer von sich selber überraschen. Sie steigen auf Aigner¬
türme, sie spielen Tennis „in guter Form“ aber sie sind
seelenmüde, psychologisch anämisch. Und nach der fünften
Tennispartie fällt ihnen auf einmal ein: „Sehderanda!
Heut bin ich also so!“ Und nun denken sie darüber nach
und besprechen mit ihren Freunden, wie merkwürdig das
sei, daß sie so sind und zugleich doch vielleicht auch wieder
anders. Die Kunst der Seelenzergliederung ist zur psycholo¬
gischen Nabelbeschauung geworden. Man weiß von den
Buddhisten her, daß einem beim Nabelbeschauen ganz ab¬
gründige Sachen einfallen. Aber Dramen pflegen nicht
daraus zu werden. Auch bei Schnitzler ist keines daraus ge¬
worden. Da ist der Fabrikant Hofreiter, der liebt seine Frau
und bandelt gleichze.g mit einigen andern, sie weiß das,
aber sie betrügt ihn dennoch nicht mit dem Virtuosen Dasa¬
kow, so daß sich dieser ersch'eßt. Als der Gatte das aus
einem hinterlassenen Driefe erfährt, freut er sich nicht der
höchst unverdienten Anständigkeit der Frau, sondern erklärt,
ihre Tugend sei ihm unheimlich, weil sie einen Menschen in
den Tod getrieben habe. Gleich darauf läßt er sich in ein
neues Liebesabenteuer mit einem jungen Mädchen ein. Er
will sich von seiner Frau scheiden lassen und sie heiraten.
Er spricht so, daß man überzeugt ist, er sei überzeugt. Das
ist eine große Leidenschaft. Und am nächsten Morgen reist
er ab, Er kommt dahinker, daß ihn seine Frau nun endlich
doch betrügt. Mit einem Marine=Fähnrich. Und er beleidigt
den armen Jungen, so daß sich der zum Duell stellen muß.
Er zwingt ihn zum Kampf, obzwar er seine Frau nicht liebt
und nicht haßt. Und er haßt auch den jungen Mann eigent¬
lich nicht. Aber er erschießt ihn, weil er ihn im Augenblick
des Kampfes doch haßt. Und kehrt zurück und ist glücklich,
weil seine Frau nun erklärt, daß es aus ist. Das junge
Mädchen aber, das sich ihm nun anbietet und mit ihm in
die Welt gehen will, weist er zurück. Und noch kurz vor
dem Fallen des Vorhanges entdeckt er Vatergefühle in sich
.. Und Frau Genia, seine Gattin! Sie liebt ihn nicht und
nöchte ihn aus „Revanche“ betrügen, aber sie tut es nicht.
Und schließlich tut sie es doch, obzwar sie den Fähnrich
licht liebt, aber dann verläßt sie ihren Mann, weil er den
fähnrich erschossen hat. So sind fast alle Menschen dieses
Stückes. Das weite Land! So ist nun einmal die Seele des
Renschen, sagt Schnitzler. Aber das ist eine Ausrede. Him¬
nelkreuzdonnerwetter, ist denn die ganze Menschheit nur
ius lauter Willensschwindsüchtigen zusammengesetzt? Gibt