II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 481

WG
24. bas iteLand
box 29/2
Ausschnitt aus:
Köinische Zeitung
vom:
R
Theater und Musik.
18 Köln. Vor acht Tagen ist Arthur Schnißlers fünfaktige
Tragikomödie Das weite Land gleichzeitig in einem Dutzend deutscher
Städte dem Premierenpublikum dargeboten worden; am Samstag
ist diesen Bühnen unser Schauspielhaus gefolgt. Leider hätte
das Deutsche Theater für denselben Abend ebenfalls eine Erstaufführung
angesetzt, und so waren die Freunde dramatischer Kunst genötigt, sich in
zwei Hausen zu teilen. Das mag in Berlin oder Wien angehen, wo das
Interesse am musiklosen Drama größere Kreise erfüllt, nicht aber in
Köln, wo der das gesprochene Wort pflegenden Schaubühne die ver¬
ständnisvolle Teilnahme der großen Menge noch fehlt; hier gilt es, die
den Kern der Premieren=Besucher bildenden Literaturfreunde zusammen¬
zuhalten, damit##sich im stimmungvertiefenden gemeinsamen Genuß
als Einheit fühlen lernen. Daß auch die Rücksicht auf die berufsmäßige
Kritik davon abhalten sollte, zwei Erstaufführungen auf denselben Abend
zu legen, soll nur angedeutet sein. Über Schnitzlers neues Stück hat
die Kölnische Zeitung schon (in Nr. 1134) von Berlin und Wien aus
ziemlich eingehend berichtet; darum darf sie über die hiesige Aufführung
kürzer sein. Wir versuchen, eine gedrängte Zusammenfassung des Ge¬
schehens zu geben, die zugleich erkennen lassen wird, wie wohlberechnet
die Dinge geordnet und gefügt sind — fast so untadelig wie eine mathe¬
matische Aufgabe samt ihrer Lösung, freilich auch mit der herzkühlenden
Wirkung solcher Übungen.
Am Eingang des Dramas liegt eine Leiche, ebenso am Schlusse (in
der Mitte des Stücks erhebt sich dazu der undeutliche Schatten eines
dritten Toten). Es sind die Opfer eines bei aller frivolen Heiterkeit des
Gehabens zynisch=brutalen Herrenmenschen, des Fabrikanten Hofreiter,
der in rücksichtslosem Genießertum erotischen Abenteuern nachgeht. Er
wähnt, seine Gattin Genia zu lieben und betrügt sie doch in schamloser
Offenheit, heute mit einer leichtfertigen Bankiersfrau, morgen mit einer
klugen Jungfrau, die schon darauf brennt, töricht zu sein. Seine Seele
ist das weite Land, wo Liebe und Treulosigkeit, Ehrlichkeit und Verrat
einträchtig beieinander wohnen. Frau Genia weiß, wie sie betrogen
wird, liebt trotzdem den Gatten und wirbt um seine Zärtlichkeit — immer
umsonst. Ihr Verehrer, ein junger Musiker, geht, von Hofreiter zu einer
Art amerikanischen Duell gezwungen, in den Tod (erste Leiche). Hof¬
reiter wünscht, um seine Blutschuld vor sich rechtfertigen zu können, vond
Genia zu hören, daß sie des Musikers Geliebte gewesen. Als er sicht
aus einem Briefe überzeugt hat, daß Genia rein geblieben ist, gibt er¬
ihr zu verstehen, daß ihm das Ge##teil lieber wäre. Sie wiederholt¬
nunmehr das Liebesspiel mit einem hubschen Marine=Fähnrich, es in der¬
ihr nahegelegten Weise abwandelnd, und muß gleichwohl erleben, daß
Hofreiter den jungen Menschen zum Duell fordert und ihn erschießt¬
(zweite Leiche). Warum tötet er? Nicht aus Eifersucht, sondern weil
in dem Nebenbuhler ihm die starke und lebenstrahlende Jugend entgegen¬
trat, die er für sich nicht wieder zurückrufen kann. Mit der Trennung
der Ehegatten schließt das Drama die Haupthandlung. Daneben wird
ein in seinen entscheidenden Wendungen um Jahre zurückliegender
Paralleifall einer zerbrochenen Ehe dargestellt. Auch hier ist der Mann
Das Wesen mit der weiträumigen Seele, in der Liebe und Liebeleien
mitsammen gedeihen. Schnitzler verführt dazu, die Parallelen zu ver¬
sängern: Der Sohn dieser Ehe ist jener Marine=Fähnrich, den Hofreiter
erschießt. Da nun auch aus Hofreiters Ehe ein Sohn entsprossen ist (der
Am Schluß des Stücks aus seiner englischen Schule zum Besuch eintrifft)
so öffnet sich dem Zuschauer der betrübliche Ausblick, daß auch dieser junge
Mann dereinst der Kugel eines betrogenen Ehegatten, der in ihm die
Jugend haßt, zum Opfer fallen wird. Man sieht hier wie in der Haupt¬
Sie
bietet einen
handlung die Mathematik des Aufbaus.
antellektuellen Reiz, aber nichts für die Teilnahme des Gemüts.
Auch von den Personen sind nur wenige, deren Art
sdem Zuschauer einiges Mitgefühlt abnötigt. Im ganzen ist diese — angeb¬
liche wienerische — Welt des leichtsinnigen Genusses, der dreisten Ehe¬
brücheleien, der frivolen Offenlegung intimster Dinge, der ideallosen Skepfis
zund der lächelnden Verderbtheit in ihren Daseinsäußerngen recht un¬
serfreulich; es ist eine Welt, die das Leben als Spiel bewertet, aus der
Liebe eine Sportübung macht: es ist so etwas wie ein Symbol, daß die
(Personen drei volle Akte hindurch Lawn Tennis spielen. Man kann nicht
warm werden unter diesen Schnitzlerschen Menschen und ertappt sich wohl
gar bei dem Gedanken, die ganze Gesellschaft sei im Grunde nichts nütze
und zum Untergang reif. Es ist kein Ausgleich für das Gefühl des Un¬
behagens, wenn man an dem Dialog die Vorzüge wiedererkennt, die die
Sprache von Schnitzlers frühern Stücken auszeichnen: der scheinbar breite,
zwanglos plaudernde Fluß der Rede, das rechtzeitige, die Spannung
sichernde Abbrechen und Unterbrechen, die kunstlos scheinende Einfügung
kluger, nachdenklicher oder paradoxer Wendungen.
Die hiesige Darstellung der Tragikomödie hatte sich nach Kräften bemüht,
die Schwierigkeiten, welche die beiden Hauptrollen bieten, zu überwinden. Diese
Schwierigkeiten ergeben sich daraus, daß der Dichter die Charakter¬
linien der beiden das Stück tragenden Figuren nicht überall klar und
unmißverständlich herausgebracht hat. Solcher verwischten Stellen gibt's
so viele, daß man sogar von Grund aus verschiedene Auffassungen der
Rollen beinahe gleichermaßen rechtfertigen kann. Herr Goetz hatte sich
den Hofreiter als einen noch ziemlich jugendlichen Mann mit drauf¬
gängerischer Unbesorgtheit zurechtgelegt, Frau Frey gab die Genia
mit einer gewissen ruhigen, das Erlebte verbergen wollenden freundlich¬
müden, ein wenig nachdenklichen Kühle; beide zeigten erst im Schlußakt
etwas mehr von den innern Nöten, die sie bewegten. Es wäre wohl der
Erwagung wert, den brntalen-Getten—dem—das Bagenöfrohe seiner
Nebenbuhler Vernichtungsgedanken eingibt, minder jung und frisch, die
durch die Untreue des Mannes verletzte Frau mit deutlichern Zügen
schmerzlicher Resignation zu zeichnen. In der Parallelhandlung, die
der Dichter allzu tnapp gehalten hat, zeigten sich Herr Ekert und Frau Teller