II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 506

24. Das weite Land
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den wir den tragischen nennen. Schnitzlers Stück hat nicht Krauß nicht die Gelegenheit, seine eigentliche Begabung
den großen einheitlichen Zug, nicht die straffe Handlung,
zu entfalten, sehr charakteristische Erscheinungen dagegen
die unwiderstehlich nach einem fernen Ziele strebt, sondern
stellten die übrigen Darsteller auf. Fräulein Klink¬
es sind nur lauter einzelne Gestalten, die sich vom Strome des
hammer als zärtliche Mutter des Fähnrichs, Herr
Gesellschaftslebens zueinander und voneinander, weg treiben
Bayr hammer als Direktor Dr. v. Aigner in einer höchst
lassen, ganz unmotiviert ihre Empfindungen wechseln,
wirksamen Maske, Herr Meyer, Dr. Mauer, der ein¬
zige ernste Mann des Stückes, und Herr Kanzenel
willenlos sich dem erotischen Taumel hingeben und nicht
Herren, sondern Sklaven ihres Schicksals und ihrer eigenen un¬
der schon oben genannte, sowie die Herren Schwarz, Pfeil
kontrollierbaren Entschlüsse sind. Innerhalb seiner eigenen
Janssen. Auerbach. — Die Rolle der Erna hätte Fräulein
Irmen wohl noch farbiger und persönlicher gestalten
persönlichen Sphäre ist jeder konsequent, in dem Verhält¬
müssen. — Die Abtönung des Dialoges und die Stimmung
nis zu den Mitmenschen aber fehlt der Kompaß und die
des Ganzen brachte die Regie des Herrn Dr. Heine mit
Handlungen wirken sprunghaft und ohne tiefere Moti¬
bestem Gelingen zur Wirkung.
vierung. Dieses ewige chassez-croisez der Herzen, die un¬
G.Z.
bedenklich sich verbinden und wieder lösen, verhindert, daß
= Frankfurter Komödienhaus. Dem neuesten Schwank
wir an diesen Schicksalen, die Schnitzler in bunt ver¬
des bekannten Wiesbadener Sprudelhumoristen Curt
schlungener, aber nur zufällig verbundener Handlung zu¬
n
Kraatz (zusammen mit Artur Hoffmann) „E
sammenbringt, tieferen Anteil nehmen. Da hilft denn alle
Windhund“ wäre bei seiner Mainzer Aufführung
künstlerische Klein= und Feinarbeit, aller Reichtum des fein¬
kürzlich beinahe das Malheur passiert, daß er mit dem
geschliffenen Dialogs, alle Kenntnis der Wirklichkeit nichts,
Majestätsbeleidigungsparagraphen kollidiert wäre. Aber
um den Eindruck des Ganzen zu ändern. Es fehlt, um es kurz
so'n Glück für die Reklame gibt es selbst nicht in
zu sagen, die dramatische Kraft, die das Ganze mit ruhiger
Schwänken und sonst im Leben schon gar nicht mehr,
Sicherheit einem von vornherein bestimmten Ziele zu¬
denn erstens ist der bewußte Paragraph dehnbarer, und
führt. Das Interesse zerflattert durch die Menge der
zweitens sind die Schwänke zahmer geworden. Im dritten
Einzelschicksale, die sich nicht zum Organismus zusammen¬
Akt dieses Schwankes soll dem Landesherrn ein sozial¬
bringen lassen. Daher kommt der Eindruck viel zu großer
demokratischer Abgeordneter vorgestelltweden und dazu
Breite, den die fünf Akte machen, wie denn Schnitzler
meint der leutselige Fürst: „Warum dennicht, mein
in
seinen letzten Stücken sich immer mehr von
Kollege (in Hessen) hat es ja gerade sorgemachten Das ist
der Bühne entfernt und sich zu sehr in den verschlungenen
die hinreichend verdächtige Stelle, bei dertülrigens, am
Pfaden seines schönen Dialogs verliert. Es liegt wie
Samstag abend im Komödienhaus in keiner Weise irgend¬
eine tiefe Müdigkeit über seinem Schaffen. Seine schweren
wie das seelische oder patriotische Gleichgewicht beschädigt
Erfahrungen in dem ärztlichen Berufe mögen hier wohl
worden ist. Soweit man konstatieren könnte, fiel nämlich
entscheidend mitsprechen.
niemand von seinem Sitz herunter. Es ist also zu hoffen,
Das alles aber darf uns nicht hindern, die Quali¬
daß Herr Kraatz seine fürchterliche Drohung — die er
täten dieses Werkes und seinen eigenartigen Charakter,
gegen unsere hessischen Nachbarn ausgestoßen hat — er
sowie die Plastik seiner Gestalten und die Fülle
werde von nun an nur noch Trauerspiele dichten — ge¬
der Gedanken in vollem Umfange anzuerkennen.
gen die Frankfurter als Belohnung für ihr wohldiszipli¬
Die Aufführung stand auf einem erfreulichen Niveau,
niertes Verhalten nicht wahr machen wird. Man müßte
wenn auch nicht alle Rollen richtig besetzt schienen. Herr
denn doch bezweifeln, ob der Verfasser dieses „Wind¬
Bauer, der den Friedrich Hofreiter darstellte, verdient
hundes“ zum Trauerspieldichter den nötigen Ernst und
zwar Bewunderung für die große Elastizität, mit der er
die Wucht der Tragik hätte, Alles spricht dagegen,
immer wieder seine neuen Rollen durchdringt, aber
namentlich die Fülle des Witzes und Humors und die
man möchte doch, daß er in der Charakteristik sich
sich fast überstürzende Situationskomik (es ist sogar ein
noch enger an die Absichten des Dichters anschlössel bißchen zu toll), die er in den engen Rahmen eines!
und die besonderen Einzelzüge noch reicher ge= Schwankes hineingedeichselt hat und dann die ganze
staltete. Die besondere Schwierigkeit der Rolle liegt Figur dieses „Windhundes“ selbst, um den das Stück
freilich vor allem darin, daß ihre Umrißtinien so unbe=drumherumgeschrieben ist. Dieses „Windhundes“, der wie
stimmt sind. Man gelangt nie zu einem festen Urteil
eine Windhose über eine deutsche Residenzstadt hinsegt
über seine Liebesaffären, da man nicht weiß, ob die
und in der Landtagswahlbewegung alles mit sich reißt.
jugendlichen Züge seines Wesens oder die Ueberlegenheit
Herr Schönemann, der den „Windhund“ mit Verve
des gereiften Mannes überwiegen sollen. Das ist wohl sof spielte, riß sogar mit seiner Behendigkeit im Reden und
vom Dichter beabsichtigt, hindert aber die tiefere Wirkung. mit seiner Methode „Fix=fix“ die Zuhörer mit, die auf
Von den übrigen Rollen tritt in den Vordergrund nur die
offener Szene applaudierten und Herrn Kraatz nach
Genia, die Gattin Hofreiters. Frl. Wulf gab ihr vielleicht
jedem Aktschluß kräftig hervorriefen. In der von dem
ein wenig zu schwere Akzente, so daß es schwer wurde,
favoritisierten „Windhund“ vorgelegten Pace und in dem
zu verstehen, daß auch sie im Grunde derselben oberfläch¬
von der Regie des Herrn Erich Neubürger ge¬
lichen Genußfreude sich ergab wie die anderen Mitgliederlnommenen Tempo fügten sich die übrigen Mitspielenden
der Gesellschaft. Der Marine=Fähnrich Otto gab Herrn gut und nur mit geringen Abständen ein. Zweite, dritte