24. Das weite land
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Es wute bei solcher Süchtage sehr zu begrußen gewesen.] Wandlung seines Freundes Barty machte er allerdings nicht
das Chaos“ ... Also eine nihilistische Tendenz, die sofort
nunmehr, sehr gegen die Absicht des Dichters, auf die sym¬
die Frage nach sich zieht, wie sich denn das Weib zu dieser:
pathische Persönlichkeit Genias konzentriert.
supponierten Unbeständigkeit männlicher Liebe stellt. Wenn
man die Handlung des Stückes als Antwort auf diese Frage
So sehen wir denn Hofreiter, der Cade des zweiten Auf¬
ansehen darf — und man darf das wohl —, dann gibt Schnitz¬
zugs seine Frau verläßt, um zu reisen, gleichgültig ins „weite
ler eigentlich zwei Antworten. Frau Genia Hofreiter, so zeigt
Land“ seiner weiteren crotischen Abenteuer entschwinden,
er — wenn auch nicht sehr deutlich — bewahrt dem treulosen
sehen ihn gleichgültig mitten im Gesellschaftstreiben eines
Gatten trotz allen Verrats die seelische Treue, im Spiel der
österreichischen Alpenhotels eine neue Aventiure absolvieren
und wundern uns nur über den Dichter der im dritten Aufzug
Erotik aber hintergeht sie ihn. Es muß hier freilich sogleich
das Wort „zeigt“ durch „beweist“ ersetzt werden, denn das
eine Doublette dieser Figur vorstellt, einen Schicksalsgenossen
Hofreiters im „weiten Land“ der ehelichen Untreue, der zudem
Problem ist nur logisch=rechnerisch gelöst, künstlerisch nicht ge¬
formt worden. Schnitzlers Drama als solches ist mißlungen...
gar gefühlsstärker und gewichtiger als dieser erscheint und dem
denn auch das oben zitierte thematische Motto in den Mund
Im ersten Aufzug sieht man in eine Ehekrise hinein. Der
gelegt wird.
Fabrikant Hofreiter und seine Frau sind sich fremd geworden.
Stärkste Verwunderung überkommt uns aber im vierten
Durch seine Schuld. Er jagt anderen Frauen nach, sie grämt
ssich darüber, da sie ihn noch immer liebt, findet sich aber in
Akt, wo Frau Genia sich plötzlich als Geliebte eines ebenfalls
itter=weiser Resignation mit ihrem Schicksal ab. Rächt sich
auftauchenden bläßlichen Marinefähnrichs präsentiert. Eine
„
ort
auch nicht, vergilt nicht Gleiches mit Gleichem. Obwohl ihr
Wandlung, die der Dichter einfach dekretiert, nicht erklärt,
nicht geschildert hat, während es ihn doch Mühe genug gekostet
die Versuchung nahe genug kommt. Sie kann eben nicht —
hätte, hier diesen physischen Verrat am andern, diesellntreue ge¬
ährer Natur nach nicht —, und läßt so einen Anbeter an ihrer
gen sich selbst glaubhaft zu machen. Es hilft nichts, wir müssen
Istarren Festigkeit zu Grunde gehen. Der Gatte aber (der in
nun auch Frau Genia in ein „weites Land“ entlassen, in das
seinen erotischen Beziehungen sozusagen gerade frei geworden
ist) erfährt davon.
Nebelland dichterischer Willkür, in dem seelische Konstruktionen
ihr gestaltloses, schemenhaftes Dasein vegetieren. Die beiden
Dieser Akt ist ein ausgezeichneter Auftakt. Er exponiert
Schlußakte, in denen Schnitzler wieder auf glatter Theater¬
die Handlung vortrefflich und zeigt die Gestalten in wün¬
bahn geht, brauchen nur der Registrierung wegen zur Kennt¬
schenswerter Klarheit. Frau Genia: gelassen, ruhig, von über¬
nis genommen zu werden: Da entdeckt der Gatte das Verhält¬
egener Klugheit und natürlicher Güte, deren Liebe einen
nis und schießt den Rivalen im Duell nieder.
Hauch von mütterlicher Sorglichkeit angenommen hat (man
Doch nein: auf dieser glatten Theaterbahn liegt noch eine
R8
#nag an die Gattin des Virtuosen in Bahrs „Konzert“ denken);
ironische oder — wenn man will — tregikomische Pointe, daß
ker: eine interessante, ja blendende Mischung von echt wieneri¬
nämlich die große Geste des Sexualanarchisten und =Kommu¬
schem Charmeur und modernem, fast englisch anmutendem
nisten, der seiner Frau theoretisch die gleiche Ehefreiheit oder
Weschäftsmann, ein geistreicher, aber innerlich kalter Sinnen¬
Libertinage zubilligt wie sich selbst, daß diese Geste in der Praxis
Emensch. — Frage an das dramatische Schicksal des zweiten
persönlichen Erlebens vor dem dunklen Etwas des konventio¬
Aufzugs: Wie wird ihn dies Erlebnis von Frauentreue be¬
nellen Ehrbegriffs und des Männchen=Instinkts zur lügen¬
brühren? Wird er an ihm wachsen oder es von sich weisen?
haften Grimasse wird, daß die Beharrungsmacht ererbi uralier
tes Feld“ —
Gesellschaftsbegriffe auch diesen verwegensten Eigenmoralisten
Nach seiner Charakteranlage darf man nicht annehmen,
nach allerlei
zu sich herunterzwingt. Eine Pointe, die allerdings nicht stark
daß ihn innerlich überlegenes Frauentum sogleich auf
öglichkeiten
wirkt, da sie erstens an einer gleichgültigen Persönlichkeit auf¬
Kniee zwingt; ale wenn ihn Schnitzler diese Treue
nnt Arthur
gezeigt wird und zweitens weder an sich noch bei Schnitzler
# verstehen; läßt, wenn Hofreiter einfach nicht be¬
chenseele, den
neu ist: in Andeutung steckt sie bereits in der Duellszene von
greift, daß Genias Tugend wegen ein Mensch in den Tod
aller Ordnung
„Effi Briest“ von der sich der Wiener Dichter hat anregen
gehen mußte, wenn sie ihm deshalb unheimlich wird — dann
m genaueren
lassen, ganz deutlich und klar ausgeführt aber auch schon in
bringt Schnitzler in dieser brutalen Kürze der dramatischen
Weibe. „So
seinem eigenen älteren Drama „Freiwilds.
Folge einen an sich möglichen, nicht unverständlichen, ja feinen
eine Parallelfigur
Was durch den grauen Nebel von Schnitzlers „weitem
Gedankengang in unglaubwürdige Ueberspannung hinein.
Liebe und Trug
Land“ durchschimmert, ist Stück= und Teilwerk: ein geschliffe¬
Diese Spitzfindigkeit psychologischer Argumentation macht die
die eine und Ver¬
ner Dialog, geistreiche und witzige Aperaus, gewandt bewegte
Konturen Hofreiters nicht deutlicher, nicht klarer, sie fügt ihm
Wir versuchen wohl
Figurengruppen und lebendige Episodenmenschen, ansehnliche
höchstens einen so starken Zug seelischer Roheit und gefühls¬
geht, aber diese Ord¬
seelische Stimmungskunst und zum Schlusse geschickte Theater¬
armer Oberflächlichkeit bei, daß er und sein Schicksal nicht
züge. technische Rontine. Aber auch dies Arabeskenwerk ist oft
Das Natürliche ist 1weiter zu interessieren vermögen und alle Anteilnahme sich I ins Schuldkonto zu schreiben: da wo es, wie vor allem im
—
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Es wute bei solcher Süchtage sehr zu begrußen gewesen.] Wandlung seines Freundes Barty machte er allerdings nicht
das Chaos“ ... Also eine nihilistische Tendenz, die sofort
nunmehr, sehr gegen die Absicht des Dichters, auf die sym¬
die Frage nach sich zieht, wie sich denn das Weib zu dieser:
pathische Persönlichkeit Genias konzentriert.
supponierten Unbeständigkeit männlicher Liebe stellt. Wenn
man die Handlung des Stückes als Antwort auf diese Frage
So sehen wir denn Hofreiter, der Cade des zweiten Auf¬
ansehen darf — und man darf das wohl —, dann gibt Schnitz¬
zugs seine Frau verläßt, um zu reisen, gleichgültig ins „weite
ler eigentlich zwei Antworten. Frau Genia Hofreiter, so zeigt
Land“ seiner weiteren crotischen Abenteuer entschwinden,
er — wenn auch nicht sehr deutlich — bewahrt dem treulosen
sehen ihn gleichgültig mitten im Gesellschaftstreiben eines
Gatten trotz allen Verrats die seelische Treue, im Spiel der
österreichischen Alpenhotels eine neue Aventiure absolvieren
und wundern uns nur über den Dichter der im dritten Aufzug
Erotik aber hintergeht sie ihn. Es muß hier freilich sogleich
das Wort „zeigt“ durch „beweist“ ersetzt werden, denn das
eine Doublette dieser Figur vorstellt, einen Schicksalsgenossen
Hofreiters im „weiten Land“ der ehelichen Untreue, der zudem
Problem ist nur logisch=rechnerisch gelöst, künstlerisch nicht ge¬
formt worden. Schnitzlers Drama als solches ist mißlungen...
gar gefühlsstärker und gewichtiger als dieser erscheint und dem
denn auch das oben zitierte thematische Motto in den Mund
Im ersten Aufzug sieht man in eine Ehekrise hinein. Der
gelegt wird.
Fabrikant Hofreiter und seine Frau sind sich fremd geworden.
Stärkste Verwunderung überkommt uns aber im vierten
Durch seine Schuld. Er jagt anderen Frauen nach, sie grämt
ssich darüber, da sie ihn noch immer liebt, findet sich aber in
Akt, wo Frau Genia sich plötzlich als Geliebte eines ebenfalls
itter=weiser Resignation mit ihrem Schicksal ab. Rächt sich
auftauchenden bläßlichen Marinefähnrichs präsentiert. Eine
„
ort
auch nicht, vergilt nicht Gleiches mit Gleichem. Obwohl ihr
Wandlung, die der Dichter einfach dekretiert, nicht erklärt,
nicht geschildert hat, während es ihn doch Mühe genug gekostet
die Versuchung nahe genug kommt. Sie kann eben nicht —
hätte, hier diesen physischen Verrat am andern, diesellntreue ge¬
ährer Natur nach nicht —, und läßt so einen Anbeter an ihrer
gen sich selbst glaubhaft zu machen. Es hilft nichts, wir müssen
Istarren Festigkeit zu Grunde gehen. Der Gatte aber (der in
nun auch Frau Genia in ein „weites Land“ entlassen, in das
seinen erotischen Beziehungen sozusagen gerade frei geworden
ist) erfährt davon.
Nebelland dichterischer Willkür, in dem seelische Konstruktionen
ihr gestaltloses, schemenhaftes Dasein vegetieren. Die beiden
Dieser Akt ist ein ausgezeichneter Auftakt. Er exponiert
Schlußakte, in denen Schnitzler wieder auf glatter Theater¬
die Handlung vortrefflich und zeigt die Gestalten in wün¬
bahn geht, brauchen nur der Registrierung wegen zur Kennt¬
schenswerter Klarheit. Frau Genia: gelassen, ruhig, von über¬
nis genommen zu werden: Da entdeckt der Gatte das Verhält¬
egener Klugheit und natürlicher Güte, deren Liebe einen
nis und schießt den Rivalen im Duell nieder.
Hauch von mütterlicher Sorglichkeit angenommen hat (man
Doch nein: auf dieser glatten Theaterbahn liegt noch eine
R8
#nag an die Gattin des Virtuosen in Bahrs „Konzert“ denken);
ironische oder — wenn man will — tregikomische Pointe, daß
ker: eine interessante, ja blendende Mischung von echt wieneri¬
nämlich die große Geste des Sexualanarchisten und =Kommu¬
schem Charmeur und modernem, fast englisch anmutendem
nisten, der seiner Frau theoretisch die gleiche Ehefreiheit oder
Weschäftsmann, ein geistreicher, aber innerlich kalter Sinnen¬
Libertinage zubilligt wie sich selbst, daß diese Geste in der Praxis
Emensch. — Frage an das dramatische Schicksal des zweiten
persönlichen Erlebens vor dem dunklen Etwas des konventio¬
Aufzugs: Wie wird ihn dies Erlebnis von Frauentreue be¬
nellen Ehrbegriffs und des Männchen=Instinkts zur lügen¬
brühren? Wird er an ihm wachsen oder es von sich weisen?
haften Grimasse wird, daß die Beharrungsmacht ererbi uralier
tes Feld“ —
Gesellschaftsbegriffe auch diesen verwegensten Eigenmoralisten
Nach seiner Charakteranlage darf man nicht annehmen,
nach allerlei
zu sich herunterzwingt. Eine Pointe, die allerdings nicht stark
daß ihn innerlich überlegenes Frauentum sogleich auf
öglichkeiten
wirkt, da sie erstens an einer gleichgültigen Persönlichkeit auf¬
Kniee zwingt; ale wenn ihn Schnitzler diese Treue
nnt Arthur
gezeigt wird und zweitens weder an sich noch bei Schnitzler
# verstehen; läßt, wenn Hofreiter einfach nicht be¬
chenseele, den
neu ist: in Andeutung steckt sie bereits in der Duellszene von
greift, daß Genias Tugend wegen ein Mensch in den Tod
aller Ordnung
„Effi Briest“ von der sich der Wiener Dichter hat anregen
gehen mußte, wenn sie ihm deshalb unheimlich wird — dann
m genaueren
lassen, ganz deutlich und klar ausgeführt aber auch schon in
bringt Schnitzler in dieser brutalen Kürze der dramatischen
Weibe. „So
seinem eigenen älteren Drama „Freiwilds.
Folge einen an sich möglichen, nicht unverständlichen, ja feinen
eine Parallelfigur
Was durch den grauen Nebel von Schnitzlers „weitem
Gedankengang in unglaubwürdige Ueberspannung hinein.
Liebe und Trug
Land“ durchschimmert, ist Stück= und Teilwerk: ein geschliffe¬
Diese Spitzfindigkeit psychologischer Argumentation macht die
die eine und Ver¬
ner Dialog, geistreiche und witzige Aperaus, gewandt bewegte
Konturen Hofreiters nicht deutlicher, nicht klarer, sie fügt ihm
Wir versuchen wohl
Figurengruppen und lebendige Episodenmenschen, ansehnliche
höchstens einen so starken Zug seelischer Roheit und gefühls¬
geht, aber diese Ord¬
seelische Stimmungskunst und zum Schlusse geschickte Theater¬
armer Oberflächlichkeit bei, daß er und sein Schicksal nicht
züge. technische Rontine. Aber auch dies Arabeskenwerk ist oft
Das Natürliche ist 1weiter zu interessieren vermögen und alle Anteilnahme sich I ins Schuldkonto zu schreiben: da wo es, wie vor allem im
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