WG
24. Das 1te Land
box 29/2
sschnitt aus Schwäbischer Merku#
Stuttgart
M
S
B
Kgl. Hostheater.
Die Aufführung war unter der sicheren Leitung von Dr.!
Das weite Land, Tragikomödie von A. Schnitzler. [Bloem alles Lobes wert. Hr. Junker schuf in seinem Hof¬
reiter eine packende, namentlich in den tragischen Partien er¬
O. Stuttgart 20. Mai. Die Feier von Arthur Schnitzlers
greifende Gestalt. Anfangs hätte er wohl dem rastlosen Ge¬
50. Geburtstag hat die Hofbühne letzten Samstag mit der
nießer mehr Lebensfrische und robustes Zugreifen geben dürfen;
Erstaufführung seiner neuesten Dichtung, der Tragikomödie
da schien uns die Zermürbtheit und Müdigkeit seines Spiels
„Das weite Land“, begangen. In der Tat ist dieses Drama,
nicht ganz am Platz zu sein. Aber auch so war seine Schöpfung
venn es auch nicht die beste seiner Bühnenschöpfungen ist, doch
aus einem Guß. Frau Remolt gab ihrer Genia in einem
in Vorzügen und Schwächen trefflich geeignet, ein sicheres Bild
eindrücklichen vornehmen Spiel eine schwerblütige edle Größe. Mit!
der geistvollen, kulturfeinen, parfümierten Kunst des Wiener
dieser Vertiefung hat sie freilich die rätselhafte Wandlung die¬
Dichters zu geben. Es bewegt sich in der Sphäre, in der sich
ser Frau nicht eben verständlicher gemacht. Aus der vom
Schnitzler zu Hause fühlt, die er liebt und zugleich verabscheut,
Dichter recht oberflächlich gezeichneten Erna machte Frau Hof¬
die ihm um ihres rauschenden Lebens willen so interessant und
meister so viel sich ihr abgewinnen ließ. Herm. Blank
wegen ihrer inneren Leere so trostlos erscheint, in der
erwies als Dr. Mauer von neuem seine Befähigung für ruhige,
Sphäre der genußsüchtigen Lebenskünstler und Egoisten, deren
verstandesklare Naturen. Frl. Rossi zeichnete in der Rolle
Dasein aufgeht in Geselligkeit, Sport und ewig wechselnder
der Frau Wahl die seichte Gesellschaftsdame mit köstlichen
Liebelei. In diesen Kreisen, die er uns in anmutigem Plauder¬
Strichen. Als Vertreter der kleineren Rollen bewährten sich
ton mit einer fast ermüdenden Breite vorführt, findet er den
die Damen Künniger und Eichholz und die Herren Richter,
Boden für die melancholische Lebensweisheit, daß die Seele
Tenhaeff, Alsen und Springer. Die szenische Umrahmung
ein weites Land ist, ein Land voll unbekannter versteckter
bekundete, wenn man die Stilmischung in der Ausstattung des
Tiefen und Risse, die ein festes Weiterschreiten unmöglich
Villagartens im ersten und zweiten Akt als in den Verhält¬
machen, ein Chaos, in dem Treue und Untreue, Liebe zu einer
nissen gegeben hinnimmt, feinen Geschmack. Das Hotelentré
und Verlangen nach der andern unentwirrbar zusammen sind.
im 3. Akt war in Ausstattung und Raumwirkung gleich vor¬
In der Unberechenbarkeit des Geschehens, in dem rätselhaften
nehm und echt bis auf den regelrecht auf= und abgehenden
Bestimmtwerden unseres Handelns durch ein geheimnisvolles
Lift, mit dem Schnitzler freilich dem Sensationsbedürfnis des
Unterbewußtes liegt die Tragikomödie des Lebens. Der Inhalt
Publikums eine schlimme Konzession gemacht hat. Das
des Stücks ist an dieser Stelle bereits geschildert worden
Publikum nahm die Neuheit sehr freundlich auf.
(Ab.Bl.vom 18 ds.), so daß hier darüber weggegangen werden kann.
Wohl folgt man eine Zeitlang dem Versuche Schnitzlers, die
geheimen Unterstimmen des Bewußtseins erklingen zu lassen,
mit Interesse, man sucht sich abzufinden mit diesen Unbegreif=
lichkeiten und Launenhaftigkeiten vorübergehender Augenblicks¬
stimmungen, aber nur zu bald wird man inne, wie in diesem
wogenden Uebel latenter Gefühle alle feste Zeichnung, alle
dramatische Folgerichtigkeit verloren geht. Auch der Gedanke,
dem Schnitzlers Drama Ausdruck geben will, ist von der Ober¬
fläche des Lebens genommen. Wohl mag es von einer mit
nichtigem selbstsüchtigem Lebensgenuß ausgehöhlter Gesellschaft
gelten, daß schließlich der Spleen und die Verworrenheit der
Seele, die Treue und Untreue, Liebe und Verrat nicht zu
trennen weiß, das Schicksal bestimmen; vom Menschen als
solchen gilt das nicht. Jeder sicher in sich ruhende Geist fühlt,
daß in allem, was ihm begegnet, selbst im Unerwartetsten und
Ueberraschendsten, der feste Kern seiner Persönlichkeit, sein
innerstes Wesen sich auswirkt. Schnitzlers feiner, hochkultivierter
liebenswürdiger Persönlichkeit, der alles zu verstehen und alles
zu vergeben, tiefstes Bedürfnis ist, fehlt die sittliche Kraft einer
starken Natur, aus der allein ein tieferes
Verständnis des
Menschen und ein echtes Drama erwächst.
—.—
24. Das 1te Land
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Kgl. Hostheater.
Die Aufführung war unter der sicheren Leitung von Dr.!
Das weite Land, Tragikomödie von A. Schnitzler. [Bloem alles Lobes wert. Hr. Junker schuf in seinem Hof¬
reiter eine packende, namentlich in den tragischen Partien er¬
O. Stuttgart 20. Mai. Die Feier von Arthur Schnitzlers
greifende Gestalt. Anfangs hätte er wohl dem rastlosen Ge¬
50. Geburtstag hat die Hofbühne letzten Samstag mit der
nießer mehr Lebensfrische und robustes Zugreifen geben dürfen;
Erstaufführung seiner neuesten Dichtung, der Tragikomödie
da schien uns die Zermürbtheit und Müdigkeit seines Spiels
„Das weite Land“, begangen. In der Tat ist dieses Drama,
nicht ganz am Platz zu sein. Aber auch so war seine Schöpfung
venn es auch nicht die beste seiner Bühnenschöpfungen ist, doch
aus einem Guß. Frau Remolt gab ihrer Genia in einem
in Vorzügen und Schwächen trefflich geeignet, ein sicheres Bild
eindrücklichen vornehmen Spiel eine schwerblütige edle Größe. Mit!
der geistvollen, kulturfeinen, parfümierten Kunst des Wiener
dieser Vertiefung hat sie freilich die rätselhafte Wandlung die¬
Dichters zu geben. Es bewegt sich in der Sphäre, in der sich
ser Frau nicht eben verständlicher gemacht. Aus der vom
Schnitzler zu Hause fühlt, die er liebt und zugleich verabscheut,
Dichter recht oberflächlich gezeichneten Erna machte Frau Hof¬
die ihm um ihres rauschenden Lebens willen so interessant und
meister so viel sich ihr abgewinnen ließ. Herm. Blank
wegen ihrer inneren Leere so trostlos erscheint, in der
erwies als Dr. Mauer von neuem seine Befähigung für ruhige,
Sphäre der genußsüchtigen Lebenskünstler und Egoisten, deren
verstandesklare Naturen. Frl. Rossi zeichnete in der Rolle
Dasein aufgeht in Geselligkeit, Sport und ewig wechselnder
der Frau Wahl die seichte Gesellschaftsdame mit köstlichen
Liebelei. In diesen Kreisen, die er uns in anmutigem Plauder¬
Strichen. Als Vertreter der kleineren Rollen bewährten sich
ton mit einer fast ermüdenden Breite vorführt, findet er den
die Damen Künniger und Eichholz und die Herren Richter,
Boden für die melancholische Lebensweisheit, daß die Seele
Tenhaeff, Alsen und Springer. Die szenische Umrahmung
ein weites Land ist, ein Land voll unbekannter versteckter
bekundete, wenn man die Stilmischung in der Ausstattung des
Tiefen und Risse, die ein festes Weiterschreiten unmöglich
Villagartens im ersten und zweiten Akt als in den Verhält¬
machen, ein Chaos, in dem Treue und Untreue, Liebe zu einer
nissen gegeben hinnimmt, feinen Geschmack. Das Hotelentré
und Verlangen nach der andern unentwirrbar zusammen sind.
im 3. Akt war in Ausstattung und Raumwirkung gleich vor¬
In der Unberechenbarkeit des Geschehens, in dem rätselhaften
nehm und echt bis auf den regelrecht auf= und abgehenden
Bestimmtwerden unseres Handelns durch ein geheimnisvolles
Lift, mit dem Schnitzler freilich dem Sensationsbedürfnis des
Unterbewußtes liegt die Tragikomödie des Lebens. Der Inhalt
Publikums eine schlimme Konzession gemacht hat. Das
des Stücks ist an dieser Stelle bereits geschildert worden
Publikum nahm die Neuheit sehr freundlich auf.
(Ab.Bl.vom 18 ds.), so daß hier darüber weggegangen werden kann.
Wohl folgt man eine Zeitlang dem Versuche Schnitzlers, die
geheimen Unterstimmen des Bewußtseins erklingen zu lassen,
mit Interesse, man sucht sich abzufinden mit diesen Unbegreif=
lichkeiten und Launenhaftigkeiten vorübergehender Augenblicks¬
stimmungen, aber nur zu bald wird man inne, wie in diesem
wogenden Uebel latenter Gefühle alle feste Zeichnung, alle
dramatische Folgerichtigkeit verloren geht. Auch der Gedanke,
dem Schnitzlers Drama Ausdruck geben will, ist von der Ober¬
fläche des Lebens genommen. Wohl mag es von einer mit
nichtigem selbstsüchtigem Lebensgenuß ausgehöhlter Gesellschaft
gelten, daß schließlich der Spleen und die Verworrenheit der
Seele, die Treue und Untreue, Liebe und Verrat nicht zu
trennen weiß, das Schicksal bestimmen; vom Menschen als
solchen gilt das nicht. Jeder sicher in sich ruhende Geist fühlt,
daß in allem, was ihm begegnet, selbst im Unerwartetsten und
Ueberraschendsten, der feste Kern seiner Persönlichkeit, sein
innerstes Wesen sich auswirkt. Schnitzlers feiner, hochkultivierter
liebenswürdiger Persönlichkeit, der alles zu verstehen und alles
zu vergeben, tiefstes Bedürfnis ist, fehlt die sittliche Kraft einer
starken Natur, aus der allein ein tieferes
Verständnis des
Menschen und ein echtes Drama erwächst.
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