II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 580

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24. Das1ie Land
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wi sich immer mehr in Wiederholungen und Einzel- In der Budgetkommission des Reichstags der Diskreton zu verletzen, darüber #
heiten. Herr Müller=Meiningen setzte dem Staats- wurde heute ein Antrag der Fortschrittlichen Herren haben, beschlossen eine beso
sekretär mit vier kitzlichen Fragen wegen des Urheber-]Volkspartei eingebracht, wonach dem Reichstag deri sation mit, einer Zentralste
scheint. Obwohl auch andere behaupten, daß die „Auf¬ Es ist immer derselbe Leitgedank
Stuttgarter K. Hoftheater.
hebung des geschlechtlichen Alleinbesitzes heute in großen
ganze Dichtung zieht: gar viele unter
Städten so gut wie vollzogen ist". Man watet eine Weile
Das weite Land.
dem Chaos ihrer mit bewußter Vernu
durch schwülduftige Großstadtsümpfe, bis man wahrnimmt
wußten Gefühle unterworfen. Sie len
Tragikomödie von Artur Schnitzler.
daß die Bühne doch an ihren alten Regeln festhält, und
blick, der Augenblick lenkt sie, nach des
(Buch=Verlag von S. Fischer in Berlin.)
auch bei Schnitzler noch Schillers wehmütiges Wort sich
glaubst zu schieben und wirst geschoben.
bestätigt, daß „Gerechtigkeit nur auf der Bühne ist“. Denn
Nun ist er 50 Jahre alt, der Dichter der „Liebelei",
leicht in uns ehrlich „Ordnung schaffen
dem argen „Helden“ dieses Stückes widerfährt schließlich
des Hohenliedes auf das süße Mädel, der Dichter mit den
doch fehl im weiten Land, von dunklen
Gerechtigkeit. Er vollzieht sie sogar selbst an sich. Er, der
zarten feinen, weichen Weltmanns=Händen der Dichter
bezwungen.
Das ist das Trag
eine gewisse entfernte Verwandtschaft mit Wedekinds
des lacht vexwesenden Wienertumes um die Wende unserer
„Herrenmenschen“, des Siegers auf de
Marquis v. Keith hat, der, ein Verführer aus instinktiver
Jahrhüfwerte- Und wie Alldeutschlands Bühnen, so hul¬
ihn so komisch hilflos macht. Das is
Veranlagung, sich alle Menschen dienstbar macht nach seinem
digte ihm auf dieser Station seiner Lebensreise auch
widerspruchsvolle Tragikomödie „un
launischen Bedürfnis, wandelt zum Schluß, in ehrlicher
Sturtgarts Hoftheater. Und zwar mit der Erstaufführung
nunftbegabten wehrlosen Seelen.
Abscheu vor der eigenen Tat, teilnahmslos gegen sich selbst
seines letzten Werkes, das freilich sehr verspätet zu uns
Gott sei Dank sind diese „Stützen d
kam.
geworden, den Weg des Einsamen, des Verlassenen und
haltlosen Willensnarren, die eigensin
Verlassenden.
Kennst du das Land, wo Treu und Untreu blüht?
Kletterer auf die Aignertürme der Ge
Wo Lieb und Haß unb Lug und Wahrheit Kraft und
Schnitzler soll selber geäußert haben, daß er in seinem
ganzes Seelenchaos fast unterbrecht
Schwachheit, Hohn und Achtung Roheit und Weichheit,
Fabrikanten Hofreiter einen „Baumeister Solneß der
Tempel und wenn einmal nicht a
Artigkeit und Abscheulichkeit verträglichste Nachbarschaft
Sexualität“ habe schaffen wollen. Er, der schonungslose
Sterbelei sich konzentriert, Ausnahn
mit einander halten? Ein weites Land, weit für uns,
Genußmensch, erbebt, wie Ibsens Solneß, der schonungs¬
der großen Bühne des Lebens, seltene
doch nah bei uns; nicht nah nur uns, nein in uns,
lose Schaffensmensch, vor dem Siegerblick der Jugend.
windigen Lebens=Automobils. Wenn
mit uns allezeit. Wir kennen seine Grenzen nicht sie
Der Ergrauende, der den sehr begreiflichen Wunsch äußert,
muß, daß wir mitunter solchen unst
reichen über unsere Begriffe und recken unsere starr
daß man erst mit 40 Jahren jung werden sollte, weil
weiten Lande ihrer Seelen begegnen.
moralumengte physische Winzigkeit ins Grenzenlose, in
man dann erst etwas davon hätte, haßt das harmlose
nur ihre männliche Shezies, die Spe
dem wir den wohl erwogenen Maßen unserer Wohler¬
Jünglingsalter. Darum erschießt er, von seiner Hilde
denen“ Mannes von heute in seinen
zogenheit entgleiten und unstet irren im Chaotischen.
Wangel kommend, in plötzlicher Aufwallung, gegen seine
Das sich „unverstanden“ glaubende
Denn „das Natürliche ist das Chaos“ für das weite Lanlerste Absicht, den holden Knaben, der der glückliche Lieb¬
unserer Seelen.
von einst wird allmählich auf der B
haber seiner ihn herzlich liebenden Frau auf seinen And Frauen, die für ihre Männer Mi
Dahin dahin möcht er gebieterisch uns ziehn, der nun
trieb wurde. Ganz und gar nicht aus Eifersucht. Viet¬
Genia war auf dem besten Wege da
grau meliert, d. h. herbstlich erkenntnisvoll gewordene
leicht aber doch auch nicht darum. Um ihretwillen erschoß
Vergebende, blieb lange ihrem Gatte
Anatol=Poet von 50 Jahren. Wie in jungen Jahren, da
sich ein von ihr nicht erhörter Anderer. Daß dieser uneu¬
aus Treue gegen sich selbst, als aus T#
er, wie Hofmannsthal so treffend sagte, „frühgereist und
hört blieb. versteht er nicht. Die Tugend seines ihm teuren
losen. Sie fiel, weniger um ihm ähnl
zart und traurig“ den Anatoltyp dem Leben nachschuf,
Weibes blieb ihm ein Unbegreifliches. Unüberbrückhar
nicht aus Rache, noch weniger aus L#
so entfließt ihm noch immer „die Komödie unserer Seelen,
verschieden ist sie von ihm. Das stört ihn, bringt ihn auf,
als — aus unglücklicher Liebe
sunseres Fühlens Heut und Gestern“. Wobei man freilich
empört ihn. So trieb er sie in die Arme eines Jünglings.
also gleichfalls aus seelischer Verwir
immer (auch eingangs schon) für „uns“ das weltmad
Das bringt sie ihm näher dem für tiefere Gefühle In¬
ihren eigenen Willen, weil sie sich ni
weiche Wienertum zu setzen hat. Und es zieht sich ein roter
durchlässigen. Doch nun, da der Fehltritt geschah, dender
in ihrem Herzeleid um ihres Gatte#
Faden vom „Anatol“ über „Liebelei“ und eine Reihe wei¬
ihr doch glaubte vordem gern nachsehen zu können,
ständnis ihrer reinen Seele. Es sind
terer Stationen den „Einsamen Weg“ entlang zum „Weg
kommt tragikomischerweise das in seinem Herrenrechte ge=Irrungen einer zarten Seele. Sie
ins Freie" und ins „Weite Land“. Nur daß seit seinem
kränkte eitle Männchen doch nicht gar so leicht barüber staudene, er der andere wie sie
Anatol der Dichter mit den Jahren reifer ward und reicher
hinweg. Er, der praktische und theoretische Verfechter des
Und sie beginnt nach seinem sinnlos
an Lebenseinsichten wie an alles verstehender resignieren¬
neuwienerischen Grundsatzes daß auch im Verhältnis von
für immer durch das weite Land ihre
der, schonungsvoll melancholischer Milde.
Mann und Weib Eigentum Diebstahl sei, will nicht „der
Seelen von einander getrennt, die
Man hat keinen Grund, den Dichter mit irgend eineHopf“ sein, der von einem andern mühelos beiseite Ge¬
und die Menschheit unsäglich lächerlich
der Gestalten seiner letzten Dichtung zu identifizieren. schobene. Darum mit, aus Aerger über sich selbst, oder
lich zu finden. Und schließlich rettet
Ebenso wenig mit der fast gänzlich moralinfreien Haupt,doch aus Liebe zu seiner Frau, griff er zur Pistole.
Seite ihres Mannes in der Richtung
gestalt wie mit dem so guten und ehrlichen, wie ledernen, Und schließlich kommt als letzter Grund zu seinem
Frau, einer hohen und freien Lebens
(allen „Herzensschlampereien“ abgeneigten Moralitäts¬
bewußten Duellmorde
noch ein Weiteres hinzu:
lerin von lebensweiser Herzensgüte i
pöstensteher Dr. Mauer. Und man tut wohl auch recht, der Duellwürige hatte den Gatten seiner vorletzten Gelieb¬
ständnis, einer Gestalt, die allein schon
mit einigem Skeptizismus dieser modrigen Großstadt=ten wegen eines über ihn verbreiteten Gerüchtes zum
ehrung der Menschengestaltungskun
schilderung sich gegenüber zu stellen und bescheidene Zwei= Zweikampf stellen wollen, aber ein höhnisches Refus er¬
Empfindsamen zwänge.
jel zu hegen, ob die sittliche Fäulnis in Wien bereits wirk= halten. Das bringt ihn dermaßen in Rage, daß er sich den
Der Reichtum an verschiedene
lich so weit vorgeschritten ist, wie Schnitzler nachzuweisen !Nächstbesten zum Opfer seiner Pistole wählt.
Schnitzler hier vorführt, all in ihrer
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