II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 581

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24. Das veite Land
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In der Budgetkommission des Reichstags der Diskretion zu verletzen, darüber geredet werden. Die gegen Deutschland gerichtet, letzteres nur mit
rde heute ein Antrag der Fortschrittlichen Herren haben, beschlossen „eine besondere Organi= Deutschland möglich sei und Rußland ungeschickt
lkspartei eingebracht, wonach dem Reichstag deri sation mit einer Zentralstelle in Berlin zu operierte, so sei allgemeine Verwirrung und Argwohn die
keint. Obwohl auch andere behaupten, daß die „Auf¬
Es ist immer derselbe Leitgedanke, der sich durch die Normen wägbaren Zwiespältigkeit, bildet überhaupt den
ung des geschlechtlichen Alleinbesitzes heute in großen
ganze Dichtung zieht: gar viele unter uns sind willenlos
größten Reiz der Dichtung, die von dem Tiefblick des fein¬
idten so gut wie vollzogen ist“. Man watet eine Weile
dem Chaos ihrer mit bewußter Vernunft gemischten unbe¬
geistigen Psychologen Zeugnis ablegt. Dieser Reiz offen¬
ich schwülduftige Großstadtsümpfe, bis man wahrnimmt
wußten Gefühle unterworfen. Sie lenken nicht den Augen¬
bart sich aufs stärkste bei der Lektüre dieses mit des
k die Bühne doch an ihren alten Regeln festhält, und
blick, der Augenblick lenkt sie, nach des Mephisto Wort: Du
Dichters bekannter unnachahmlich melancholischer Grazie
bei Schnitzler noch Schillers wehmütiges Wort sich
glaubst zu schieben und wirst geschoben. Wenn wir auch viel¬
dialogisierten Romans. Doch auch bei der Darstellung. Des
kätigt, daß „Gerechtigkeit nur auf der Bühne ist: Denn
leicht in uns ehrlich „Ordnung schaffen“ wollen, gehen wir
Zuschauers Interesse wird freilich vielfach zersplittert durch
argen „Helden“ dieses Stückes widerfährt schließlich
doch fehl im weiten Land, von dunklem Drange ohnmächtig
die vielförmige Fülle von einander durchkreuzenden, inner¬
frechtigkeit. Er vollzieht sie sogar selbst an sich. Er, der
bezwungen. Das ist das Tragische des heutigen
e
lich unverbundenen Sondergeschicken. Dazu tritt eine epische.
gewisse entfernte Verwandtschaft mit Wedekinds
„Herrenmenschen“, des Siegers auf den Tennisplätzen, das
rezitativische, offenbar bewußt an den alten Fontane er¬
rquis v. Keith hat, der, ein Verführer aus instinktiver
ihn so komisch hilflos macht. Das ist die nur scheinbar
innernde breite Plaudersamkeit, die einem der Hauptgrund¬
anlagung, sich alle Menschen dienstbar macht nach seinem
widerspruchsvolle Tragikomödie „unserer“ angeblich ver¬
sätze der Bühne, dem von der szenischen Straffung, seltsam
nischen Bedürfnis, wandelt zum Schluß, in ehrlicher
nunftbegabten wehrlosen Seelen.
widerspricht. Doch zugleich eine Diskretion in der psycho¬
scheu vor der eigenen Tat, teilnahmslos gegen sich selbst
Gott sei Dank sind diese „Stützen der Gesellschaft“ diese
logischen Motivierung von ungemeiner schwermutsvoller,
porden, den Weg des Einsamen, des Verlassenen und
haltlosen Willensnarren, die eigensinnig wild begehrlichen
bittersüßer Zartheit und in leisen Andeutungen verschwe¬
rlassenden.
Kletterer auf die Aignertürme der Gewissenlosigkeit, deren
bender Empfindungsfeinheit, die nur ihm eigen ist, dem
Schnitzler soll selber geäußert haben, daß er in seinem
ganzes Seelenchaos fast unterbrechungslos auf Amors
müde lächelnden verstehenden und verzeihenden Betrach¬
brikanten Hofreiter einen „Baumeister Solneß der
Tempel und wenn einmal nicht auf Liebelei, so auf
ter seiner dekadenten Drohnen=Umwelt diesem entnervten
gualität“ habe schaffen wollen. Er, der schonungslose
Sterbelei sich konzentriert, Ausnahmeerscheinungen auf
und entmoralisierten, jenseits von Gut und Böse sich
nußmensch, erbebt, wie Ibsens Solneß, der schonungs¬
der großen Bühne des Lebens, seltene Insassen des sause¬
adrett bewegenden Moluskengeschlechte der von ihren
eSchaffensmensch, vor dem Siegerblick der Jugend.
windigen Lebens=Automobils. Wenn man auch zugeben
weichen Düften allzu süß umhauchten Wienerstadt von
Ergrauende, der den sehr begreiflichen Wunsch äußert,
heute.
muß, daß wir mitunter solchen unsteten Hotelgäßten im
man erst mit 40 Jahren jung werden sollte, weil
weiten Lande ihrer Seelen begegnen. Schnitzler zeiet uns
Die hiesige Darstellung der taktvoll gekürzten Tragi¬
n dann erst etwas davon hätte, haßt das harmlose'nur ihre männliche Spezies, die Spezies des „unverstan¬
komödie bemüht sich unter Dr. Bloems nachfühlsamer
nglingsalter. Darum erschießt er, von seiner Hilde
denen“ Mannes von heute in seinem gefährlichen Alter.
und vielfach feiner Regie nach besten Kräften, alle die vie¬
ngel kommend, in plötzlicher Aufwallung, gegen seineg
Das sich „unverstanden“ glaubende lächerliche Weibchen
len verborgenen Klippen an den Gestaden des „Weiten
e Absicht, den holden Knaben, der der glückliche Lieb¬
von einst wird allmählich auf der Bühne abgelöst von den
Landes“ zu überwinden. Die bedrückende Dumpfheit
er seiner ihn herzlich liebenden Frau auf seinen In (Frauen, die fur ihre Männer Mütter wurden. Frau
einer nur mühsam beherrschten Blendung, unter der Leid
b wurde. Ganz und gar nicht aus Eifersucht. Vies=!Genia war auf dem besten Wege dazu. Sie, die Vieles
und Leidenschaften brodeln und zischen und grollen, der
ht aber doch auch nicht darum. Um ibretwillen erschoß Vergebende, blieb lange ihrem Gatten treu, mehr freilich
Grundstoff der Dichtung, überwuchert sehr mit Recht den
ein von ihr nicht erhörter Anderer. Daß dieser uneu aus Treue gegen sich selbst, als aus Treue gegen den Treu¬
Abend über durchaus die Szene, und die launigen und
t blieb, versteht er nicht. Die Tugend seines ihm teuten
losen. Sie fiel, weniger um ihm ähnlicher zu werden, auch
lustigen Töne klingen im Gesamtorchester nur als leise
bes blieb ihm ein Unbegreifliches. Unüberbrückhar nicht aus Rache, noch weniger aus Liebe zu dem Dritten,
Nebenstimmen tragikomisch mit. Dazu kommt eine
schieden ist sie von ihm. Das stört ihn, bringt ihn auf,
als
aus unglücklicher Liebe zu ihrem Gatten;
schmucke Inszenierung, vornehmlich ein wohlgelungenes
ört ihn. So trieb er sie in die Arme eines Jünglinigs.
also gleichfalls aus seelischer Verwirrung heraus, gegen
Hotelvestibül, in dem man freilich das Gequirl elegan¬
bringt sie ihm näher dem für tiefere Gefühle Un¬
ihren eigenen Willen, weil sie sich nicht mehr zurechtfand
terer Komparsen bedauernd vermißt.
hlässigen. Doch nun, da der Fehltritt geschah, den eer
in ihrem Herzeleid um ihres Gatten niedriges Mißver¬
.
Worauf man ganz und gar Verzicht leisten muß, ist
doch glaubte vordem gern nachsehen zu können, sständnis ihrer reinen Seele. Es sind die feinversponnenen
die wienerische Atmosphäre, die gerade erst dem Stücke
mt tragikomischerweise das in seinem Herrenrechte ge=[Irrungen einer zarten Seele. Sie ist die wirklich Unver¬
den rechten dichterischen Glanz verleiht. Auch fehlen
ikte eitle Männchen doch nicht gar so leicht darüber standene, er der andere wie sich nicht Verstehende.
eigentlich die ragenden Gipfel im „Weiten Lande“ das
veg. Er, der praktische und theoretische Verfechter deskUnd sie beginnt nach seinem sinnlosen Duellmorde, nun
auf diese Weise viel von der Melancholie einer einförmi¬
wienerischen Grundsatzes, daß auch im Verhältnis von für immer durch das weite Land ihrer allzu verschiedenen
gen norddeutschen Steppe erhält. Es ist fast durchweg
nn und Weib Eigentum Diebstahl sei, will nicht „der Seelen von einander getrennt, die Welt und das Leben
Ibsen=Instrumentation. Die Darsteller sind zumeist Nord¬
sein, der von einem andern mühelos beiseite Ge¬
und die Menschheit unsäglich lächerlich, belanglos, verächt¬
deutsche und keiner Wiener. Dieser und jener versucht
ene. Darum mit, aus Aerger über sich selbst oder
lich zu finden. Und schließlich rettet sie sich fort von der
wohl ein wenig zu wienern; das mißlingt aber so gründ¬
aus Liebe zu seiner Frau, griff er zur Pistole.
Seite ihres Mannes in der Richtung einer wahrhaft edlen
lich, daß es weit besser völlig unterbliebe.
schließlich kommt als letzter Grund zu seinem
Frau, einer hohen und freien Lebens= und Bühnenkünst¬
Die Hauptgestalt trägt in Junkers künstlerisch
ußten Duellmorde noch ein Weiteres hinzu:
lerin von lebensweiser Herzensgüte und weitem Weltver¬
sehr ernster und tief eindringlicher Darstellung eine er¬
Duellwürige hatte den Gatten seiner vorletzten Gelieb=ständnis, einer Gestalt, die allein schon zu aufrichtiger Ver¬
heblich andere Physiognomie als die der Schnitzlerschen
wegen eines über ihn verbreiteten Gerüchtes zum
ehrung der Menschengestaltungskunst Schnitzlers jeden
Gestalt. Sein Hofreiter hat nichts von dem bestrickenden,
ikampf stellen wollen, aber ein höhnisches Refus er¬
Empfindsamen zwänge.
anmutig lässigen, unnachahmlichen wienerischen Charme,
en. Das bringt ihn dermaßen in Rage, daß er sich den
Der Reichtum an verschiedenartigen Seelen, die das diese Figur in gewisser Weise goutabel macht, nichts
stbesten zum Opfer seiner Pistole mählt.
Schnitzler hier vorführt, all in ihrer nie nach einseitigen von dem Fahrigen, Ruhelosen dieses komplizierten Chand