II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 582

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24. Das Leite Land
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Dichter es einmal ausdrückte.“ Auf diesem weiten
Feuilleton.
Chantecler lebt er, aber ein fixer, intelligenter Indu¬
Land der Seele kennt sich Artur Schnitzler trefflich
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strieller ist er — mit einem jungen Ding an, das
aus. Freilich, er will uns hie und da als ein gar zu
nicht mehr von ihm lassen will und seinen Verehrer,
Theater.
läßlicher Spaziergänger erscheinen; wir möchten ihn
einen lüchtigen Arzt, der aber in Liebesdingen ein
Pfauentheater: Das weite Land.
um einen Grad männlicher, entschiedener, durchgrei¬
arger Unstern ist, abdankt. Dazu kommt als weiterer
fender; wir möchten nicht immer wieder die ge¬
(15. Mai.)
Vertreter der Polygamie der Doktor Aigner, dessen
schlechtliche Zone in das Zentrum aller Interessen
T. Es war sehr wohlgetan, daß auch unsere
Ehe einst ob seiner Aufrichtigkeit der Gattin gegen¬
gerückt sehen, als ob das ganze Leben nur von die¬
Schauspielbühne des fünfzigsten Geburtstages Ar¬
über in die Brüche gegangen ist, und der nun als
sem einen Punkt aus orientiert wäre. Allein, das ist
tur Schnitzlers gedacht hat Ueherblickt man die
Direktor eines großen Gasthofes im Gebirge seine
doch vielleicht wieder nur die Kehrseite des kultivier¬
Reiheen Dramaliker, so sind's doch wenige,
galanten Triebe ehelos spazieren führt. Und just
ten Wienertums in Schnitzler, das notwendige Kom¬
zu denen man sich in einem persönlicheren, man
diesem Aigner legt Schnitzler das Wort von der
plement zu dem, was ihn uns lieb und wert macht.
möchte sagen herzlicheren Verhältnis fühlt als zu
Seele als dem weiten Land, vom Chaos als dem
(Und wir erinnern uns, daß aus Oesterreich das
Schnitzler. Seine Wiener Kultur berührt uns als et¬
Natürlichen, von der Ordnung als dem Künstlichen
Dysangelium Freud seinen Ursprung genommen
was Verfeinertes und Verfeinerndes, als eine wenn
hat.)
in den Mund, und dies mitten im Trubel eines
auch nicht höhere, so doch differenziertere, reichere,
Hotelvestibüls. Viele haben sie vielleicht nicht einmal
Wir stehen mit dem Gesagten schon mitten in
farbigere, menschlichere Lebensauffassung. Er hat
genau verstanden. Man tut deshalb gut, über der
der „Tragikomödie“ die wir jüngst auf unserer
feine, weiche Worte verstehenden Verzeihens. Er
Aufführung das Buch nicht zu vergessen; wie gewohnt
Bühne gesehen haben. Die Komödie wie die Tragödie
kennt als guter Psychologe die Schwäche des mensch¬
bei S. Fischer ist die Tragikomödie erschienen, ein
bezieht ihren Nährstoff wesentlichsaus dem Boden
lichen Wollens, das Fehlgehen des menschlichen
stattliches Bändchen von 174 Seiten; dieser Umfang
des Sexuellen, oder vornehmer gesagt: der Liebe.
Tuns, und er kennt auch nur zu genau all das
bedingt natürlich einige Striche für die Bühne. Ueb¬
Im Mittelpunkt steht ein Fabrikant, der, im Besitz
furchtbare Leiden, das daraus resultiert; aber eben
rigens: der genannte Berliner Verlag bereitet eine
einer reizenden Frau, die ihn liebt, aus der Poly¬
deshalb glaubt er sich nicht zum Rigorismus ver¬
Gesamtausgabe von Schnitzlers Dichtungen vor; mit
gamie nicht herauskommt, der daher im Grunde völlig
pflichtet, getraut er sich nicht, den so sehr komplizier¬
dem Erzählenden wird sie beginnen, dann erst folgt
begreifen würde, wenn seine Frau schließlich Glei¬
ten Mechanismus der Psyche nach einfach=starrem
als zweite Abteilung das dramatische Oeuvre des
ches mit Gleichem vergälte, der trotzdem dann aber,
Fünfzigjährigen.
Schema zu regeln und zu richten. Es steht ein Wort
als dies wirklich eintritt (aus dépit amoureux, nicht
im neuesten Drama Schnitzlers, das ihn kennzeich¬
Daß sich Tragisches und Komisches tagtäglich,
aus Leidenschaft, und darum doppelt abstoßend), den
net: „So vieles hat zugleich Raum in uns! Liebe
stündlich unheimlich berühren, wer weiß es nicht!
jungen Liebhaber niederknallt im Duell, nicht sowohl
und Trug... Treue und Treulosigkeit... Anbetung
Fragt sich nur, ob diese Mischung so ohne weiteres
aus eifersüchtiger Wallung, die ja bei Ehefrevlern
für die eine und Verlangen nach einer andern oder
auch ins Kunstwerk hinübergenommen werden kann.
nichts Seltenes ist, als um sich künftig von einem
nach mehreren. Wir versuchen wohl Ordnung in uns
Schnitzler scheint mir da doch stellenweise zu sorglos
Bankier, mit dessen Frau der Fabrikant ein offen¬
zu schaffen, so gut es geht, aber diese Ordnung ist
vorgegangen zu sein. Der dritte Akt, im Hotel am
kundiges Verhältnis unterhalten hat, nicht unge¬
Völser Weiher, entgleitet sozusagen völlig in die
doch nur etwas Künstliches. .. Das Natürliche ist straft Sottisen gefallen lassen zu müssen. Daneben
Komödie, und damit schadet der Dichter seinem Werk
das Chaos. Ja, die Seele ist ein weites Land, wie ein bandelt der Fabrikant — Hofreiter heißt er, wie ganz entschieden. Was bleibt von diesem ganzen Akt##l
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