II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 604

24. Das geite-Land
schnitt aus: Neriee Wiener Tagblatt, Wien
76 JUN 1975
1:
Theater, Kunst und Titeratur.
Burgtheater. Artur Schnitzlers satirische
Tragikomödie „Das weite Land“ hat sich gestern auf
dem ihr zukommenden hervorragenden Platz von
neuem behauptet. In der Tat darf die vom Dichter
unter Lieblosungen geißelte bestimmte Klasse einer
entarteten bürgerlichen Gesellschaft Anspruch erheben
auf den eleganten Pranger und die künstlerisch ge¬
arbeitete Schandsäule, deren Zierlichkeit man nicht
müde wird. zu betrachten. Die verdammt hübsch
ausgestattete Szene mit dem nichtigen, ober¬
flächlichen Treiben ihres bunten Völkchens heimelte
rns wieder an wie das lachende Leben selbst, und mit
dem angenehmsten Gruseln sahen wir der Tätigkeit
des Zerstörers zu, der als wetterschwangerer, dunkler
Schatten über das sonnige weite Land hinwegzieht —
Mordgeschichten aus dem Wiener Wald, Liebeslieder¬
Walzer als Totentänze! Viel Wienerisches läßt sich
dem Hofreiter des Herrn Walden wohl kaum nach¬
rühmen. Dafür aber kehrte der Künstler das All¬
gemeinmenschliche in Verbindung mit dem charak¬
terintischen Ausbruck einer eigentümlichen, die Nacht¬
seite der Natur streifenden Individualität desto
kräftiger hervor. Fräulein Mayer, eine ergreifende
Anna Meinhold, war klug genug, nicht an Frau
Bleibtreu, ihre Vorgängerin, erinnern zu wollen;
fräulein fkayen begabte die zuchtlose Erna mit
ersönlicher Liebenswürdigkeit. In ihren Chargen
ewährten sich die Herren Romberg und Marr.
da im übrigen alles bei der früheren guten Be¬
etzung geblieben war, so lebte der Erfolg des unter¬
saltenden, vieldeutigen Stückes frisch wieder auf.
M. K.
box 29/3
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Lusschnitt ausWIENER ABENOPOST
1600N. 1975
vom:
Theater und Kunst.
(Hofburgtheater.) Man darf es mit Freude
begrüßen, daß das Hofburgtheater Schuitzl###gen¬
artiges, fesselndes Drama „Das weite Land“ seinem
Spielplane wieder eingefügt hat. Zahlreiche Neu¬
besetzungen waren nötig, die freilich fast durchwegs dem
Werke seinen wienerischen Charakter nahmen und seine
Lokalität Baden in irgend ein deutsches Nirgendheim ver¬
wandelten. Namentlich in der Hauptrolle trat diese Ent¬
Slokalisierung besonders deutlich hervor: Herrn Wal¬
dens Hofreiter, jedenfalls eine der sorgfältigsten und
feinst durchgearbeiteten Leistungen des Künstlers,
büßte den liebenswürdigen Leichtsinn, den Korff ihr
gegeben, gänzlich ein und ließ den Zynismus und
die herbe Frivolität an dessen Stelle treten. So wurde
Figur und Stück verletzender und peinlicher, ge¬
wann aber an Nachbruck und Energie, namentlich
im letzten Akte, in dem die Grausamkeit des die
Jugend hinmordenden Gatten weit stärker als
bisher sich kundgab. In Durchführung seiner Auf¬
fassung hat der Künstler manches ganz Meisterhafte
gegeben, er versagte nur vollständig in den Szenen
mit Erna, wo Sehnsucht nach Jugend sich zu Jugend
finden und ein wirklich heißer Ton durch seine!
Liebesbeteuerungen klingen muß. Herr Walden blieb
hier ganz kalt, selbst seine nachlässige Körperhaltung
zeigte nichts von ungestümer Werbung. Allerdings —
er darf wohl geltend machen, daß zu solchen
Szenen zwei gehören, und die bewußte, be¬
zehrliche Erna ist Frl. Mayen leiber gänzlich
mißglückt, ihre Pensionatsmädchentöne reichten nicht
entfernt aus. Ebensowenig wie hier an die erste, un
vergessene Darstellerin durfte man bei Frl. Mayers¬
Frau Aigner an Frau Bleibtreu denken, von deren
Liebenswürdigkeit und feiner Form in der spitzen Art
der neuen Repräsentantin nicht ein Ton liegt. War
Herr Paulsen als Dr. Maver mehr Liebhaber,
gab Herr Marr der Rolle schöne, kräftige
Haltung, die das Urteil Ernas, diesem Manne könne
ein Mädchen ruhig ihr Schicksal anvertrauen, be¬
stätigte. Als Genia wirkte wieder Frl. Marberg,
die wir zu unserem lebhaften Bedauern in diesem Jahre
fast gar nicht auf der Szene gesehen haben. Sie scheint
auch eine gewisse Unsicherheit gefühlt zu haben und war
manchmal im Anschlag einiger Töne nicht ganz fest:
aber die Nervosität, die sie sichtlich beherrschte, gab
der ganzen Rolle eine weit stärkere Färbung der
Leidenschaftlichkeit als in der früheren Darstellung,
und damit erschien die Figur, namentlich in den letzten
Szenen, wesentlich vertieft. Das überfüllte Haus folgte
mit großem Interesse, und man kann wohl mit
Sicherheit darauf rechnen, das Stück nun weiter er¬
haften zu sehen.
V.