II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 622

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24. Das seite Land
1000 „Das weite Land“
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Tragikomödie in 5 Aufzügen v. Arthnbegukaler.
(Erstaufführung am Teplisndthenter
am 27. Febeuar 1915.)
So viel Dramen Schnitzler bisher auch geschrie¬
ben hat, er kommt aus den von erotischen Launen
ausgehenden Stimmungen seiner dramatischen Erst¬
lingswerke, den Anatol=Szenen, nicht heraus. Er ent¬
nimmt seine Stoffe immer wieder dem kleinen Spe¬
zialgebiet von erotischen Erlebnissen, die keinerlei all¬
gemeine menschliche Bedeutung haben können und
ihrem innersten Wesen nach ungeeignet sind, wahr¬
haft tragische, erschütternde Wirkungen zu erzeu¬
gen. Wenn Schnitzler von der Liebe redet, so ist die¬
weniger die Liebe, als die verliebte Laune
willensschwacher, oft moralisch defekten Aestheten —
das traurige Leid menschlichen Unbestandes und ewi¬
gen Irrens. Dem wirklichen Leben, den großen
Leidenschaften und den ernsten Gefühlen steht der
Dichter ferne. Dekadente Mutlosigkeit, trostloser
Pessimismus und unbesiegliche Resignation sprechen
aus den meisten seiner Werke. Man fühlt nach jeder
neuen Schnitzler=Premiere ein doppelt schmerzliches
Bedauern, denn unter den österreichischen Drama¬
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tikern ist er der feinste Kenner des menschlichen Her¬
ler, ist in den Tod gegangen und von dem Leichen¬
zens, ein Dichter von tiefer und echter Empfin¬
begängnis des Freundes zurücktehrend, erfährt Hof¬
dung. Aber dem graziösen Pessimisten, dem zarten
reiter auf sein Drängen, daß die Weigerung Ge¬
und weichen Träumer mangelt die Kraft der Gesund¬
nias, „vermessene Wünsche“ des Freundes zu er¬
heit, die allein nur zur vollen Höhe des künstleri¬
füllen, diesen in den Tod getrieben hat. Genia er¬
schen Schaffens zu führen vermag.
hofft noch immer eine Besserung in den Beziehungen
Die Tragikomödie „Das weite Land“, ist im
zu ihrem Gatten, doch dieser fühlt sich von dem Ge¬
Jahre 1910 entstanden und weist fast ausschließlich
danken, daß die Tugend seiner Gattin einen Men¬
Menschen auf, die ihn Hinsicht auf ihr Seelen= und
schen in den Tod getrieben, „unheimlich" berührt.
Liebesleben mehr oder weniger pathologische Züge er¬
Auf einer Gebirgswanderung hofft er seiner Stim¬
kennen lassen. In den fünf langen Akten des Stük¬
mung Herr zu werden. Dort allerdings treibt ihn
kes ist viel von Liebe die Rede, dem stärksten der
eine ekotische Laune in die Arme der jungen, koletten
Gefühle, die das menschliche Herz bewegen, und doch
Erna Wahl, die in seinem Hause vertehrt und die
wird in keinem dieser fünf Akte kaum ein wirklich
er als Kind auf den Knien geschautelt. Inzwischen
lebensfrisches Wort gesprochen. Wir sehen in das
ist Genia die Gelie##e eines jungen Marinefähnrichs
Elend dreier Ehen. Im Mittelpunkte der Handlung
geworden, den der zurückkebrende Gatte um 2 Uhr
steht der Fabrikant Hofreiter und seine Frau Genia.
nachts aus dem Fenster des Schlafzimmers seiner
Die Untreue des Fabrikanten hat das eheliche Ver¬
Frau steigen sieht. Hofreiter empfindet den Betrug
hältnis zwischen den beiden schon längst gelockert und
seiner Frau, wie er seinem Freunde, Dr. Mauer
mehr als einmal war Genia daran, auf und davon
gesteht, „weder als schmerzlich, noch mindestens als
zu gehen. Es gab sogar eine Zeit, wo sie „das Rück¬
ärgerlich“. Es ist mir, sagt er weiter, wie eine in¬
sichtsloseste vorhatte, was eine Frau einem Manne,
nere Befreiung. Ich gehe nicht mehr als
und besonders einem eitlen, antun kann“ . .. sich
Schuldiger in diesem Hause herum. Ich atme wieder
zu rächen.
auf. Es ist gewissermaßen, als hätte sie Sühne ge¬
Ein Freund des Hauses, ein junger Künst= tan für den Tod Korsakows und zwar in einer höchst