II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 656

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24. Das weite Land
Rioie & Seider
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 45, Georgenkirchplatz 21!
Zeitung:
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Datum: RR ud
hatten in ihrer Absicht an den Schauspielern des Residenztheaters die
Residenz=Theater.
gute Helfer, denn die Vorstellung war in jeder Hinsicht einwand= G
frei. Alfred Korff und Irene Triesch standen sich als die w
* Erstaufführung Somitzlers „Das weite Land“.
feindlichen und doch sich liebenden Gatten mit einer Darstellungs= bi
Ein Sensationsschauspiel von dem Verfasser des vielberufenen
kunst reifen und berechnenden Erwägens gegenüber, und sie ver¬
„Reigens“, aber kein Schauspiel für einen Sensationsprozeß, wenn
suchten, aus Schnitzlers Theatersiguren Menschen zu machen, was
man diesen herausfordernden Titel auf das theatralische Gerichts= der Triesch immerhin besser glückte als dem zu sehr den glänzend
verfahren anwenden darf, das in diesen Tagen weite Kreise des koutinierten Schauspieler hervorkehrenden Alfred Korff. Josef
Berliner Publikums in eine unnötig große Aufregung und Neu¬
Klein als der Raisonneur des Stückes ein Arzt, war voll
gierde versetzt hat. Diesmal ist es Schnitzler nur um ein handfestes
schöner Einfachheit, und unter den zahlreichen kleineren L guren 1
Stück Theater zu tun gewesen, er ist in eine gefährliche Nachbar¬
wirkte die Darstellung einer mütterlichen alten Frau in Rosa
schaft mit Sudermann gerückt, weit abgekommen von der dichterisch
Bertens Verkörperung menschlich wahr und vackend. Das Re¬ I
zu nennenden Kunst, die ihn dereinst ein so feines Spiel wie
sidenztheater wird den neuen Schnitzler oftmals svielen können,
Liebelei“ hat schreiben lassen. „Das weite Land“ ist des Menschen
aber bei Einschätzung der dichterischen Qualität seiner Persönlich= C
Seele, voller Unbegreiflichkeiten und Rätsel, voller Widersprüche
keit wird der Verfasser sich auf sein jüngstes Werk viel weniger
und Wunder und doch immer des Verstehens und des Verzeihens
berufen dürfen als auf die Gaben seiner jungen Schaffensjahre.
wert, weil in all dem Unerklärlichen und Triebhaften des
Handelns stets ein Stück Menschentum steckt, das Liebe und Gnade
S. W.
fordert. So liebt die Frau des Wiener Fabrikanten Hofreiter

ihren Mann. der ein erbärmlicher Frauenjäger ist, trotz all seiner
Lügenhaftigkeit und Niedrigkeit der Gesinnung, sie läßt es zu, daß
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ein sie heiß Liebender, dem sie sich aus Treue zu ihrem treulosensg,
Gatten versagt, in den selbstgewählten Tod geht und wirft sich
dann doch einem jungen Burschen an den Hals, der freilich noch
rein ist in einer verderbien und frivolen Umwelt, nur um ihrem
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Mann Gelegenheit zu geben, sie auf gleiche Stuse mit sich selbst zu
stellen, ihn nicht glauben zu lassen, sie könne sich hochmütig über
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ihn, den allein wirklich Sündigen, erheben. Aber der eben erst in
b.
neue Liebesabenteuer Verstrickte schießt im Duell in klarer Absicht#
den vermeintlich ernst Geliebten seiner Frau über den Hausen, weil
er plötzlich erkennt, daß sie allein seine tiefe und wahre Neigung
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besitzt, und scheucht sie dann doch von sich, obwohl er weiß, daß nun
auch sein Leben leer und vernichtet sein wird. Ein schwacher Hoff¬
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nungsschimmer glimmt zum Schlusse, eine tröstliche Möglichkeit ver=|9
heißend, auf, die Rückkehr des fern gewesenen Knaben der ent¬
frembeten Gatten ins Elternhaus. Das alles spielt sich in einer
nur langsam voranschreitenden Handlung ab, viel eher der ganzen
Anlage nach zu einem nicht eben tiefen, aber wirkungsvollen C
Roman als zu einem Bühnenspiel geeignet. Technisch durchaus u
die erklügelte Arbeit eines aller Bühnenmittel sicheren, mit dem
Verstande und einem kühlen Witze gestaltenden Schreibers, nicht
eines warm mit seinen Geschöpfen fühlenden und lebenden Dich¬ 2
ters. Erstaunlich, wie Schnitzler die nahellegende Gefahr der
Langeweile durch überraschenden Wechsel im Dialog, durch eines3
Fülle von Einzelfiguren zu bekämpfen weiß, aber das Absichtlichest
dieses Virtuosentums stellt sich doch zu erlenntlich heraus. Zum
Schluß aber gibt es Sentimentalität, wie sie kein Film=Rührstück
kräftiger hinzusetzen verstebt, die Grenze zum Kitsch ist hart ge¬
streift. Aber die Berliner Schnitzlerverehrer ließen solche Erkennt¬
nis nicht deutlich werden, als sie das Stück laut und lärmend be¬
klatschten und in der Art ihres Beifalls eine Demonstration für
den im Reigenprozeß angegrissenen Verfasser bekundeten. Sie