II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 671

24. Das weite Land
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Klose &. Seidel
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Ort:
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ihm die Menschheit durch den Mund des Zirkusdirektors Cotrelly
Berliner Theater während der „Reigen“woche.
ein Engagement als „du. imer August“ anbietet.
Von Karl Hormann Böhmer.
Schnitzler ist noch nicht so weit. Der Edle glaubt noch an „Bese
In dieser Woche gab es nur eine Uraufführung und die habe
fern und Bekehren“ und gebrauft alle Mittelchen der Geistreichele,
ich nicht gesehen. Mein Kollege beglückwünschte mich dazu. Es
kinetischer Spannung, um seine Wirksamkeit interessant zu machen)
handle sich um eins jener vielen Schreibkrampfdramen, wie sie jetzt
und die Darstellung durch Arnold Korff. Irene Triesch,
von Jünglingen östlicher Demi=Kultur massenweise geworfen wer¬
Rosa Bertens, Gertrud Welker und andere erste
den. Der Verfasser heißt diesmal Paul Baudisch und sein
Kräfte zogte, was aus Schnitzlerscher Kunst herauszuholen ist.
Werk „Passion“. Baudisch soll eine besondere Passion für un¬
Hiballa, wovon wir oben sprachen, brachte das Thea¬
verdaute Wedekinder, Strindberge, russische Dichter und modernstes
ter in der Königgrätzer Straße in einer höchst unglück¬
Gemüse haben. Befassen wir uns weiter nicht mit der Sache. Es
lichen Form heraus. Man machte von vornherein Zirkus, steckte
ist schade, daß so etwas in einem Volkstheater, dem Neuen
die Schauspieler in die verdrehtesten Phantasiekostüme, und kein
Volkstheater, der wahrlich schon genug verwirrten Arbeiter¬
Mensch wunderte sich darüber, daß Leute, die sich derart anziehen
bevölkerung vorgesetzt wird.
tolles Zeug reden. Wedekind aber will verflucht ernst genomme'
Das Residenztheater feierte den Ausgang des Rei¬
werden. Seine Menschen müssen aussehen wie die im Zuschaue
genprogesses durch die Aufführung der schon vor 10 Jahren gespiel¬
raum. Wenn man Seinesgleichen Merkwürdigkeiten äußern höt
ten Schninlerschen Tragikomödie „Das weite Land“
hat man vielleicht das Bedürfnis, den Irrgarten seines „weitent
Die ungeheure Kompliziertheit, die Abwandlung des Ehebruch¬
Landes“ auf unausgetretene Pfade zu untersuchen. Ludwigs
themas in allen Schattierungen vermag nur jüdischer Intellekt zu
Hartan stelzte wie ein verkrüppelter Gorilla einher, wußte
erfassen. Wie im „Reigen“ will natürlich Schnitzler nur den
zweifellos tragtische Gefühlle in seinem Zusammenbruch zu erwecken,
Schleier der Verlogenheit vor der Gesellschaft wegziehen, will
auch Wucht seiner Gestaltung war vorhanden, aber ihm fehlte das
(selbstverständlich!) nur moralisch wirken. Schade nur, daß er
Kindliche, das Weltfremde. Man glaubte nicht, daß ein Mensch,
seinen Personen so harmlose Namen wie etwa Hofveiter gibt.
der wie ein unerbittlich klarer Denker aussieht, in derartigen
Einen so komplizierten Christen wie den Herrn Hofreiter gibt es
Phantastereien schwelgen kann.
ja gar nicht. Im ersten Teil macht Herr Hofreiter seiner Frau
Den Bußtag feierte das Deutsche Theater durch eine
Vorwürfe, daß sie einen jungen Verehrer nicht erhörte und darum
Neueinstudierung von Strindbergs Passionsspiel „Ostern“.
zum Revolver griff, im zweiten Teil tut ihm seine Frau den Ge¬
Die Spielleiterideen des Herrn Karlheinz Martin kommen
fallen, ihn mit einem Marinefähnrich zu bet##n. Und da war
nicht aus dem Herzen, sondern aus dem Hirn. Die Poesie ging
es wieder nicht recht. In einem provozierten Huell erschießt Hof¬
verloren. Martin interessiert das Pathologische mehr als das
reiter den Jung u. Man weiß nicht recht, ob aus ganz plebejischer
Poetische und deswegen mußte Roma Bah“ als angeblich
Eitersucht, oder, wie er sagt, weil er die Jugend frech aus dem
Frieden bringende Eleonare durch ihr ekstatisches Prophetentum
Ausg des Gemlers leuchten sah. Sei dem, ###e es sei, in keinem
weeitere Erregtheit in die unglückliche Familie hineintragen. Die
Falle handelt es sich um das weite Land der Seele, sondern um
ganze Konstruiertheit der Auffassung schmolz zusammen, als
das „Land unbewrener Möglichkeiten“ eines im Materiellen ge¬
Eugen Klöpfer, der gefürchtete Gläubiger, eindrang und
hundenen Intellekts. Sicher ist, daß trotz des gerichtlich beschei¬
halb Rübezahl, halb Ekkehard, Lebenswärme in das kalte Spiel
nigten und deswegen glaubhaften moralischen Wirkens eine er¬
brachte. Er gab eine Leistung, die durch ihre Echtheit, ihre wahr¬
hebliche Gefühlsverwirrung angerichtet wird: Das moralische Un¬
hafte Kunst die Herzen rührte.
terbewußtsein wird zerstört.
Friedrich Kayßler spielte, wie mir berichtet wurde,
Wedelind hat schon lang eingesehen, daß die Aufrich¬
in der Volksbühne am Bülowplatz einen ergreifenden
tung einer „höheren Moral“ an der Qualitätslosigkeit der Mas¬
Lear. Das szenische Proble.n, so geschmackvoll es Jü
n
senmenschen scheitert. Karl Hetmann, der Zwergriese, der in
Fehling gestaltete, war nicht gelöst. Dauernder Vorhangfall
zerschnitt die Einheitlchkeit.
seinem Buch „Hidallg oder die Moral der Schönheit“ seine
Ludwig Julda, der Sachverständige im Reigenprozeß, ##
kindlichen Träume über Züchtung von Rassemenschen niedergelegt] hatte im Neuen Theater am Zoo Gelegenheit, seinen
hat, hängt sich auf, als seine Pläne zusammengelnochen sind, als! „Dummkopf“ zu zeigen.