II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 672

24. Das weite-Land
box 29/4
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplats 21
ZeitungHlannov. Courier
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ene

# S. 60her
Wie nicht anders zu erwarten war, haben sich natürlich
Theatedirektoren gefunden, die Reklame, die der „Reigen“=
#ß neuerdings für Arthur Schnitzler gemacht hat,
auszinutzen. Die Gebrüder Rotter glaubten das fünfaktige
Schkuspiel „Das weite Land“ im Residenztheater
vom Staub der zehn Jahre, die seit der Uraufführung im
Lessingtheater darauf gefallen sind, befreien zu müssen. Ein
künstlerischer oder geistiger Grund ist nicht ersichtlich für das
Wiederaufnahmeverfahren, denn auch Irene Triesch könnte
von sich aus keine innere Notwendigkeit zu erkennen geben,
noch inmal die Rolle der Genia Hofreiter zu gestalten. Wenn
man hier überhaupt von Gestattung sprechen will, da doch
nur Technik, Raffinement, bestenfalls, „verstarzeskühler Trieb
herrschen.
Heutiges Empfinden hat wirklich### gemein mit
dieser Dialogarbeit, von der ### gewit
liche Gute
wiener###rnd, geist¬
sagen kann. Beiworte ale
können
voll=graziös, schnitzlerisch Frau und so we

ier angewandt werden. Aber welche Erlebnisse, welche Not¬
Aufmachung, ### den Nachteil hat, auch nur mit Sonderkräften
zendigkeiten charakterisiert man damit, welche Innerlichkeit
zu arbeiten. Sonverkräfte sind hier aber siets Kräfte zweiten
lüht auf? Bleibt dies alles nicht Gerede und Psychoanalyse,
Grades. Die junge Dichtung braucht jedoch, gerade wie einst
ie gar nicht fesseln kann?
Gerhart Hauptmanns erstes Erscheinen, der besten Mitarbeit,
Es sehlt im Eheschicksal der Hofreiter die zwischen Liebe
denn junger Dichtung ist das Fehlen der anschaulichen Gestal¬
ind Nichtliebe, Betrug und Abneigung, Fesselung und Befreiung
tungskraft typisch zu eigen.
in= und hertaumeln, jedes tiefere Moment naturgebundenen
Die vier Akte „Passion“ vom jungen Paul Baudisch,
Schicksalszwanges. Die hier offenbarte Differenziertheit nicht
von dem ich einen grotesk verzerrten Noman „Schlumpf“ und
onstruiert, künstlich, denn nichts überzeugt und man fragt auch
geistig konzentrierte Aufsätze, „Fragmente“ (beide Ed. Stracke
ach Ablauf der fünf Akte weiter: Kann das nicht alles anders
Verlag, Wien) kenne, offenbarten wieder die bekannten Mängel
ein? Man sieht plötzlich mit erschreckender Deutlichkeit, welche
junger Dichtung, so daß es schon gar nicht lohnt, darauf einzu¬
Oberflächlichkeit in diesem Stücke herrscht, das gewiß von jeher
gehen. Denn nicht dieses Fehlen der Gestaltungskraft, diese Un¬
su Schnitzlers schwächsten Arbeiten gehörte, gerade darum aber
reife der dramatischen Spannung und die Gärung der tastenden,
der Vergessenheit überantwortet bleiben sollte.
versuchenden, hin und her gezerrten Sprache ist das Entscheidende
Distanzen wachsen auf! Geshart Hauptmanns „Peter
für die Stellungnahme dieser Dichtung gegenüber, sondern ihr
Brauer“ erwies sic kürzlich bereits. Nun auch Arthur Schnitzler.
seelischer Eshalt, ihr letzter Sinn. Um ihn zu erleben, muß man
Er ist der Geist, die Psychologie eines dahingesunkenen Zeitab¬
freilich Augen haben, die sehen, Ohren, die hören können. Da
schnittes, einer schwindenden Generation. Den Zukünftigen,
die junge Dichtung aber stark mit lyrischen Unterströmen, mit
heutiger Jugend hat Schnitzler nichts weiter zu sagen. Unsere
Halbbewußtheiten arbeitet, eben weil sie suchend und im Zu¬
Sehnsucht geht andere als gestaltlose, psychoanalytische Wege,
stand des Werdens ist, so sind Instinkte, innerliche Kräfte zu
sinnt den Notwendigkeiten des Daseins auf Grund reiner Mensch¬
ihrem Verstehen notwendig.
lichkeit nach. Wo lebt bei Schnitzler das Ziel, das Ideal reiner
Denn es ist falsch, Paul Baudisch kurzweg als Intellek¬
Menschlichkeit? Zergliedernde Darstellung dekadenter, zielloser,
tualisten abzutun. Gewiß herrscht bei ihm das Ringen um
nervenzerrütteter Menschen: was soll uns dies? Auch der beste
geistige Erkenntnisschärfe vor: es ist das Ringen der Jugend
Dialogstil kann über die Sinnlosigkeit dieser Art Dichtung nicht
um Klarheit überhaupt. Das Wesentliche seines Schöpferdranges
hinwegtäuschen.
ist aber vielmehr seine Religiosität; sie ist die Quelle seiner
Zumal, wenn noch dazu eine Spielleitung Ungeschicklichkeit
Weltanschauung und Menschenerfassung. Von ihr aus sind allein
neben Ungeschicklichkeit häuft und glaubt, mit ein paar „Promi¬
die vier Akte der „Passion“ zu erfassen. Dann enthüllt sich plötz¬
nenten“ das Publikum einfangen zu können. Herr Korff er¬
lich ihre Einfachheit: das Jugenderlebnis, daß der Jüngling
warb sich mit seiner Negie keinen Ruhm, desser fand er sich schon
nicht an das Verbrechertum glauben kann, sondern in jedem
mit der Rolle des Ehemanns Hofreiter ab, in dessen elegante
Menschen den Heiligen sieht, liegt zugrunde. Antithetisch wird es
Aeußerlichkeit or sogar einige Blutwärme brachte, auf die man
aufgebaut: der Jüngling Thomas erleidet seine „Passion“ weil
bei Franz Schönfeld als Hoteldirektor ganz verzichten
er allzu geistig von jeder Getriebenheit des Lebens sich so sehr
mußte. Von den andern Rollen ganz zu schweigen.
entfernt hat, daß Gott in ihm nicht mehr zu erwachen vermag:
Einst wurde Arthur Schnitzler im Lessingtheater heraus¬
der Intellektualist, der sich selbst vernichtet. Ihm gegenüber steht
gebracht: Brahm hielt sein Schaffen in der Kunstsphäre. Jetzt
der im Triebhaften wurzelnde Leidenschaftsmensch: trotz aller
erscheint er im Residenztheater: die Gebrüder Rotter reihen ihn
Verbrechen erwacht in ihm eines Tages Gott: dämonische Reli¬
in die Sphäre des neuen Reichtums, der neuen Gesellschaft ein.
glosität ist erkannt.
Sieht man nicht hier Entwicklungen?
Baudisch — wider Willen ein psychopathischer Analytiker —
Nachdem man im Revolutionswinter 1918/19 mit Urauf¬
sicht die Wesenskräfte des Daseias. Sie will er gestalten. Vor¬
führungen junger Dichtung in Berlin verschwenderisch geprotzt
läufig gelingt ihm nur die Aussage über seine Erkenntnis durch
hatte, ist der Mut dazu jetzt völlig verschwunden. Ist es nicht
mehrere Figuren, die Schemen bleiben. Aber ein Weg tut sich
bezeichnend für eine gewisse geistige Energiekosigkeit, wenn erst
auf; Weiterentwicklung erscheint sicher. Ueberwindet Baudisch
Ende November in Berlin das erste Stück junger Dichtung vor¬
die nächsten Schaffensjahre in Selbstzucht, sind dichterische
geführt wird? Wieder ist es auch nur der Wille Kayßlers der
Neuschöpfungen zu erwarten. Deshalb war die Uraufführung
Volksbühne, in deren Nebenhaus, dem Neuen Volks¬
der Volksbühne eine hilfreiche Tat, wenn auch die Regie Bern¬
theater in der Köpenickerstraße, literarische Sonderveran¬
hard Reichs, die das Stück fälschlich und unzulänglich ins Hasen¬
staltungen ausgenommen werden. Leider wieder in dieser sich
cleversche übersetzte, und das Spiel trotz aller Begabung ver¬
aus allem Ueblichen heraushebenden Sonderveranstaltungs= sagten.