II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 673

24. Das weite Land
box 29/4
Klose & Seidel
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Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung: Kölnische Zeitung
Ort:
Datum:RSRRRRA
Das weite Land.
Bexlin. Es muß in bestimmten Empfindungen der Zeitströmung
liegen, daß Artur-Schnitzler jetzt auf den Berliner Theatern
gery gesehen ist und viel aufgeführt wird. Wir schauen in seinen Stücken
auf die Sünden der Vorkriegszeit zurück und denken tiefer und nach
bittdrek Erfahrung über manches nach, was uns früher kaum eines gleich¬
gültigen Lächelns wert schien. Das elegante Laster war immer
Schnitzlers besondere Domäne, die er im leichtfertigen Wien, nicht mit
der Härte eines Tacitus, aber wohl mit der Spottlust und Grazie eines
Martial verwaltete. So hatte auch Das weite Land, eines seiner
spätern Stücke (von 1910), das vom Residenztheaier in einer
schauspielerisch hochstehenden Neueinstudierung jetzt vorgeführt wurde,
einen verdienten und starken Erfolg. Dies Schauspiel, eine fünfaktige
Tragikomödie nennt der Dichter sie, ist als Sittenstück noch immer be¬
merkenswert, wenn es auch etwas breit wirkt. Das weite Land, so nennt
Schnitzler an einer Stelle die Seelen jener Zeit, in denen so unglaublich
viel Widersprüche, Verlogenheiten, Schwachheiten, Brutalitäten und
Leidenschaften zugleich Platz fanden. Jene Seelen, die hemmungslos
den Freund, die Gatlin, die Anverwandten betrügen, sie bei allem dem
immer zu lieben vorgeben und nie imstande sind, einen dicken Sirich
unter eine Würdelosigkeit oder einen Beirug zu ziehen. Der Fabrikant
Hofreiter, der seine Frau Genia beständig betrügt, sich aber am Schluß
das Recht nimmt, deren eignen Geliebten, den harmiosen Jungen Otto
Aigner, im Duell totzuschießen, ist der Held dieses Schauspiels und der
echte Vertreter der Moral dieser Kreise. Von Arnold Korff wurde dieser
Lebenskünstler ausgezeichnet gespielt. Vielleicht etwas zu hart, in der
Maske auch nicht wienerisch genug, aber im ganzen sehr vornehm und
bewußt, jedenfalls ganz aus einem Guß. Irene Triesch hatte die Roue
seiner Gattin Genia, der schwermütigen, ewig getäuschten und doch steis
wieder hoffnungsvollen Frau des Lebemanns. Sie spielte sie in ihrer
nervösen Art, die gerade hier überzeugend wirkte. Eine ausgezeichnete
Leistung bot Frau Rosag Bertens als Frau Meinhold, die Mutter des
Fähnrichs Ot“ Aianer. Die Frau, die schon entsagt hat, und in deren
melancholischer Herbheit soviel Kritik ihrer Umgebung liegt, wurde von
ihr mit großem Talent dargestellt. Die kleine Erna Wahl, die Geliebte
Hofreiters, spielte Gertrud Welker. Das Publikum spendete starken
Bessan.
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Hoie & Selar.
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berlin no. 45, Georgentirchplatz z1
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Küinigsherg 1 Pr.
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Hus Kunft und Leben.
Schnihler gegen Schnitzler.
Im Residenztheater in Berlin führt ArtuxeSchnitzler
#selber seine Sache wider Artur Schnitzler: „Das weite Land“
soll und kann den „Reigen“ vergessen machen. Gegen den unseli¬
gen Erben der angeblich in Unehren verstorbenen Zensur, Herrn
Professor Brunner vom Polizcipräsidium Berlin und seine von ihm
mit Freikarten zum sittlichen Aergernisnehmen im Eysoldtheater aus¬
gestatteten organisierten Zeugenmuckerinnen und Schnüffler gab es
nur einen einzigen möglichen Kunststandpunkt: es gibt nicht
moralische und unmoralische Kunstwerke sondern nur gute und
schlechte Kunst nach den Gesetzen der Aesthetik; der Kunstler
selber aber ist eine ethische oder unsittliche Persönlichkeit! Nachdem
die Kunstgefahr durch den „Reigen“=Freispruch grundsötzlich behoben
ist, wir also wieder selber das Hausrecht der Kunst ausüben können
ohne den so drohend, wie täppisch geschwungenen Kunstpfaffenknüp¬
pel der Unberufenen, der Dilet=Tanten und Dilet=Onkels: nun wie¬
derhole ich gelassen mein ablehnendes Kunsturteil über die undrama¬
tischen Erosdialoge des Wiener Poeten, die weder für die Bühne ge¬
meint noch geeignet sind. Daß jedoch diese schwächlichen Unterleibs¬
gespräche — sie wollen die abstumpfende Monotonie
der Geschlechtsausübung ohne den Seelenzauber
der Liebe darstellen, bleiben aber mit diesem ebenso gestatteten wie
zu gestaltendem Thema im dürftigen Umriß hängen — von derselben
Bühne wieder in den Spielplan gezerrt werden, nachdem sie weidlich
abgenutzt worden waren, das ist ein Mißbrauch des Kunstrechts¬
schutzes, der soeben erstritten wurde. Jener grundsätzliche Protest
gegen die Brunnervergiftung unseres lediglich von der Kunst her
zu richtenden Kunstlebens und dieser Protest wider derartige Ge¬
schäftsgelüste mit durchsichtigem Feigenblättchen wachsen aus der¬
selben Wurzel. Der freie Kunstadel verpflichtet!
Also: Schnitzler gegen Schnitzler! 1910 kam diese feingeschlif¬
fene gesellschaftliche Anklage zuerst: inzwischen verlor die Tragi¬
komödie von dem halbbewußt brutal sich zerstörenden Manne und dim
gefühligen Weibe, das, seinem zur Willkür entartenden Willen ver¬
knechtet, verzweifelt versucht, sich auf ihn einzustellen und an diesem
Ringen sich vollends erschöpft, kaum etwas von ihrem Wert. Das
weite Land“ ist das Liebesleben, ist ebenso die Gesellschaft als
sinnenüberreizte Genießerwelt, betrachtet mit der kulturgepflegten
Eleganz des Salonpoeten aus dem älteren Wien von
der einstens schönen hlauen Donau:
geschickte
Tennisschläger gewinnt den Lebenskampf. Geistreiche, etwas müb¬
zweifelnde, gelassen-lächelnde Seelenschau ist die Note: die Menschen
sollen nicht so oder anders sein, sondern: sosind sie, diese närrischen
Liebesmotten. Irene Triesch, die also wieder im engen Land
ist nach ihrem länglichen Londoner Ausflug, lebt die Weibgefühle
mit ihrem Reichtum und ihrer Spürsicherheit menschenschöpferisch
aus; Rosa Bertens wirkt als Mutter mit: Arnold Korff
und auch Gertrud Welcker waren ihrer würdig. Es schwinge
sich der Reigen!
Theodor Kappstein.