II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 675

24. Das weite Land
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Von Arthur Schnitzler, dem dank den Staats= von einem ins Böse verwandelten Emanuel
anwälten heute meist genannten deutschen Dich¬
ter, hat das Residenztheater das Weite Land
Quint, aus dem es zwischen Wolkenbrüchen von
hervorgeholt, ohne diese Komitragödie beson¬
Worten auch jugendlich gewittert.
ders entstauben zu müssen. Auch ein Reigen mit
Der Hahnenkampf, zu dem das Lustspiel¬
den vielen verschlungenen Liebschaften — was
haus einlud, scheint ein älterer Heinrich Lauten¬
wäre dieses aus Melancholie und Ironie und
sack zu sein. Hier hat er es nicht mit der Reli¬
sehr weltmännisch verhaltener Entrüstung
gion oder vielmehr mit der Kirche und ihren
prägte Stück für ein schönes Stück, wenn es sich
Dienern zu tun, sondern er klammert sich in vol¬
in die Familienangelegenheiten der Wiener Ge¬
ler naturalistischer Rücksichtslosigkeit mit so der¬
sellschaft vom Jahrhundertende nicht allzu
ben Organen wie ein junger Thoma oder ein
pietätvoll eingelassen hätte! Wer hat heute noch
junger Ruederer an die Heimat der dicksten
Anspruch auf fünf Akte? Arnold Korff, Irene
Knödel, der resolutesten Liebschaften und der
Triesch und Rosa Bertens hätten für mich noch
noch ganz naturrechtlichen Wildererbräuche. Für
drei Akte weitersvielen können. Aber wie be¬
Lautensack der nur Szenen schrieb — aber sie
kommt man diese drei passendsten und wirksam¬
bringen nach Thoma, Ruederer und auch Gang¬
sten Besetzungen wieder zusammen? Also den
hofer keine neuen ethnographischen Entbeckun¬
Brüdern Rotter unseren ersten Dank!
gen —, war das Zuständliche, war die gewisse
Friedrich Kayßler, der Herr der Volksbühne,
dicke und doch unschuldige Atmosphäre aus
gab sich den Lear und war es auch, wenn er im
menschlichen Ausdünstungen die Hauptsache. Das#
Schmerz erstarrte, wenn er nur sein Auge spre¬
Lustspielhaus legte mehr Wert auf das körper¬
chen ließ, wenn er, selbst ein Sterbender, die
liche Ringen der beiden Haupthähne und auf das
tote Cordelia herbeischleppte. Wer kann da
Totschießen. Aber sie knallten und luden zu
widerstehen! Aber im ganzen war es doch mehr
stark auch mit Worten. Aus der blöden Ver¬
ein weiser als ein törichter Lear. Kayßler man¬
bohrtheit des nicht sehr bayerischen, aber sehr
gelt die Wildheit, die sinnliche Phantasie, das
menschlichen Gendarmen Hermann Vallentins
berserkerhafte Toben aus Urelementen. Der
wurde in der Ueberanstrengung fast eine japa¬
einzige Kerl auf der Bühne war Mary Dietrich
nische Maske, und Albert Bassermanns Apo¬
mit ihrer Goneril. Sonst wohnte die Auffüh¬
theker wäre nicht weniger Nerv und Muskel ge¬
rung mehr im menschlich Tüchtigen als im über¬
wesen, wenn er sich nicht so unnachlässig ausge¬
menschlich Mythischen. Und dennoch, als alles
schüttelt und ausgeschrien hätte. Die neue Herr¬
in fünfeinhalb Stunden überstanden war: wir
schaft des Lustspiellauses hat mit Schmidt¬
hatten den Riesen unter den tragischen Dichtern
Vonn, Gerbart Hauptmann und Lautensack lön¬
schreiten sehen, wie er segnende Blitze über die
lich angefangen; es bleibt ihr noch übrig, antes
Erde streut. Vielleicht weil sich kein Regisseur
Theater zu machen.
vermaß, ihm in den Arm zu fallen und ihn mit
A. E.
neuen Stilschlingen zu binden.
Von den neun ernsten Aufführungen, mit
denen wir uns also wirklich nicht zu schämen
brauchen,
waren nur zwei Uraufführungen.
Paul Pandischs Passion im Neuen Volks¬
theater habe ich nicht mehr erreichen können, und
man sagt mir, daß ich den Verlust der Auffüh¬
rung nicht zn bedauern habe. Es ist ein Welt¬
anschauungsstück von einem schlimmen Heiland,