II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 676

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24. Das veite nd
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Schnitzler und Lautensack
s weite Land ist die Seele des Menschen. Es gibt kostbarere
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Eeichnisse, auch in Schnitzlers Dramentiteln. Aber nehmen wirs
hing wientiger ist ja, was Schnitzler in ungefähr einem Dutzend
wefter Länder gesehen hat. Dann fällt zunächst das weg, das ein ein¬
ziger Tennisplatz ist, und ein paar andre, die an die seriösen Länder
angrenzen, wie Operettenstaaten an Großstaaten, und die nur dazu da
sind, um die Karte möglichst bunt zu machen. Schnitzler hat hier
ab und zu nachdrücklich ans Theater gedacht. Er verschmäht nicht
Schwankscherze, nicht Schwankliguren, nicht Schwanksituationen
Aber es ist wirklich nicht zu bezweifeln, daß er sie, und übrigens mit
Maß, in seine Tragikomödie hineingesetzt hat, weil er auch gröbere
Elemente als uns, die wir ihm sicher sind, für die Tragik seiner Ko¬
mödie gewinnen wollte. Verwunderlicher ist, was für eine anfänger¬
hafte Not auf ein Mal wieder der Verfasser von bühnenrunden und
schlagkräftigen Werken hat, um die Karre in Gang zu bringen und
in Gang zu erhalten. In den ersten drei Akten ist, abgesehen von
jenen listig eingestreuten Lustigkeiten, je ein Viertel Füllsel eines
merkwürdig unbeholfenen Technikers. Erst die beiden Schlußakte
haben die Prägnanz, die das Drama braucht. Es sind durchaus nicht
allein die handgreiflichen Effekte, die diese Akte eindrucksstärker
machen. Schnitzler hat sich einfach heiß geschrieben. Die Sätze
werden leichter, schneller, kürzer und sagen, trotzdem oder deshalb,
mehr. Der Dialog bekommt hier manchmal den Klang von Sticho¬
mythien. Der letzte Akt hat dreizehn, der erste fünfunddreißig Seiten.
Das ist bezeichnend. Als Schnitzler fertig war, hätt’ er im Fieber der
Arbeit von neuem an die erste Hälfte gehen sollen. Aber das, nicht
wahr, ist mir für die Wirkung aufs Publikum erheblich, keineswegs
für die Wirkung auf mich, für den sich ein kultivierter Kenner wie
Schnitzler gar nicht genug Zeit nehmen kann. Auch aus dem gestreck¬
testen Geplauder eines Dichters will ich heraushören, worum es ihm
ernst ist, wenn er nur ein Dichter, und wenns ihm nur ernst ist.
Schnitzlern ist es grade diesmal verteufelt ernst. Der Doktor
Mauer, der als der anständigste Mensch durch die Gesellschaft des
Stückes spaziert, fällt über sie das Urteil. Er hätte nichts einzuwenden
gegen eine Welt, in der die Liebe tatsächlich wichts andres wäre als
ein köstliches Spiel. Aber was er hier sieht:Wieses Ineinander von
Zurückhaltung und Frechheit, von feiger Eifersucht und erlogenem
Gleichmut, von rasender Leidenschaft und leerer Lust — das findet
er trübselig und grauenhaft. Ist zu glauben, daß Schnitzler das
weniger trübselig und grauenhaft lindet? Es ist eine echte Trauer in
ihm um die Männer und Frauen seiner Zeit und dieser Schicht. Aber
er hat freilich nicht die Natur, zornig die Augen zu rollen und Donner¬
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worte der Empörung zu ballen. Er will schon der Sittenrichter dieser

Generation sein. Aber nicht mit priesterlichen Gebärden und im Voll¬
gefühl der eignen Uniehlbarkeit. Er züchtigt, indem er darstellt: mit
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