II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 677

box 29/4
24. Das veite Land
WOE
resignierendem Verständnis und einer wehmütigen Tronie, deren welt¬
männisch gelassener Ton nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß
eine wahre Herzensnot lange gebraucht hat, sich zu ihm abzuklären.
Für ungefähr zelin Seelen ist die Liebe im Grunde Qual, Problem
und Schicksal. Sie liebeln, ja, weil Lenz oder Sommer ist, und
weil es Mondlicht und Wiesenduft, Höhenrausch und Einsamkeit und
in jeder Jahreszeit andre Gelegenheiten gibt. Die Erotik flicht um sie
ein dünnes und doch dichtes Netz von spinnwebzarten Fäden, die zer¬
rissen und wieder zusammengeknüpft werden und immer künstlich
verschlungen sind. Sie liebeln dreist und zynisch durcheinander. „Das
Klima der Begebenheit“, wie vor Felix Poppenberg schon Ludwig
Tieck zu sagen pllegte, hat eine leichte Beigabe von Verwesungsgeruch.
Aber alle diese Menschen liebeln doch nur nebenbei und zwischen¬
durch, neben und zwischen der großen Liebe, an der oder
für die sie verbluten. Der junge Musiker Korsakow erschießt sich,
weil er Frau Genia Hofreiter nicht besitzen kann, und der noch jüngere
Fähnrich Aigner wird erschossen, weil er sie besessen hat. Aigners
Eltern sind früh auseirandergegangen, weil er sie ein einziges Mal
betrogen hat, und beide gestehen nach zwanzig Jahren, daß sie Keinen
und Keine nachher je wieder richtig geliebt haben. Der Bankier
Natter weiß, daß ihn seine Adele jeden Monat mit einem Andern
betrügt, und liebt sie doch so rettungslos, daß er ein Leben ohne sie
niemals ertragen würde. Der Doktor Mauer bietet Erna Wahl den
Frieden und die Sicherheit, die sie nur anzunehmen brauchte, um den
braven Mann vielleicht für immer zu beglücken, und es ist möglich,
daß er nach ihr Keine mehr begehren wird. Erna Wahl liebt Fried¬
rich Hofreiter, der sie am Wendepunkt seines Daseins von sich stößt.
Denn er hat Erna zwar genonnnen, wie so viele Frauen und Mädchen,
aber er ist sich klar darüber, daß er doch nur Genia liebt — Genia,
um derentwillen
Zwischen Genia und Friedrich spielt das eigentliche Drama. Wenn
es beginnt, ist sie ihm unheimlich, kann er ihr beinah nicht verzeihen,
daß sie um eines Schemens, eines Nichts, eines Phantoms, nämlich um
ihrer Tugend willen jenen jungen Korsakow hat sterben lassen.
Wenns schließt, hat er, in blinder Wut und giftiger Eilersucht und
großer Liebe, den noch viel jüngern Aigner totgeschossen, den sie
„erhört“ hat — sei es aus Erinnerung an den Fall Korsakow, sei es
aus Rache für die Erna Wahl, sei es aus simpler Sehnsucht nach
der Wärme eines unverbrauchten und naiven Menschen. Zwischen An¬
fang und Ende sieht man wenig Versuche der Beiden, zu einander zu
kommen, und das ist nicht nur ein dramaturgischer Einwand, sondern
hat wahrscheinlich auch empfindliche Gemüter gegen das Ethos der
Dichtung eingenommen. Die beiden Menschen, kann man sagen,
kämplen nicht genug, um so leicht unterliegen zu dürfen. Für mich
ist es ausschließlich ein dramaturgischer Einwand. Denn ihre
Kämpfe liegen bei Beginn des Stückes hinter ihnen. Sie wissen um
einander Bescheid. Sie sagen, daß sie nichts mehr wünschen und
553
E