II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 684

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Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsau. schnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
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Datum: —
Breslauer Theater
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ob. Stadttheater. Freitag. den 15. Juli: „Das wei
Land“ (Gastspiel der Berliner Rotter=Bühnen.) Als vor un
mehr bald 10 Jahren diese Tragikomödie Arthur Schnitler
zugleich mit zwölf anderen Bühnen vom Breslauer Lobetheate
zur Uraufführung gebracht wurde, erfuhr sie hier wie ander
wärts keineswegs eine begeisterte Aufnahme. Man trug dem
geistreichen Dichter nach, daß er in dieser seiner Schöpsung zu
geistreich war, daß er dadurch die Klarheit der geschilderten
Tharaktere trübte und durch Komplizierung um jeden Preis dem
Werke sogar seine dramatische Wirkung nahm. Weiter bean¬
standete man, daß Schnitzler dgs Stück seiner ureigensten drama¬
tischen Bestimmung zuwider eine Tragikomödie nannte und ihm
im dieses Zieles willen einige Tropfen leichter Komik beimischte,
die ihm wiederum eine Zwittergestalt verliehen. Ek
war kein¬
Drama mehr, aber auch noch keine Tragikomödie.
Was damals galt, gilt auch heute noch. Die Zeit hat uns die
komplizierten Charaktere, wie sie Schnitzler schildert, nicht näher
gebracht. Möglich, daß die Seele wirklich ein so weites Land ist.
daß nicht jeder sich darin zurecht findet, daß man schon ein Dichter
In Schnitzlers Sinne sein muß, um in dem Chaos, das ihr inne¬
wohnt, Richtung und Ziel erkennen zu können. Uns Sterblichen
jedenfalls will es unerklärlich scheinen, warum der Held der
Tragikomödie, der für sich in kraffestem Egoismus das Recht in
Anspruch nimmt, einen wahren Kettenehebruch zu vollführen, sich
zuerst von seiner Frau abwendet, weil sie durch eine ihm unver¬
ständlich bleibende Standhaftigkeit einen unglücklichen Liebhaber
in den Tod treibt, dann aber den Tod des erfolgreichen Buhlen
fordert und herbeiführt, dem die Gattin im Abgleiten vom Wege
der Ehrbarkeit sich zu eigen gegeben hat. Noch rätselhafter erscheint
uns dieses Verhalten durch das besonders unterstrichene Fehlen
seglichen Gefühles von Eifersucht und Rache. Da nach Schnitzlers
Meinung in der menschlichen Seele viel nebeneinander Platz hat,
Treue und Trug, Anbetung und zugleich Verlangen nach einer
oder gar mehreren Anderen, so will es uns nur konsequent er¬
scheinen, daß er in den Nebenfiguren den Wahrheitsbeweis für
diese Behauptung anzutreten sucht. In den Seelen seiner
Personen hat wahrhaftig nichts anderes Platz als Untreue und
Verlangen nach anderen, und so ist denn das weitere Spiel nichts
als eine ununterbrochene Folge von Sichnehmen und Sichgeben,
in welcher Kunst es neben dem schon geschilderten Helden noch eine
erkleckliche Anzahl anderer Meister gibt. Daß dies alles neben
einem schier unendlichen Tennisspiel von hochwertigster, geist¬
reicher Konversation umrankt ist, ist bei Schnitzler selbstverständ¬
lich, trägt aber gleichwohl nicht zur Entwirrung bei und gibt dem
Stücke keineswegs eine stärkere Ueberzeugungskraft.
Daß dem Werke trotz aller Mängel ein immerhin beachtlicher
Beifall zuteil wurde, ist in der Hauptsache wohl der Darstellung
#u danken. Der Erfolg des Abends hieß Arnold Korff. Ohne
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Jose und Geziertheit, stets vollkommen Herr der Situation, ent¬
faltete er ein geradzu brillantes Können. Schade nur, daß er in
ieghafter Zuversicht glaubte, gegen das Hauptgebot für alle
Schauspieler dadurch sündigen zu können, daß er stellenweise aud
den Nächsten unverständlich blieb. Ellen Tietz, der Gattin
ätten wir gern etwas mehr Empfindungskraft gewünscht. Be
allem sympathischen Spiel fehlte Else Kassner für die Roll¬
des jungen Mädchens, das sich mit fröhlicher Unbedachtheit hin
gibt, ein wenig die traftvolle Sicherheit der Persönlichkeit. Sonf
wäre nur noch Gisela Schneider=Nissen zu erwähnen. Alles
andere sei den Gebrüdern Rotter geschenkt, aber nicht verziehen
Wir sind auch in Breslau bessere Kost gewöhnt, und zu allererf
an der Stätte, an der man uns jetzt solche gemengten Speisen vor¬
zusetzen beliebt. Wenn die Firma Rotter glaubt, die Breslauer
mit Ersatzkräften abspeisen zu können, weil sie ohne mannigsacht
Teilung ihres Ensembles ihren gleichzeitigen Verpflichtungen an
mehreren Orten nicht nachkommen kann, so wäre es uns schon
lieber, sie beglückten nur die anderen Städte, verschonten uns aber
damit.
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO 43, Georgenkirchplatz 21
chlrsche Sel
Zeitung:
Breslau
Ort:
Datum: —
1°7
1921
Thealer.
Stadttheater. „Das weite Land.“ Vor zehn Jahren
bereits sahen wir diese „Tragikomödie“ von Arthur Schnitzler
im biesigen Lobetheater. Daß uns die Rotkers jetzt nochmal das
kniffliche und müde Schauspiel des Wiener Dichters vorsetzen, wäre
kaum zu verstehen, hätten sie nicht in Arnold Korff, dem Dar¬
steller des Fabrikanten Hofreiter, einen Künstler, der dem Werk
geradezu einen neuen Geist einzublasen verstand. Die Auf¬
führung am Sonnabend gestaltete sich denn auch zu einem per¬
sönlichen Triumph für Herrn Korff — erst als er allein für
den trotz aufdringlicher Claque matten Beifall dankte, applaudierte
ihm das ganze Haus stürmisch. Das Stück an sich, mit seinem
Rattenkönig von Ehebrüchen, seinen faden Gesellschaftsmenschen
und seinem Mangel an dramatischer Kraft eignet sich gerade
darum für die Rottertruppe ganz besonders. Hier könnten Bilder
aus dem Leben einer blasierten und dekadenten Gesellschaft, über
die das wienerische Element noch einen kleinen Schimmer von
Poesie legt, mit Eleganz und Feinheit szenisch herausgebracht
werden. Könnten. Aber für die guten Breslauer haoen die
Rotters diesmal wieder (außer Korff) nur ilre letzten Garnituren
übrig gehabt. Von einer wienerischen Note war wenig zu spüren,
und einzelne Darsteller, wie die Herrer Schönemann (Gustav)¬
Papst Dr. Mauer) und andere gaben sich nicht einmal die
Mühe, den österreichischen Sprechton auch nur anzudeuten. Das
waren lauter waschechte Berliner, und zwar Berlin W, Kur¬
fürstendamm. Ellen Tietz blieb als Hofreiters Frau ganz
konventionell und sah nicht übermäßig verführerisch aus, dafür
entsprach auch ihr junger Liebhaber (Herr Westerhold) nicht
gerade dem Bild, das man sich von einem Fähnrich der ehe¬
maligen k. k. österreichisch=ungarischen Marine macht. Schon eher
dem Stil Schnitzlers näherten sich Frau Schneider¬
Nissen (Frau Wahl) und das blonde Frl. Kaßner (Erna),
der man aber auch entschieden mehr Temperament wünsc möchte;
eine recht unmögliche Type war die Frau Natter
Frls.
ückermann. Bleibt also nur Korff. Hier hatte man sofort
das Empfinden: Wien. Hinter allem übermenschentum, aller
Draufgöngerei doch die Grazie österreichischer Kultur (eine jetzt
ausgestorbene Erscheinung), etwas unwiderstehlich
Liebens¬
würdiges und Hinreißendes. Dem Fabrikanten Hofreiter des
Herrn Korff (er kreierte seinerzeit die Rolle im Wiener Hofburg¬
theater) glaubte man es, daß ihm die Weiber auch ohne sein Geld
nachlaufen, und daß auch seine grauen Haare dabei kein Hinder¬
nis bilden. Am eindringlichsten, weil am diskretesten, spielte
Korff jene Szene, wo Hofreiter den Liebhaber seiner Frau zum
Duell provoziert — hier kam auf einmal Leben in das sonst trotz
aller Bonmots so leere Stück.
A. D.