24. Di
41 2—
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
###h#nin 204#. Georgenkischplatz 21
Zeitung:
Ort:
Bresiau
Datum:
772
2
Stadttheater
Freitag, 15. Juli: „Das weite Land“.
Die Wege, die ins „Weite Land“ führen, ge
hören nicht zu den Alltags=Spaziergängen
der
Direktion Rotter. Sie liebt für gewöhnlich be¬
quemere Ehebruchsstücke, als sie Arthur Schnitzler
schreibt. Gerne hätte ich also demRotter schen
Mute einigen Weihrauch gespendet, nur leider er¬
wies er sich als Uebermut. Die heimliche Um¬
besetzung der „Evchen Humbrecht“ im Vorjahre war
gewiß eine kräftige Nummer. Gegen die unheim¬
liche Erstbesetzung des „Weiten Landes“ läßt sich
aber vom rein künstlerischen Gesichtspunkte aus
noch mehr einwenden. Dieses als Drama herzlich
schwache als Sitten= und Charakterstudie unge¬
wöhnlich fein gearbeitete Stück, fordert nämlich
etwa zwanzig erlesene Schauspieler (österreichischer
Herkunft) und die hier weilende Abordnung der
Rotter=Truppe bewilligte ihm — zwei.
In ganz richtiger Erkenntnis dieses Kräfte=Ver¬
hältnisses hatte der für Breslau bestallte Dramaturg
die Schnitzler'sche Tragikomödie zunächst einmal
gehörig zusamengestrichen und um beiläufig neun
zersonen erleichtert. Leider genügte die Meister¬
eistung des Rotstiftes immer noch nicht, um Stück
ind Darstellung einander näher zu bringen.
Die beiden Schauspieler, von denen ich soeben
prach, waren Herr Karff und Frau Schneider¬
Rissen (diese in einer belanglosen Nebenrolle).
Es heißt, daß die Herren Rotter Herrn Korff zu¬
liebe, der sich hier in einer seiner würdigen Auf¬
gabe zeigen wollte, das für sie so gefährliche „Weite
Land“ betreten haben. Sehr lieb von ihnen, nur
haben sie damit nicht einmal Korff einen wirklichen
Gefallen erwiesen. Er ist nämlich ein viel zu seiner
Künstler, um auf ein ihm ebenbürtiges Ensemlle,
wie er es im Burgtheater um sich hatte (das „Weite
Land“ repräsentiert nämlich den Typus des
modernen Burgtheater=Schauspiels), verzichten zu
können. Hier spielte er ins Leere hinein, obwohl
er selbst die Regie führte. Wo nichts ist, hat eben
auch ein ehemaliger Burgtheater=Regisseur sein
Recht verloren. Man kann immer nur wieder über
die Unterschätzung des Breslauer Publikums durch
die Herren Rotter staunen. Seinem anspruchs¬
vollerem Teile galt die Direktion Gorter als minder¬
wertig, abers ich glaube nicht, daß sie es gewagt hätte,
die sehr komplizierte Persönlichkeit der Genia
Hofreiter einer oberflächlich routinierten Konver¬
sationsschauspielerin anzuvertrauen oder die hohe
Gestalt der großen Tragödin Meinhold=Aigner (zu
der die Bleibtreu Modell gestanden zu haben scheint)
jener Dame auszuliefern, die neulich an einem
Lothar Schmidt'schen Dienstmädchen vorbeispielte,
oder den „dämonischen“ Lebenskünstler Dr. von
Aigner von einem Herren spielen zu lassen, der nur
über einige norddeutsch schneidige Offiziers=Töne zu
verfügen scheint. Das, was sich bei einigen
Episodenfiguren (etwa bei dem von Schnitzler mit
besonderer Zärtlichkeit gezeichneten Hotelportier)
begab, sei nicht näher erörtert. Es genügt die Fest¬
stellung, daß das „Weite Land“ nicht in seinen
melancholischen Reizen aufgegeigt, sondern bis zur
Unkenntlichkeit verwüstet wurde. Für solche Misse¬
tat aber gibtekeine künstlerische Reparation.
*
box 29/4
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkischplatz 21
Zeitung: Berliner Börsen-Zeitung
Berlin
Ort:
Datum:RE
— RottzerGastspiele in Breslau. Aus Breslau=Wird
uns geschr#ben: Die Gebrüder Rotter ssind im vorigen
Jahre unter unerfreulichen Begleiterscheinungen aus dem
Breslauek Stadttheater abgerückt, weil sie kühn genug ge¬
wesen waren, für Aufführungen in 27. Besetzung die
immerhin recht anständigen Premierenpreise zu verlangen.
Man durfte hoffen, daß sie diesmal ihr etwas rampo¬
niertes Ehrenschild tadellos auffrischen würden, und in der
Tat war die Visitenkarte, die sie mit „Lady Winder¬
meres Fächer abgaben, recht angenehm, aber schon
nach wenigen Abenden verschwand die schöne Carola
Tölle von der Bildfläche und auch die Reprise, von
„Untreu" zeigte eine Besetzungsänderung, die keine Ver¬
besserung war. — Lothar Schmidts Lustspiel „Nur ein
Traum“, das hier vor 10 Jahren erfolgreich gegeben
wurde, hatte in der Rotterschen Aufmachung nur einen für
wenige Tage ausreichenden Achtungserfolg. Gestern end¬
lich gab es eine Premiere, die zwar wiederum keine war,
aber doch darum Erwähnung verdient, weil die Rotters
mit diesem Stück die Berliner Winterspielzeit eröffnen
wollen.
— Es ist Schnitzlers Tragikomödie „Das
weite Land“, jenes leidselge, wenig gehaltvolle Kon¬
versationsstück, das uns der Fünfzigjährige einst als mäßig
überzeugende Geburtstagsgabe zu seinem Ehrentage be¬
scherte. Die Aufführung war interessant, weil sie das
Geheimnis der Rotterschen Erfolge bei der Menge er¬
barmungslos enthüllte. Jene glatte übertünchte Kultur,
jenes raffinierte Zusammenspiel, das die Laien in be¬
wundernder Hochachtung vor diesen Theatergroßkaufleuten
ersterben läßt, ist, wie überall, erst ein Produkt sorgsamster
Probearbeit oder zahlreicher Wiederholungen. Wo diese
Voraussetzungen fehlen, wird auch bei den Rotters ein
höchst mäßiges Theater gespielt, wie nur irgendwo in einer
größeren Stadt der so sehr verachteten „Provinz" Bei
der ersten Aufführung des „Weiten Landes“ gab es
einigen Durchschnitt, recht viel darunter und nur einen
Schauspieler: den prachtvoll natürlichen, auf einsamer Höhe
stehenden Burgtheatermann Karff. Dieser fiel so sehr
aus dem Rahmen heraus, daß es auch das Publikum
merkte und mit seinem Beifall zurückhielt, bis sich Korff
einmal allein auf der Bühne zeigte. Dann dankte ihm
anhaltguder Applaus für sein großes Können als Darsteller
und Regisseur.
F. E. B.
41 2—
Klose & Seidel
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Ort:
Bresiau
Datum:
772
2
Stadttheater
Freitag, 15. Juli: „Das weite Land“.
Die Wege, die ins „Weite Land“ führen, ge
hören nicht zu den Alltags=Spaziergängen
der
Direktion Rotter. Sie liebt für gewöhnlich be¬
quemere Ehebruchsstücke, als sie Arthur Schnitzler
schreibt. Gerne hätte ich also demRotter schen
Mute einigen Weihrauch gespendet, nur leider er¬
wies er sich als Uebermut. Die heimliche Um¬
besetzung der „Evchen Humbrecht“ im Vorjahre war
gewiß eine kräftige Nummer. Gegen die unheim¬
liche Erstbesetzung des „Weiten Landes“ läßt sich
aber vom rein künstlerischen Gesichtspunkte aus
noch mehr einwenden. Dieses als Drama herzlich
schwache als Sitten= und Charakterstudie unge¬
wöhnlich fein gearbeitete Stück, fordert nämlich
etwa zwanzig erlesene Schauspieler (österreichischer
Herkunft) und die hier weilende Abordnung der
Rotter=Truppe bewilligte ihm — zwei.
In ganz richtiger Erkenntnis dieses Kräfte=Ver¬
hältnisses hatte der für Breslau bestallte Dramaturg
die Schnitzler'sche Tragikomödie zunächst einmal
gehörig zusamengestrichen und um beiläufig neun
zersonen erleichtert. Leider genügte die Meister¬
eistung des Rotstiftes immer noch nicht, um Stück
ind Darstellung einander näher zu bringen.
Die beiden Schauspieler, von denen ich soeben
prach, waren Herr Karff und Frau Schneider¬
Rissen (diese in einer belanglosen Nebenrolle).
Es heißt, daß die Herren Rotter Herrn Korff zu¬
liebe, der sich hier in einer seiner würdigen Auf¬
gabe zeigen wollte, das für sie so gefährliche „Weite
Land“ betreten haben. Sehr lieb von ihnen, nur
haben sie damit nicht einmal Korff einen wirklichen
Gefallen erwiesen. Er ist nämlich ein viel zu seiner
Künstler, um auf ein ihm ebenbürtiges Ensemlle,
wie er es im Burgtheater um sich hatte (das „Weite
Land“ repräsentiert nämlich den Typus des
modernen Burgtheater=Schauspiels), verzichten zu
können. Hier spielte er ins Leere hinein, obwohl
er selbst die Regie führte. Wo nichts ist, hat eben
auch ein ehemaliger Burgtheater=Regisseur sein
Recht verloren. Man kann immer nur wieder über
die Unterschätzung des Breslauer Publikums durch
die Herren Rotter staunen. Seinem anspruchs¬
vollerem Teile galt die Direktion Gorter als minder¬
wertig, abers ich glaube nicht, daß sie es gewagt hätte,
die sehr komplizierte Persönlichkeit der Genia
Hofreiter einer oberflächlich routinierten Konver¬
sationsschauspielerin anzuvertrauen oder die hohe
Gestalt der großen Tragödin Meinhold=Aigner (zu
der die Bleibtreu Modell gestanden zu haben scheint)
jener Dame auszuliefern, die neulich an einem
Lothar Schmidt'schen Dienstmädchen vorbeispielte,
oder den „dämonischen“ Lebenskünstler Dr. von
Aigner von einem Herren spielen zu lassen, der nur
über einige norddeutsch schneidige Offiziers=Töne zu
verfügen scheint. Das, was sich bei einigen
Episodenfiguren (etwa bei dem von Schnitzler mit
besonderer Zärtlichkeit gezeichneten Hotelportier)
begab, sei nicht näher erörtert. Es genügt die Fest¬
stellung, daß das „Weite Land“ nicht in seinen
melancholischen Reizen aufgegeigt, sondern bis zur
Unkenntlichkeit verwüstet wurde. Für solche Misse¬
tat aber gibtekeine künstlerische Reparation.
*
box 29/4
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkischplatz 21
Zeitung: Berliner Börsen-Zeitung
Berlin
Ort:
Datum:RE
— RottzerGastspiele in Breslau. Aus Breslau=Wird
uns geschr#ben: Die Gebrüder Rotter ssind im vorigen
Jahre unter unerfreulichen Begleiterscheinungen aus dem
Breslauek Stadttheater abgerückt, weil sie kühn genug ge¬
wesen waren, für Aufführungen in 27. Besetzung die
immerhin recht anständigen Premierenpreise zu verlangen.
Man durfte hoffen, daß sie diesmal ihr etwas rampo¬
niertes Ehrenschild tadellos auffrischen würden, und in der
Tat war die Visitenkarte, die sie mit „Lady Winder¬
meres Fächer abgaben, recht angenehm, aber schon
nach wenigen Abenden verschwand die schöne Carola
Tölle von der Bildfläche und auch die Reprise, von
„Untreu" zeigte eine Besetzungsänderung, die keine Ver¬
besserung war. — Lothar Schmidts Lustspiel „Nur ein
Traum“, das hier vor 10 Jahren erfolgreich gegeben
wurde, hatte in der Rotterschen Aufmachung nur einen für
wenige Tage ausreichenden Achtungserfolg. Gestern end¬
lich gab es eine Premiere, die zwar wiederum keine war,
aber doch darum Erwähnung verdient, weil die Rotters
mit diesem Stück die Berliner Winterspielzeit eröffnen
wollen.
— Es ist Schnitzlers Tragikomödie „Das
weite Land“, jenes leidselge, wenig gehaltvolle Kon¬
versationsstück, das uns der Fünfzigjährige einst als mäßig
überzeugende Geburtstagsgabe zu seinem Ehrentage be¬
scherte. Die Aufführung war interessant, weil sie das
Geheimnis der Rotterschen Erfolge bei der Menge er¬
barmungslos enthüllte. Jene glatte übertünchte Kultur,
jenes raffinierte Zusammenspiel, das die Laien in be¬
wundernder Hochachtung vor diesen Theatergroßkaufleuten
ersterben läßt, ist, wie überall, erst ein Produkt sorgsamster
Probearbeit oder zahlreicher Wiederholungen. Wo diese
Voraussetzungen fehlen, wird auch bei den Rotters ein
höchst mäßiges Theater gespielt, wie nur irgendwo in einer
größeren Stadt der so sehr verachteten „Provinz" Bei
der ersten Aufführung des „Weiten Landes“ gab es
einigen Durchschnitt, recht viel darunter und nur einen
Schauspieler: den prachtvoll natürlichen, auf einsamer Höhe
stehenden Burgtheatermann Karff. Dieser fiel so sehr
aus dem Rahmen heraus, daß es auch das Publikum
merkte und mit seinem Beifall zurückhielt, bis sich Korff
einmal allein auf der Bühne zeigte. Dann dankte ihm
anhaltguder Applaus für sein großes Können als Darsteller
und Regisseur.
F. E. B.