I7
box 29/4
24. Das veite Lann
—
EIE
Sersentheheten Aotennerradae
ERLIN SO 16. RUNGESTRASSB 22-24
Frankfurter Zeitung
Ausschnitt aus der Nummer vom:
Morgenblat =JUL.192
M
Melancholie, der Grundton des Dichters, weht durch die Tragi=] Bantier des Herrn Schro
komödie. Jeder hockt in seinem Käfig und kann nicht durchs von ihr gut aufgemachten
Kleines Jeuilleton.
das Gitter seiner Erinnerungen heraus. Der eine sagt sich's
beiderlei Geschlechts noch ru
zynisch,
[Gastspiel der Rotter=Bühnen in Frankfurt.] Für
ein anderer mit Weltweisheit, die Frauen mit
Komödie stehen. Weitere 2
die Dauer der Schauspielhaus=Ferien haben wir Berliner
milder Resignation. Die Frauen kommen bei Schnitz¬
Gäste zu sagen haben. Die
Gäste. Siekommen mit ihren ersten Kräften, mit Berliner Prei¬
ler gut weg. Trotz der Sachen, die sie anstellen, trotz
besondere wienerische Note
sen, mit Berlner Ansprüchen für Garderobe und Tageszettel.
ihrer Unbefangenheiten. Sie lügen hier weniger und erläu¬
seinen Kollegen zu geben:
Sie fanden am Samstag ein volles und interessiertes Haus und
tern sich weniger, sie sind ehrlicher. Die Männer hingegen
der deutschen Reichshauptsta
werden es noch öfters finden, denn es locken die großen Namen,
gehen mehr auf die Analyse sie plädieren, drücken sich am Von Nutzen wäre es, wenn
es lockt Berlin und es lockt auch das Programm. Unsere städtische
Ethischen vorbei. Etwa: Wir sind sehr komplizierte Wesen.
reiter nach der Tiefe nicht
Bühne war in der letzten Spielzeit zu sehr mit Uraufführungs= Es ist unmöglich, Ordnung in uns zu schaffen, das Natürliche
nommen würde. Der Gan
Zyklen und Werken des klassischen Dramas beschäftigt, als daß es
ist eigentlich das Chaos. Der einzige Mensch von bürgerlich
sehen. „Das weite Land“ ist
das Theaier der leichten und halbschweren Unterhaltung hätte pfle¬
anständiger Gesinnung, ein Arzt, spielt die Rolle des Gerbers,
ein sehr weites Land, ja, der
gen können. Eine willkommene Abwechselung also? Fast ist unser
dem die Felle fortschwimmen. Auch er sieht das Chaos und
gung für viel Ueberhängend
an so viele Ekstasen gewöhntes Ohr kaum noch befähigt, die leicht
die Unsicherheit von Mensch zu Mensch, aber er fände im wei¬
geschnellte Wechselrede aufzunehmen und spitzem ironischem Ge¬
ten Lande seinen Weg. Die andern verstreuen Erkenntnisse,
züngel zu folgen — aber nein: wir könnten schon, denn wir konnten
die bekannten Schnitzlerschen Erkenntnisse. Sie sind mit der
ja auch bei Shaw und anderen Autoren des heimischen Spielplans,
Zeit billig geworden, wenngleich ihre Form in glänzenden Fa¬
aber unsere Gäste sind noch nicht mit der Akustik des Hauses ver¬
cetten funkelt. Nicht spürbar, daß hier ein gerechter Spiegeler
traut. So fielen am Samstag manche Auftritte „unter den Tisch“
durch die Gewalt seines Gemäldes schreckt und straft. Der Dicht
und manche mußten halb erraten werden. Es ist nützlich, gleich
ter zieht sich ins Objektivere zurück und hat leere Hände. Der
zu sagen, daß ein Schauspieler, der zu Gunsten letzter Zwanglosig¬
Seelenschürfer Schnitzler hat keine Sprengpatronen in seine
keit mit der Zigarre im Munde spricht, bei uns sehr laut und deut¬
Minier=Arbeit gelegt.
lich reden muß wenn er verstanden sein will.
Artur Schnitzlers vor elf Jahren geschriebene Tragi¬
Die Rotter=Bühne ist auf die Tragikomödie trefflich eingespielt.
110
komödie „Das werr? Land“ eröffnet. Ein Stück ohne den
Zwar nahm die erste Frankfurter Aufführung das Tempo zu lang¬
granhert#,
Klang der aufgeregten Zeit, ohne Aufruf, ohne sittliche Forde¬
sam, doch mögen das die veränderten Umstände verschuldet haben,
rung, ohne Schrei. Als wären die letzten Jahre, die in jeder
H
ebenso das Zuleise=Sprechen, das einige Stellen versanden ließ.
unserer Zellen spuken, nicht gewesen Man wird diesmal
Aus ihren guten, mittleren und kleinen Kräften ragen zwei
nicht mit der Menschheit befaßt, es geht um den Menschen.
Spitzen: Frau Triesch und Herr Korff. Diese —
eine Köst¬
Doch um den Menschen aller Zeiten. Das weite Land ist das
lichkeit, sie wieder einmal zu hören! — trug Schnitzler über Schnitz¬
Chaos in jeder Brust. Der Dichter — wie so oft — bekennt
ler empor. Sie enthüllt Genias Frauen=Leid, Frauen=Duldertum,
nicht. Er stellt fest. „Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.“
Frauen=Sehnsucht, enthüllt die Verhängte und Begehrende mit
Ein Dutzend Menschen leiden an der Liebe. Hofreiter, der Weiber¬
Zagheit und Ungestüm, mit wehem Lächeln und müden Bewegun¬
fresser, betrügt seine Frau mit der Frau eines Bankiers, dann
gen, mit stummer Versunkenheit, mit allem Rührenden und Innigen,
mit der Geliebten eines Freundes und — kann von seiner Frau
das diese Genia haben könnte, haben müßte, wenn nicht Schnitzler
nicht lassen Der Bankier weiß vom Betrug seiner Frau und -
„Wir spielen immer“ — den Einfall gehabt hätte, sie dem Hörer
kann von ihr nicht lassen. Ein ob seiner Liebesabenteuer weithin
durch ihren Jünglingsraub zu entfremden. Frau Triesch schmolz
berüchtigter alter Herr, von seiner Frau geschiede, gesteht, daß
die Seele in dem Abend und so oft die hilflos die Flügel schlug,
er nur sie geliebt. Genia Hofreiter ist zutiefst gekettet an den
wurde es warm auf der Bühne. Zu ihr in schärfstem Kontrast
Mann, der sie hintergeht und den sie hintergeht beinahe mit einem
Herrn Korffs Hofreiter: Ein bedenkenlos Griffiger, ein Skeptiker,
Musiker, der sich ihretwegen totschoß völlig mit einem Jüngling,
Zyniker, nur augenblickslang nach innen gerichtet, mit der Klavia¬
dem Sohn einer mütterlichen Freundin den ihr Mann deswegen
tur der Töne, die Weiber fangen, von letzter Sicherheit des We¬
totschießt. Oder doch nicht „deswegen“? Nein, weil der Junge
sens kühl jedes Wort zur Helle hebend. Es fielen noch auf: Herr
jung ist. Also aus Alte panik heraus, oder aus
einer
Keller=Nebri, der dem Lebens=Ueberschauer Aigner eine
Wallung
denn alles ist ein Spiel
und
auch
fesselnde Physiognomie gab,
Frau Saldern, die in
aus Eisersucht.
Doch nur aus einem Beischuß dieser,
einer von Erfahrung beschwerten Mutter=Rolle bewegte,
denn Hofreiter nimmt seiner Frau fast übel, daß sie sich dem
der mit Einfachheit genommene Doktor des Herrn Klein, die
Musiker nicht gab. Das weite Land der Seele ist ein schwanken¬
leicht komisch färbende Frau Schneider=Nissen Frl.
der Boden und nur eins scheint ehern — Schnitzler sagt es ans Tietz, eine kluge Darstellerin, die einen aber im wichtigsten
anderer Stelle —: „Was war, das ist!“ Diese hoffnungslose Augenblick noch nicht an sie glauben läßt, der haarscharf gestellte
—
box 29/4
24. Das veite Lann
—
EIE
Sersentheheten Aotennerradae
ERLIN SO 16. RUNGESTRASSB 22-24
Frankfurter Zeitung
Ausschnitt aus der Nummer vom:
Morgenblat =JUL.192
M
Melancholie, der Grundton des Dichters, weht durch die Tragi=] Bantier des Herrn Schro
komödie. Jeder hockt in seinem Käfig und kann nicht durchs von ihr gut aufgemachten
Kleines Jeuilleton.
das Gitter seiner Erinnerungen heraus. Der eine sagt sich's
beiderlei Geschlechts noch ru
zynisch,
[Gastspiel der Rotter=Bühnen in Frankfurt.] Für
ein anderer mit Weltweisheit, die Frauen mit
Komödie stehen. Weitere 2
die Dauer der Schauspielhaus=Ferien haben wir Berliner
milder Resignation. Die Frauen kommen bei Schnitz¬
Gäste zu sagen haben. Die
Gäste. Siekommen mit ihren ersten Kräften, mit Berliner Prei¬
ler gut weg. Trotz der Sachen, die sie anstellen, trotz
besondere wienerische Note
sen, mit Berlner Ansprüchen für Garderobe und Tageszettel.
ihrer Unbefangenheiten. Sie lügen hier weniger und erläu¬
seinen Kollegen zu geben:
Sie fanden am Samstag ein volles und interessiertes Haus und
tern sich weniger, sie sind ehrlicher. Die Männer hingegen
der deutschen Reichshauptsta
werden es noch öfters finden, denn es locken die großen Namen,
gehen mehr auf die Analyse sie plädieren, drücken sich am Von Nutzen wäre es, wenn
es lockt Berlin und es lockt auch das Programm. Unsere städtische
Ethischen vorbei. Etwa: Wir sind sehr komplizierte Wesen.
reiter nach der Tiefe nicht
Bühne war in der letzten Spielzeit zu sehr mit Uraufführungs= Es ist unmöglich, Ordnung in uns zu schaffen, das Natürliche
nommen würde. Der Gan
Zyklen und Werken des klassischen Dramas beschäftigt, als daß es
ist eigentlich das Chaos. Der einzige Mensch von bürgerlich
sehen. „Das weite Land“ ist
das Theaier der leichten und halbschweren Unterhaltung hätte pfle¬
anständiger Gesinnung, ein Arzt, spielt die Rolle des Gerbers,
ein sehr weites Land, ja, der
gen können. Eine willkommene Abwechselung also? Fast ist unser
dem die Felle fortschwimmen. Auch er sieht das Chaos und
gung für viel Ueberhängend
an so viele Ekstasen gewöhntes Ohr kaum noch befähigt, die leicht
die Unsicherheit von Mensch zu Mensch, aber er fände im wei¬
geschnellte Wechselrede aufzunehmen und spitzem ironischem Ge¬
ten Lande seinen Weg. Die andern verstreuen Erkenntnisse,
züngel zu folgen — aber nein: wir könnten schon, denn wir konnten
die bekannten Schnitzlerschen Erkenntnisse. Sie sind mit der
ja auch bei Shaw und anderen Autoren des heimischen Spielplans,
Zeit billig geworden, wenngleich ihre Form in glänzenden Fa¬
aber unsere Gäste sind noch nicht mit der Akustik des Hauses ver¬
cetten funkelt. Nicht spürbar, daß hier ein gerechter Spiegeler
traut. So fielen am Samstag manche Auftritte „unter den Tisch“
durch die Gewalt seines Gemäldes schreckt und straft. Der Dicht
und manche mußten halb erraten werden. Es ist nützlich, gleich
ter zieht sich ins Objektivere zurück und hat leere Hände. Der
zu sagen, daß ein Schauspieler, der zu Gunsten letzter Zwanglosig¬
Seelenschürfer Schnitzler hat keine Sprengpatronen in seine
keit mit der Zigarre im Munde spricht, bei uns sehr laut und deut¬
Minier=Arbeit gelegt.
lich reden muß wenn er verstanden sein will.
Artur Schnitzlers vor elf Jahren geschriebene Tragi¬
Die Rotter=Bühne ist auf die Tragikomödie trefflich eingespielt.
110
komödie „Das werr? Land“ eröffnet. Ein Stück ohne den
Zwar nahm die erste Frankfurter Aufführung das Tempo zu lang¬
granhert#,
Klang der aufgeregten Zeit, ohne Aufruf, ohne sittliche Forde¬
sam, doch mögen das die veränderten Umstände verschuldet haben,
rung, ohne Schrei. Als wären die letzten Jahre, die in jeder
H
ebenso das Zuleise=Sprechen, das einige Stellen versanden ließ.
unserer Zellen spuken, nicht gewesen Man wird diesmal
Aus ihren guten, mittleren und kleinen Kräften ragen zwei
nicht mit der Menschheit befaßt, es geht um den Menschen.
Spitzen: Frau Triesch und Herr Korff. Diese —
eine Köst¬
Doch um den Menschen aller Zeiten. Das weite Land ist das
lichkeit, sie wieder einmal zu hören! — trug Schnitzler über Schnitz¬
Chaos in jeder Brust. Der Dichter — wie so oft — bekennt
ler empor. Sie enthüllt Genias Frauen=Leid, Frauen=Duldertum,
nicht. Er stellt fest. „Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.“
Frauen=Sehnsucht, enthüllt die Verhängte und Begehrende mit
Ein Dutzend Menschen leiden an der Liebe. Hofreiter, der Weiber¬
Zagheit und Ungestüm, mit wehem Lächeln und müden Bewegun¬
fresser, betrügt seine Frau mit der Frau eines Bankiers, dann
gen, mit stummer Versunkenheit, mit allem Rührenden und Innigen,
mit der Geliebten eines Freundes und — kann von seiner Frau
das diese Genia haben könnte, haben müßte, wenn nicht Schnitzler
nicht lassen Der Bankier weiß vom Betrug seiner Frau und -
„Wir spielen immer“ — den Einfall gehabt hätte, sie dem Hörer
kann von ihr nicht lassen. Ein ob seiner Liebesabenteuer weithin
durch ihren Jünglingsraub zu entfremden. Frau Triesch schmolz
berüchtigter alter Herr, von seiner Frau geschiede, gesteht, daß
die Seele in dem Abend und so oft die hilflos die Flügel schlug,
er nur sie geliebt. Genia Hofreiter ist zutiefst gekettet an den
wurde es warm auf der Bühne. Zu ihr in schärfstem Kontrast
Mann, der sie hintergeht und den sie hintergeht beinahe mit einem
Herrn Korffs Hofreiter: Ein bedenkenlos Griffiger, ein Skeptiker,
Musiker, der sich ihretwegen totschoß völlig mit einem Jüngling,
Zyniker, nur augenblickslang nach innen gerichtet, mit der Klavia¬
dem Sohn einer mütterlichen Freundin den ihr Mann deswegen
tur der Töne, die Weiber fangen, von letzter Sicherheit des We¬
totschießt. Oder doch nicht „deswegen“? Nein, weil der Junge
sens kühl jedes Wort zur Helle hebend. Es fielen noch auf: Herr
jung ist. Also aus Alte panik heraus, oder aus
einer
Keller=Nebri, der dem Lebens=Ueberschauer Aigner eine
Wallung
denn alles ist ein Spiel
und
auch
fesselnde Physiognomie gab,
Frau Saldern, die in
aus Eisersucht.
Doch nur aus einem Beischuß dieser,
einer von Erfahrung beschwerten Mutter=Rolle bewegte,
denn Hofreiter nimmt seiner Frau fast übel, daß sie sich dem
der mit Einfachheit genommene Doktor des Herrn Klein, die
Musiker nicht gab. Das weite Land der Seele ist ein schwanken¬
leicht komisch färbende Frau Schneider=Nissen Frl.
der Boden und nur eins scheint ehern — Schnitzler sagt es ans Tietz, eine kluge Darstellerin, die einen aber im wichtigsten
anderer Stelle —: „Was war, das ist!“ Diese hoffnungslose Augenblick noch nicht an sie glauben läßt, der haarscharf gestellte
—