„Dur
Karl=Afer.
Zur Wiedereröffnung des Lessing=Theaters.
Die Waffen ruhen. Des Krieges Stürme
nein,
schweigen. Auf blutge Schlachten,
Gesang und Tanz folgen nicht. Die hat
man im Gegenteil schon mittels Revue
vorweggenommen. Nicht ein Wiener Tanz¬
mädchen blieb zurück. Alle, alle zogen sie
hinaus ins weite Land und ließen die Gebrüder
Rotter mit ihrem — Glück oder Schmerz endlich
erteilter Konzession, wer wagt das zu unter¬
scheiden, mutterseelen allein.
Also der Krieg ist zunächst aus. Ein ganzes
Waffenarsenal nicht immer klarer Einwände Un¬
beteiligter reichte nicht, um zu verhindern, daß
nun im Hause Otto Brahms und Victor Bar¬
nowskys wieder ernsthafte Komödie gespielt wird,
daß hier wie früher auch. Schnitzler, Hauptmann,
Ibsen und Shaw gespielt werden dürfen, vor einem,
auem zu Entscheidungen berechtigten Forum von
Publikum und Kritik. Und, damit auch das letzte
Mißverständnis schwinde, ermächtigte der Deutsche
Pühnenverein seinen eigenen geschäftsführenden
Direktor, beim Rotter=Konzern, zu dem nun auch
das Lessing=Theater gehört, das Amt eines Syn¬
dikus zu übernehmen.
Somit scheint also alles in Butter zu sein, und
einerchtende Nachwelt wird vielleicht einmal zu
entscheiden haben, ob es dringend nötig war,
einer an mehreren Berliner Bühnen konzessionier¬
ten Theaterleitung andauernd zu verbieten, das
gleiche Geschäft auf einer neuen größeren Bühne
fortzusetzen, sodaß sie das Haus auf Monate in Kon¬
kurrenzkampf mit Ausstattungstheatern schicken
mußte.
Es darf also von heute abend ab das Lessing¬
Theater wieder Lessing=Theater sein, Publikum
und Kritik ist gnädigst das Recht gewährt, wieder
selbständig auch an dieser Stätte über die Kunst
an Rotter=Bühnen zu urteilen. Das Selbstver¬
ständliche hat, allen Quertreibereien zum Trotz, im
objektiven Sinne den Sieg davongetragen, und
nur die wenigen Leute, die sich immer noch nicht
abgewöhnen können, sich über gewisse Dinge in
Berlin zu wundern werden weiter die Köpfe
schütteln.
Als Eröffnungsstück wurde Schnitzlers „Das
weite Land“ gewählt. Nach einer gew ssen
Methode die gar nicht uninteressant ist. Die
„versemten“ Brüder Alfred und Fritz Rotter
verfolgen nämlich zunächst den Plan, ihre am
Residenz= und Kleinen Theater erfolgreich auf¬
geführten Stücke auf dem „geheiligten“ Boden des
Brahm=Hauses wo sie einst am 8. Januar 1909
mit ihrer „Akademischen Bühne“ debutierten,
in gleicher Besetzung und Inszenierung weiter
zu geben, also einer breiteren Oeffentlichkeit
gegenüber gewissermaßen ihren „Befähigungs¬
nachweis“ zu erbringen. Die Triesch, Kortf.
Schroth Georg Alexander Falken¬
stein, Josef Klein, Ferdinand Bonn,
Olga Limburg, die Schneider=Nissen,
Adele Sandrock siedeln in ihren größeren
oder kleineren Rollen sämtlich mit hinüber.
Dr. Kanehl führt auch hier die Regie. Kurz¬
um — rein äußerlich ist an diesem Ereignis
schwerlich etwas auszusetzen. Denn auch die
feuerpolizeilichen Vorschriften, denen die Rotters
an ihren anderen Bühnen nicht immer genügt
haben sollen, und für die nun ebenfalls der ge¬
schäftsführende Direktor mit seiner Person haftet,
dürften für das Lessing=Theater, das tadellos
liegt und gebaut ist, schwerlich in Frage kommen.
Auch das übrige Repertoire der nächsten
Wochen soll so eine Art Programm der Ueber¬
siedlung bedeuten. Nicht etwa von Wien nuch
Berlin. Nur so vom hiesigen Osten nach dem
„Pro¬
Westen. „Die Frau ohne Bedeutung“
fessor Bernhardi“, verschiedene Stücke von Ibsen
und Shaw.
So wenigstens berichtete mir Direktor Al¬
fred Rotter
als ich ihn während einer
Probe zum „Weiten Lande“ besuchte.
Konzessionsfragen haten von jeher in Berlin
eigene Bedeutung. Man vergleiche die Leidenswege
Dr. Eugen Roberts (heute erster Vorsitzender im
Verbande Berliner Bühnenleiter), Dr. Martin
Zickels (des gleichen Verbandes zweiter Präsi¬
dent) und auch vorübergehend Heinz Salten¬
burgs, der heute wohl den allergrößten Konzern
hat.
Doch heute gilt es nur der Wiedereröffnung
des Lessing=Theaters, in letzten Nächten frisch ge¬
strichen und vergoldet.
ner.
Dr. Max Goldschmiet
Büro für Zeitungsausschnitte
Telefon: Norden 3051
BERLIN N 4
Ausschnitt aus:
Deutsche Tageszeitung, Berlin
30 Nov 1929
Schnitzler: „das weite Land“.
(Lessingtheater.)
Mit dem arg verstaubten „Weiten Land“ sind die Rotters
nun ins Lessing=Theater eingezogen. Sie haben keine Mühe ge¬
scheut, den vor drei Jahren in ihrem Residenz=Theater gespielten
Fünfakter vorsichtig auf die neue Bühne zu verpflanzen. Der¬
selbe Regisseur, Oskar Kanehl, in den Hauptrollen die gleichen
Schauspieler: Arnold Korff, Irene Triesch, Olga Limburg usw.
ufw. Donnerwetter, das nenne ich eine Tat! Das ist Rotter¬
geist — nicht Lottergeist — das ist ein Weg ins „weite Land“,
der die schönsten Aussichten verspricht!
Es wurde, wie im Residenz=Theater, wieder fünf Akte lang
F
an der Oberfläche geplätschert. Arnold Korff war der Glüh¬
strumpffabrikant, der von seinen Geschäften gelegentlich faselt,
sonst aber nur auf die Schürzenjagd geht und am Schluß sehr ein¬
schnappt, als seine geduldige Frau ihm einmal mit gleicher Münze
heimzahlt und halb aus Liebe, halb aus Mitleid einem kleinen
Fähnrich eine Stunde Glücks gewährt. Irene Triesch, die
Frah, hat sonst nur fünf Akte lang zu entsagen, was sie auch mit
Anstand und zuviel Augenaufschlag tut. Der kleine Fähnrich,
Georg Alerander, benimmt sich korrekt und wird im fünf¬
ten Akte von dem gekränkten Ehemann, der zwei Stunden vor
dem Schlafzimmer seiner Frau auf einer Wiese geduldig wartete,
im Duell erschossen. Dann gibt's bekanntlich in diesem schwäch¬
Achen Schnitzlerstück eine alte verhärmte Mutter, die von Adele
[Sandrock erschütternd echt gespielt wurde, Lumpen und Flach¬
köpfe aller Schattierungen, ein vor Liebessehnsucht krankes Mädel,
einen moralisch räsonnierenden Doktor. Die ganze Gesellschaft
redet viel durcheinander und verflüchtigt sich in jedem Akt ein
paarmal, damit zwei Leutchen zu intensiver Aussprache zurück¬
bleiben. Diese Technik ist sogar unschnitzlerisch grob und fade und
fünf Akte lang schwer erträglich. Ueberhaupt fehlte der ganzen Auf¬
führung des Schwingende, Schwebende. Diese Gesellschaft Hatte
keinen Stil, sondern war nur lax und schwatzhaft.
Heinrich Schroth, Ferdinand Bonn, Julius
(Falkenstein, Olga Limburg, Ellen Tietz (noch un¬
klar), Josef Klein und andere spielten Residenz=Theater. Da¬
zu brauchten sie wirklich nicht nach dem Schiffbauerdamm überzu¬
siedeln. Und wenn die Herren Rotter ihre Tätigkeit durchaus
mit Schnitzler beginnen wollten, hätten sie ruhig zu einem weniger
abgespielten greifen sollen.
Hugo Kubsch.
Karl=Afer.
Zur Wiedereröffnung des Lessing=Theaters.
Die Waffen ruhen. Des Krieges Stürme
nein,
schweigen. Auf blutge Schlachten,
Gesang und Tanz folgen nicht. Die hat
man im Gegenteil schon mittels Revue
vorweggenommen. Nicht ein Wiener Tanz¬
mädchen blieb zurück. Alle, alle zogen sie
hinaus ins weite Land und ließen die Gebrüder
Rotter mit ihrem — Glück oder Schmerz endlich
erteilter Konzession, wer wagt das zu unter¬
scheiden, mutterseelen allein.
Also der Krieg ist zunächst aus. Ein ganzes
Waffenarsenal nicht immer klarer Einwände Un¬
beteiligter reichte nicht, um zu verhindern, daß
nun im Hause Otto Brahms und Victor Bar¬
nowskys wieder ernsthafte Komödie gespielt wird,
daß hier wie früher auch. Schnitzler, Hauptmann,
Ibsen und Shaw gespielt werden dürfen, vor einem,
auem zu Entscheidungen berechtigten Forum von
Publikum und Kritik. Und, damit auch das letzte
Mißverständnis schwinde, ermächtigte der Deutsche
Pühnenverein seinen eigenen geschäftsführenden
Direktor, beim Rotter=Konzern, zu dem nun auch
das Lessing=Theater gehört, das Amt eines Syn¬
dikus zu übernehmen.
Somit scheint also alles in Butter zu sein, und
einerchtende Nachwelt wird vielleicht einmal zu
entscheiden haben, ob es dringend nötig war,
einer an mehreren Berliner Bühnen konzessionier¬
ten Theaterleitung andauernd zu verbieten, das
gleiche Geschäft auf einer neuen größeren Bühne
fortzusetzen, sodaß sie das Haus auf Monate in Kon¬
kurrenzkampf mit Ausstattungstheatern schicken
mußte.
Es darf also von heute abend ab das Lessing¬
Theater wieder Lessing=Theater sein, Publikum
und Kritik ist gnädigst das Recht gewährt, wieder
selbständig auch an dieser Stätte über die Kunst
an Rotter=Bühnen zu urteilen. Das Selbstver¬
ständliche hat, allen Quertreibereien zum Trotz, im
objektiven Sinne den Sieg davongetragen, und
nur die wenigen Leute, die sich immer noch nicht
abgewöhnen können, sich über gewisse Dinge in
Berlin zu wundern werden weiter die Köpfe
schütteln.
Als Eröffnungsstück wurde Schnitzlers „Das
weite Land“ gewählt. Nach einer gew ssen
Methode die gar nicht uninteressant ist. Die
„versemten“ Brüder Alfred und Fritz Rotter
verfolgen nämlich zunächst den Plan, ihre am
Residenz= und Kleinen Theater erfolgreich auf¬
geführten Stücke auf dem „geheiligten“ Boden des
Brahm=Hauses wo sie einst am 8. Januar 1909
mit ihrer „Akademischen Bühne“ debutierten,
in gleicher Besetzung und Inszenierung weiter
zu geben, also einer breiteren Oeffentlichkeit
gegenüber gewissermaßen ihren „Befähigungs¬
nachweis“ zu erbringen. Die Triesch, Kortf.
Schroth Georg Alexander Falken¬
stein, Josef Klein, Ferdinand Bonn,
Olga Limburg, die Schneider=Nissen,
Adele Sandrock siedeln in ihren größeren
oder kleineren Rollen sämtlich mit hinüber.
Dr. Kanehl führt auch hier die Regie. Kurz¬
um — rein äußerlich ist an diesem Ereignis
schwerlich etwas auszusetzen. Denn auch die
feuerpolizeilichen Vorschriften, denen die Rotters
an ihren anderen Bühnen nicht immer genügt
haben sollen, und für die nun ebenfalls der ge¬
schäftsführende Direktor mit seiner Person haftet,
dürften für das Lessing=Theater, das tadellos
liegt und gebaut ist, schwerlich in Frage kommen.
Auch das übrige Repertoire der nächsten
Wochen soll so eine Art Programm der Ueber¬
siedlung bedeuten. Nicht etwa von Wien nuch
Berlin. Nur so vom hiesigen Osten nach dem
„Pro¬
Westen. „Die Frau ohne Bedeutung“
fessor Bernhardi“, verschiedene Stücke von Ibsen
und Shaw.
So wenigstens berichtete mir Direktor Al¬
fred Rotter
als ich ihn während einer
Probe zum „Weiten Lande“ besuchte.
Konzessionsfragen haten von jeher in Berlin
eigene Bedeutung. Man vergleiche die Leidenswege
Dr. Eugen Roberts (heute erster Vorsitzender im
Verbande Berliner Bühnenleiter), Dr. Martin
Zickels (des gleichen Verbandes zweiter Präsi¬
dent) und auch vorübergehend Heinz Salten¬
burgs, der heute wohl den allergrößten Konzern
hat.
Doch heute gilt es nur der Wiedereröffnung
des Lessing=Theaters, in letzten Nächten frisch ge¬
strichen und vergoldet.
ner.
Dr. Max Goldschmiet
Büro für Zeitungsausschnitte
Telefon: Norden 3051
BERLIN N 4
Ausschnitt aus:
Deutsche Tageszeitung, Berlin
30 Nov 1929
Schnitzler: „das weite Land“.
(Lessingtheater.)
Mit dem arg verstaubten „Weiten Land“ sind die Rotters
nun ins Lessing=Theater eingezogen. Sie haben keine Mühe ge¬
scheut, den vor drei Jahren in ihrem Residenz=Theater gespielten
Fünfakter vorsichtig auf die neue Bühne zu verpflanzen. Der¬
selbe Regisseur, Oskar Kanehl, in den Hauptrollen die gleichen
Schauspieler: Arnold Korff, Irene Triesch, Olga Limburg usw.
ufw. Donnerwetter, das nenne ich eine Tat! Das ist Rotter¬
geist — nicht Lottergeist — das ist ein Weg ins „weite Land“,
der die schönsten Aussichten verspricht!
Es wurde, wie im Residenz=Theater, wieder fünf Akte lang
F
an der Oberfläche geplätschert. Arnold Korff war der Glüh¬
strumpffabrikant, der von seinen Geschäften gelegentlich faselt,
sonst aber nur auf die Schürzenjagd geht und am Schluß sehr ein¬
schnappt, als seine geduldige Frau ihm einmal mit gleicher Münze
heimzahlt und halb aus Liebe, halb aus Mitleid einem kleinen
Fähnrich eine Stunde Glücks gewährt. Irene Triesch, die
Frah, hat sonst nur fünf Akte lang zu entsagen, was sie auch mit
Anstand und zuviel Augenaufschlag tut. Der kleine Fähnrich,
Georg Alerander, benimmt sich korrekt und wird im fünf¬
ten Akte von dem gekränkten Ehemann, der zwei Stunden vor
dem Schlafzimmer seiner Frau auf einer Wiese geduldig wartete,
im Duell erschossen. Dann gibt's bekanntlich in diesem schwäch¬
Achen Schnitzlerstück eine alte verhärmte Mutter, die von Adele
[Sandrock erschütternd echt gespielt wurde, Lumpen und Flach¬
köpfe aller Schattierungen, ein vor Liebessehnsucht krankes Mädel,
einen moralisch räsonnierenden Doktor. Die ganze Gesellschaft
redet viel durcheinander und verflüchtigt sich in jedem Akt ein
paarmal, damit zwei Leutchen zu intensiver Aussprache zurück¬
bleiben. Diese Technik ist sogar unschnitzlerisch grob und fade und
fünf Akte lang schwer erträglich. Ueberhaupt fehlte der ganzen Auf¬
führung des Schwingende, Schwebende. Diese Gesellschaft Hatte
keinen Stil, sondern war nur lax und schwatzhaft.
Heinrich Schroth, Ferdinand Bonn, Julius
(Falkenstein, Olga Limburg, Ellen Tietz (noch un¬
klar), Josef Klein und andere spielten Residenz=Theater. Da¬
zu brauchten sie wirklich nicht nach dem Schiffbauerdamm überzu¬
siedeln. Und wenn die Herren Rotter ihre Tätigkeit durchaus
mit Schnitzler beginnen wollten, hätten sie ruhig zu einem weniger
abgespielten greifen sollen.
Hugo Kubsch.