II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 709

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24. Das veite Land
Dr. Max Soldschmiet
Büro für Zeitungsausschnitte
BBRLIN N 4
Teleion: Norden äpst
Ausschnitt aus:
Berliner Börsenzeitung
1. Dez 1929
K
Kune
t und Wliesenschaft.
der als Hoteldirektor Natürlichkeit spielt, Herrn Falken¬
Die Rotters im Lessing=Theater.
stein, den Schriftsteller mit ein paar sitzenden Zügen
Schnitzler: „Das weite Land“.
charakterisierend, ebenso wie Schroth den Bankier
Beginn der Aera Rotter im Lessing=Theater. Das
Natter, und die Schneider=Nissen, als geschwätzig¬
Revue=Provisorium ist zu Ende. Jetzt heißt es: selbst ist
neugierige Frau Wahl von ausreichender Komik. Josef
der Mann (oder: selbst sind die Männer). Ich hätte ge¬
Kleins Noblesse geht glatt in dem „anständigen" Doktor
wünscht: Rotters hätten an diesem Punkte die Kritik (die zu
Mauer auf. Ganz verlassen in dieser Welt nur eine
99 Prozent gegen sie ist) mundtot gemacht, vielmehr: zu
jüngere Schauspielerin Ellen Tietz. Ist's schauspiele¬
sich herübergezwungen. Durch die Wahl eines neuen
rische Unbeholfenheit oder die Herbheit einer Natur, daß
Stückes, das den Stempel unserer Zeit trägt. Durch eine
sie der dem Don Juan Verfallenen innerlich völlig fremd
Besetzung mit Schauspielern, die Neues zu sagen haben.
bleibt?
Aber sie bleiben im sicheren Port. Greifen wieder auf einen
Der Spielleiter Kanehl hatte es nicht schwer, mit
alten Schnitzler zurück. Und besetzen ihn mit einem
der alten Mimenschar den Schnitzler=Ton zu treffen. Und
Senioren=Konvent von Mimen. Die Folge: sie machen uns
wenn die Langsamkeit des Tempos an unseren Nerven
gleichgültig. Gegen sie zu wettern, den 99 Prozent wäre
riß, so darf er vielleicht gerade darum für sich in Anspruch
es eine Lust gewesen. Und ein paar Mutige (müde der schon
nehmen, daß er das Tempo seines Dichters innegehalten
mechanischen Rotter=Beschimpfung) wären zu ihnen ge¬
habe.
Franz Köppen.
standen; hätten allem Geheul gegenüber ohne Scheu be¬
kannt: wir nehmen Gutes und Neues und Wagemutiges
an, von wem es auch kommt. Nun aber: kein Neuland; ein
schlecht gelüftetes, dumpfes Museum.
Warum Schnitzler? Rotters werden sich als Tempel¬
hüter aufspielen. Etwa so: gerade Schnitzler an dieser
Stätte, im Hause Brahms! O, falsch verstandene Pietät!
Als Brahm Schnitzler und Hauptmann aufführte, waren
die ja Dichter ihrer Zeit, Moderne. Die Tradition des
Hauses, im Brahmschen Sinne, hätten die Rotters gewahrt,
wenn sie zum Beginn der neuen Aera des Hauses ein Be¬
kenntnis zur Dichtung ihrer Zeit abgelegt hätten. Schade
um die verpaßte Gelegenheit! Nun, statt daß der Sturm¬
wind der Zeit uns gepackt hätte, atmeten wir schwere
Moderluft.
Schnitzlers „Weites Land“ ist uns vielmehr eine
seelische Beengtheit. Das Kitschwort: „Die Seele ist ein
weites Land“ wird durch diese begrenzte Sphäre Lügen
gestraft. Schon neulich, als eine andere Bühne uns wieder
auf den „Einsamen Weg“ zu führen für nötig befand,
revoltierten wir gegen diese egozentrische Enge, gegen diese
kokettierende Selbstbespiegelung, die nur auf und in das
eigene, sich so wichtig nehmende Ich blickt. Noch pein¬
licher wirkt die Enge hier, wo uns zuge¬
mutet wird, die Perspektive des „weiten Landes“ darin
zu sehen. Wo uns mit heiligem Ernst, psychologischem
Ballast zugemutet wird, eine Sache tragisch zu
nehmen, bei der alle unsere Sinne nach der Komödie
schreten. Den Herrn Fabrikaten Hofreiter, vor dem kein
weibliches Wesen sicher ist, hat das Mißgeschick getroffen,
daß wir inzwischen mal über einen (gallisch lustigen)
„Hühnerhof“ gewandelt sind. Don Juan will es nicht mehr
gelingen, uns an das Tragische und Dämonische seiner
Natur glauben zu machen. Selbst auf der Opernbühne
wird er uns nur noch erträglich, wenn er sich stark buffo¬
nesk drapiert. Mag der Herr Hofreiter sich ernst nehmen)
wir tun ihm den Gefallen nicht mehr. Lachen vielmehr
ihn aus, wenn er, überall hin liebäugelnd, der Gattin
gegenüber Eisensuchtsanwandlungen nicht unterdrücken
kann; wenn er deren jungen Liebhaber niederknallt: aus
Eifersucht übrigens? oder wegen verletzter Eitelkeit? oder
aus Angst vor der, Haß gegen die Jugend? Wenn wir schon
dem dummen Jungen, eher noch seiner alten Mutter eine
Träne widmen wollen, — sie wird erstickt durch das Lachen
über die Motive des tragisch sich gebärdenden Mörders.
Freilich sagt Schnitzler: Tragikomödie. Aber es bleibt
beim Etikett. Die Gestaltung (wenn die Dialogisierung je
so weit kommt) ist von verzweifelter Ernsthaftigkeit.
Und, bei aller unendlichen Weitschweifigkeit, von einer
die seelische Beengtheit verratenden Kurzatmigkeit. Die 1——
mühsam verdeckt werden soll durch das breite Episoden¬