24. Das veite Land
box 29/5
Dr. Max Goldschmiet
Büro für Zeitungsausschnitte
Telefon: Norden 3051
BERLIN N 4
Ausschnitt sus:
Der Tag, Berlin
2. Dez. 1921
Das weite Land.
Lessing=Theater.
Früher einmal — lang, lang ist's her — war der Eröffnungsabend
eines neuen Theaters ein Feier= und Festabend, über das Alltäglich¬
Gewöhnliche hinaus. Auch wenn ein neuer Bühnenleiter seine.
Herrschaft antrat, sollte seine erste Aufführung wie ein Posaunen¬
stoß wirken: Hier ist eine Kunst, — hier ist meine Kunst. Heut
geht's dabei sanglos=klanglos herkömmlich zu, man will uns nichts
Programmatisches sagen, keine neue Tat zeigen, — ruft nicht selig:
„Le roi est mort, vive le roi“. Auch der neue König sieht von
vornherein wie ein Toter drein.
Bei den Brüdern Rotter, den neuen Herren im Lessing=Theater,
ging's am Sonnabend sogar noch besonders schläfrig zu. Die zorni¬
gen Proteste, die gerade aus den Künstlerkreisen gegen sie erhoben
werden und nur ihnen nicht dieses Theater überliefern wollten, haben
sie recht gleichgültig gelassen. Bei unseren hohen Obrigkeiten wird
natürlich immer der Geldbeutel siegen, und was die Kunst sagt,
ist gleichgültig. Schön aber wär's doch gewesen, wenn die Brüder
Rotter an diesem Abend kräftig ihren Gegnern in die Parade ge¬
fahren wären und ihnen gezeigt hätten, daß sie nicht nur Geschäfts¬
leute sind.
Frisches und Neues, wie es die alte Künstlerforderung will,
brachten sie jedenfalls nicht. Noch einmal holten sie aus ihren alten
Beständen Arthur Schnitzlers Tragikomödie „Das weite
Land“ hervor. Etwas Moder dunstet aus ihr schon herauf. Der
böseste Feind Schnitzlers, allzu viel zu reden und weniger zu bilden,
ist hier besonders stark und fett geworden. Und er, hat's vor allem
in Schuld, daß das weite Land der Seele, von dem suns der Dichter
erzählt, auch ein recht langes, allzu langes, fünf Akte langes wurde,
und daß Länge auch in ein öfter recht Langweiliges sich aus¬
dehnte. Vor allem verschwimmen die ersten drei Akte in einem
überflüssigen Beiwerk von Episoden, breitbehaglicher Gesellschafts¬
und Milieuschilderung, Plaudereien über alles und jedes, und erst
in den letzten Teilen strafft sich die Handlung dramatischer zusam¬
men. Schließlich ist's doch nur eine Pointe, ein intellektueller Witz,
ein Theatercoup, welcher aus der Komödie der modernen Ehe plötz¬
lich, mehr überraschend als dramatisch motivierend, eine Tragödie
werden läßt. Und es sieht mehr nach Entschuldigung als nach
seelischer Vertiefung aus, wenn Schnitzler darauf seine These baut,
daß das weite Land auch ein innerlich höchst verwickeltes ist, wenn
der gleichgültige Gatte, der neben seiner Ehe viele Liebschaften noch
unterhält, plötzlich heroisch eifersüchtig aufwallend, den jungen
schüchternen idealgläubigen Anbeter seiner Frau totschießt. Was
für neue Folgen bewirkt denn nun jetzt diese jähe Unwandlung des
Ehemannes? Darüber fällt in Schweigen der Vorhang.
In der schauspielerischen Darstellung gab es ja eine Fülle von
„Prominenten“ ersten, zweiten und dritten Ranges. Da blieb nichts
zu wünschen übrig. Höchstens das zuletzt Beste und Wichtigste, die
Entdeckung neuer junger Talente. Hier gehen bei Schnitzler nur zu
viele Gestalten über die Bühne, ohne weitere Bedeutung, überflüssig¬
episodische Gestalten und Schemen, — wie die Wort= und Rede¬
kunst weitschweifig, weitlondig sich dehnt. Dramatisch ist es gerade
nicht wenn uns die Plauderlust des Dichters die Komödie der
modernen Ehe und modernen Liebens gleich in vier=, fünffacher
Wiederholung vorübergleiten läßt. Und auch der Prominenten
Kunst wird überflüssig, wenn ihr allzu nichtige Aufgaben zugeteilt
werden, aus denen auch sie Besonderes nicht hervorholen kann, und
die schließlich auch vom Dutzendkünstler gleichwertig sich heraus¬
stellen lassen. Es enttäuscht mehr, wenn Ferdinand Bonn
und Adele Sandrock als geschiedenes Ehepaar nur wie Schat¬
ten ihrer selbst, überflüssig, gleichgültig vorübergehen müssen, und
er nur ein vergnügtes Bonvivantlächeln, sie nur eine Dame in
Trauer zeigen lassen kann. Mehr als Chargen spielen auch die
„modernen“ Ehepaare nicht, Bankier Natter und Gemahlin, Schrift¬
steller Rhon und Frau, lauter wandelnde Proteste gegen den tragi¬
schen Endeffekt der Komödie. Heinrich Schroth, Olga
Limburg, Julius Falkenstein, Hansi Burg blie¬
ben zuletzt stecken im allzu seichten Fahrwasser ihrer Rollen. Etwas
besser ergeht's natürlich den Hauptdarstellern. Freilich findet selbst
Irene Triesch als Genia keine Gelegenheit geradezu zur
großen Entfaltung ihres Könnens, und doppelt fühlt man nur, wie
sie das etwas einförmige und passive Leben der Gestalt innerlich¬
seelisch durchdringt und künstlerischen Wechsel, lebendigere Charak¬
teristik aus ihr holt. Und Arnold Korff geht mit festem
Schritt, sehr sicher und klug durch seine Tragikomödie dahin, weiß
die „komplizierte“ Psychologie Schnitzlers einfach und klar darzu¬
legen. Georg Alexanders junger Liebhaber war sehr ge¬
winnend, Ellen Tietz allerdings weniger dekadent, vielmehr
eine recht gläubige fromme Liebe in ihrer Hingabe an den soviel
älteren Mann, und ohne alles ehebrecherische Bewußtsein, Josef
Klein tüchtig, schlicht, als guter Mensch und unglücklicher Werber.
Oskar Kanehls Spielleitung ließ sich nur von der Redseligkeit
Schnitzlers manchmal in etwas zu schleppendes Tempo hineintreiben,
gab aber sonst den Aufbau mit reicher Schmückung.
Julius Hart.
G R TD
box 29/5
Dr. Max Goldschmiet
Büro für Zeitungsausschnitte
Telefon: Norden 3051
BERLIN N 4
Ausschnitt sus:
Der Tag, Berlin
2. Dez. 1921
Das weite Land.
Lessing=Theater.
Früher einmal — lang, lang ist's her — war der Eröffnungsabend
eines neuen Theaters ein Feier= und Festabend, über das Alltäglich¬
Gewöhnliche hinaus. Auch wenn ein neuer Bühnenleiter seine.
Herrschaft antrat, sollte seine erste Aufführung wie ein Posaunen¬
stoß wirken: Hier ist eine Kunst, — hier ist meine Kunst. Heut
geht's dabei sanglos=klanglos herkömmlich zu, man will uns nichts
Programmatisches sagen, keine neue Tat zeigen, — ruft nicht selig:
„Le roi est mort, vive le roi“. Auch der neue König sieht von
vornherein wie ein Toter drein.
Bei den Brüdern Rotter, den neuen Herren im Lessing=Theater,
ging's am Sonnabend sogar noch besonders schläfrig zu. Die zorni¬
gen Proteste, die gerade aus den Künstlerkreisen gegen sie erhoben
werden und nur ihnen nicht dieses Theater überliefern wollten, haben
sie recht gleichgültig gelassen. Bei unseren hohen Obrigkeiten wird
natürlich immer der Geldbeutel siegen, und was die Kunst sagt,
ist gleichgültig. Schön aber wär's doch gewesen, wenn die Brüder
Rotter an diesem Abend kräftig ihren Gegnern in die Parade ge¬
fahren wären und ihnen gezeigt hätten, daß sie nicht nur Geschäfts¬
leute sind.
Frisches und Neues, wie es die alte Künstlerforderung will,
brachten sie jedenfalls nicht. Noch einmal holten sie aus ihren alten
Beständen Arthur Schnitzlers Tragikomödie „Das weite
Land“ hervor. Etwas Moder dunstet aus ihr schon herauf. Der
böseste Feind Schnitzlers, allzu viel zu reden und weniger zu bilden,
ist hier besonders stark und fett geworden. Und er, hat's vor allem
in Schuld, daß das weite Land der Seele, von dem suns der Dichter
erzählt, auch ein recht langes, allzu langes, fünf Akte langes wurde,
und daß Länge auch in ein öfter recht Langweiliges sich aus¬
dehnte. Vor allem verschwimmen die ersten drei Akte in einem
überflüssigen Beiwerk von Episoden, breitbehaglicher Gesellschafts¬
und Milieuschilderung, Plaudereien über alles und jedes, und erst
in den letzten Teilen strafft sich die Handlung dramatischer zusam¬
men. Schließlich ist's doch nur eine Pointe, ein intellektueller Witz,
ein Theatercoup, welcher aus der Komödie der modernen Ehe plötz¬
lich, mehr überraschend als dramatisch motivierend, eine Tragödie
werden läßt. Und es sieht mehr nach Entschuldigung als nach
seelischer Vertiefung aus, wenn Schnitzler darauf seine These baut,
daß das weite Land auch ein innerlich höchst verwickeltes ist, wenn
der gleichgültige Gatte, der neben seiner Ehe viele Liebschaften noch
unterhält, plötzlich heroisch eifersüchtig aufwallend, den jungen
schüchternen idealgläubigen Anbeter seiner Frau totschießt. Was
für neue Folgen bewirkt denn nun jetzt diese jähe Unwandlung des
Ehemannes? Darüber fällt in Schweigen der Vorhang.
In der schauspielerischen Darstellung gab es ja eine Fülle von
„Prominenten“ ersten, zweiten und dritten Ranges. Da blieb nichts
zu wünschen übrig. Höchstens das zuletzt Beste und Wichtigste, die
Entdeckung neuer junger Talente. Hier gehen bei Schnitzler nur zu
viele Gestalten über die Bühne, ohne weitere Bedeutung, überflüssig¬
episodische Gestalten und Schemen, — wie die Wort= und Rede¬
kunst weitschweifig, weitlondig sich dehnt. Dramatisch ist es gerade
nicht wenn uns die Plauderlust des Dichters die Komödie der
modernen Ehe und modernen Liebens gleich in vier=, fünffacher
Wiederholung vorübergleiten läßt. Und auch der Prominenten
Kunst wird überflüssig, wenn ihr allzu nichtige Aufgaben zugeteilt
werden, aus denen auch sie Besonderes nicht hervorholen kann, und
die schließlich auch vom Dutzendkünstler gleichwertig sich heraus¬
stellen lassen. Es enttäuscht mehr, wenn Ferdinand Bonn
und Adele Sandrock als geschiedenes Ehepaar nur wie Schat¬
ten ihrer selbst, überflüssig, gleichgültig vorübergehen müssen, und
er nur ein vergnügtes Bonvivantlächeln, sie nur eine Dame in
Trauer zeigen lassen kann. Mehr als Chargen spielen auch die
„modernen“ Ehepaare nicht, Bankier Natter und Gemahlin, Schrift¬
steller Rhon und Frau, lauter wandelnde Proteste gegen den tragi¬
schen Endeffekt der Komödie. Heinrich Schroth, Olga
Limburg, Julius Falkenstein, Hansi Burg blie¬
ben zuletzt stecken im allzu seichten Fahrwasser ihrer Rollen. Etwas
besser ergeht's natürlich den Hauptdarstellern. Freilich findet selbst
Irene Triesch als Genia keine Gelegenheit geradezu zur
großen Entfaltung ihres Könnens, und doppelt fühlt man nur, wie
sie das etwas einförmige und passive Leben der Gestalt innerlich¬
seelisch durchdringt und künstlerischen Wechsel, lebendigere Charak¬
teristik aus ihr holt. Und Arnold Korff geht mit festem
Schritt, sehr sicher und klug durch seine Tragikomödie dahin, weiß
die „komplizierte“ Psychologie Schnitzlers einfach und klar darzu¬
legen. Georg Alexanders junger Liebhaber war sehr ge¬
winnend, Ellen Tietz allerdings weniger dekadent, vielmehr
eine recht gläubige fromme Liebe in ihrer Hingabe an den soviel
älteren Mann, und ohne alles ehebrecherische Bewußtsein, Josef
Klein tüchtig, schlicht, als guter Mensch und unglücklicher Werber.
Oskar Kanehls Spielleitung ließ sich nur von der Redseligkeit
Schnitzlers manchmal in etwas zu schleppendes Tempo hineintreiben,
gab aber sonst den Aufbau mit reicher Schmückung.
Julius Hart.
G R TD