II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 743

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24. Das seite Land
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Münchener Seitung, München
etwa das Aeußerste und Verzwelfeltste über Möglichkeiten hatte doch, trotz allem, sympathif
und seelische Folgen einer Verstrickung wie dieses ver¬
machte, daß Stimmung nicht aufka
lautbart, sondern da, wo die Sache anfinge, wesenhaft zu
Schärfe, die dem Wienerischen fr#
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werden, die dramatische Aussprache von Rechts wegen
auf alles übrige.
ungesellig werden müßte, steht, anständig und diskret, die
Mit einer Ausnahme. Es
Andeutung, das abgebrochene Wort, die vielsagende Geste,
die all das hatte, was das gan
Das weite Land.
das schmerzliche Lächeln.
müssen, eine Szene, in der man d
Von Arthur Schnitzlet.
Nun ist es aber Sinn und Aufgabe des Dramas, die
gen, ein wenig melancholischen u
österreichischen Sphäre deutlich spü
(Zur Aufführung im Münchener Schauspielhaus.)
Dinge wesenhaft zu zeigen; wenn also im Konversations¬
Szene. Wie dieser Dr. von Aign
stück der miteingebrachte „gesellschaftliche Vorbehalt“ dies
Für die Konversation der guten Gesellschaft galt von
nur etwas nachdenklicher und weich
zu verhindern scheint, so muß gleichwoyl ein Ausweg ge¬
jeher ein genau zu umreißender Vorbehalt: über mensch¬
seinem Leben plauderte, abbrech
funden werden, der den dramatischen Ansprüchen der
liche Dinge darf nie das Letzte. Aeußerste gesagt werden.
lichen Lächelns, das traf den Stil
Tiefe zu ihrem Recht verhilft. Dieser Ausweg ist wohl¬
Nicht als ob in den Zeiten und an den ausgezeich¬
es war — vornehm. (Nicht umso
bekannt. Er heißt „Stimmung".
neten Orten, wo es eine gute Gesellschaft gab und viel¬
Wien jeden Menschen baronisiert.)
leicht noch gibt, immer nur über wesenlose Dinge Unter¬
Die Stimmung ist in allen andeutenden Stücken das
Wieder nach einer andern
notwendige Korrelat; sie schwebt mit dem Gefühl in die
haltung gepflogen wurde, wie man zuweilen vermuten
Larrinaga entglitt Frau Ferron
Tiefe, — wenn auch nicht allzutief —, in die das Wort
könnte, — nein, immer hat man sich dort, wo verwöhntere
nicht zu steigen gewagt.
ich greife das heraus, nicht weil d
Gemüter zusammentrafen und eine Art Herrschaft des
gewesen, sondern weil es sich an
Salons mitbegründeten, auch über menschlich wesenhafte
Wenn man der Aufführung von Schnitzlers „Das
demonstrieren läßt. Es gibt un
Fragen Rede und Antwort gestanden, aber mochten es
weite Land“ unter Forster=Larrinagas Regie
eine Spezies Frau, deren entzücken
auch die letzten und äußersten Dinge selber gewesen sein,
und mit ihm selbst in der Hauptrolle, wenn man ihr
einer naiven Anmut das Sinn
nie durfte über sie auf letzte und äußerste Weise geredet
etwas vorwerfen kann, so: Mangel an dieser Stimmung.
fragen, zu fragen — ein bisserl hilf
werden.
Möglich, daß dieser Mangel zum Teil ein Mangel an
zend, — so ein rührendes Fra
Der Grund für diese Einschränkung ist unschwer zu
Stimme gewesen, der Stimmung nicht aufkommen
Ferron zu spielen gehabt. Es ist
erkennen: die Dame ist es, die auch noch im geistigsten
ließ: gesprochen jedenfalls wurde zeitweise mit solcher diese spezifische Art zu fragen bei
Salon dominiert, und wenn es einrisse, in Gegenwart
Undeutlichkeit, daß schon auf der vierten Reihe nichts liche, aufgeregte, übertriebene Pers
von Damen das Aeußerste zu sagen, nicht wahr, wo käme
mehr zu verstehen war (Folgen des Wechsels zwischen dies auf irgendeine direkte Weise
man da hin? Auflösung wäre die Folge, Auflösung
kleinem und großem Theater). Die Unruhe des Publikums
wegs die Absicht der Rolle; leide
gerade des Geselligen; denn das Tragische oder das Er¬
ist in solchen Augenblicken bekanntlich nicht Ursache, son¬
und Schauspieler immer wieder,
habene oder das zutiefst Komische ist immer einsam, un¬
dern Folge des Nichtverstehens; Schauspieler sollten das
dem Ganzen der Rolle, nicht aus
gesellig, ungesellschaftlich also.
eigentlich spüren.
dessen, was sie sprechen, allein res
Das Konversationsstück, wie wir es unter anderen
Aber über diese Stimmlosigkeit hinaus herrschte auch
es, eine Figur bis fast in ihre
von Arthur Schnitzler in der glücklichen Wiener Prägung
noch da, wo deutlicher gesprochen wurde, Stimmungs¬
runden, d. h. zu vermenschlichen.
geschenkt bekamen, ist der Einbruch jener Sphäre des
losigkeit, und mir scheint, dies lag zum großen Teil an
Als Frau Genia Hofreiter w
Gesellschaftlichen in die Welt des Dramas. Nicht nur
Forster=Larrinaga selbst. Er war nicht dieser Hofreiter,
immer wieder interessant, eine v#
wird „Gesellschaft“ im Konversationsstück zumeist dar¬
den das Stück meint, obgleich er doch so gut für diese
Frau, aber sie muß sich hüten, ei
gestellt, sondern Gesellschaft nach den Gesetzen und Vor¬
Rolle zu passen schien. Er war ein anmutiger, welt¬
und von unmotiviertem Lachen
behalten der Gesellschaft. Wenn beispielsweise, wie hier
gewandter, eleganter, verführerischer, schon etwas „vor¬
Manier werben zu lassen, weil sie so
im „weiten Land“, der Typ des Mannes im Mittelpunkte
geschrittener“ Mann, aber das, was ihm so dringend not
aus ihren Rollen gewinnt. Sie
steht, der, obschon er seine Frau liebt, imstande und
tat, damit man ihm, wie alle Welt, nicht böse sein konnte
Sinne, nicht nur im akustischen,d
immer wieder imstande ist, die geliebte Frau zu betrügen,
trotz seiner Untaten: das bißerl Herz, das fehlte ihm
Von den übrigen Darstellern —
dann wird über und von diesem komplexen Typ nicht weit. Er war eigentlich, trotz allem, unsympathisch, und eine gute gesellschaftliche Figur ma