II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 753

W
24. Das ite Land
box 29/5
M
Dr. Max Goldschmidt
Buro für Zeitungsausschnitte
BBRLIN N4
Telefon: Norden 3051
Ausschnitt aus:
Cottbuser Anzeiger
1. 1926
M
S
Stadttheater
den, geht ohne großes Aufsehen, als belangloses Er=Isie auf ienen innerlich und äußerlich gedämoften Ton
gebnis, gleichsam als Nebenprodukt des merkwürdigabgestimmt, der für Schnitzler so charakteristisch ist.
2. Kammerspiel=Abend: „Das weite Land
aus Stärke und Schwäche gemischten Empfindens
Freilich ging dabei für die des Textes unkundigen
und Redens dieser Menschen hervor. Es ist schick¬
Tragikomödie von Arthur Schnitzler.
Zuhörer, besonders im 1. Akt, vieles verloren.
salhaftes Geschehen, für das der Mensch nicht eigent¬
Von dem nun 64jährigen Wiester Arst un
Der szenische Nahmen (Villenvorplatz in Baden und
lich verantwortlich ist, ebenso wie Vogelruf, Donau¬
dramatischen Kulturschilderer hätte man in den Nach
Hotelvestibül am Völser Weiher mit den Ausblicken
wellen, Bergsteinschlag im sonnig=dämmerigen, wei¬
kriegsjahren nicht mehr viel gehört, wenn nicht die
auf Donauufer bezw. Dolomiten) war durchaus wür¬
ten, und doch von tovographischen u. ethnographischen
Aufführungen der schon 1900 erschienenen, aber zus
dig. — Bei der großen Zahl der Mitwirkenden kön¬
Grenzen durchkreuzten altösterreichischen Land. Ob¬
nächst nicht für die Bühne gedachten Dialoge
nen wir nur wenige Leistungen hervorheben. Dir.
wohl das Stück mehr episch als dramatisch ist, kann
„Reigen“ in Dresden und nachher auch in seiner
Willy Kißmer hatte in Hofreiter eine Rolle, die
man doch seinen Inhalt nicht erzählen, ohne in der
Heimatstadt Anlaß zu einigen überflüssigen Theater¬
ihm seiner darstellerischen Art entsprechend, auf denk
Kürze einen Kinofall daraus zu machen, der gerade
skandalen gegeben hätten. Sein Ruhm und seine
Leib geschrieben sein könnte: immer den Dämpfer
das Gegenteil von dem wäre, was es bei Schnitzler ist.
dramatische Richtung war schon durch seine Schau¬
auf den Saiten der Brutalität und Leidenschaft, stets
spielfolge „Anatol“ (1893) begründet. Fast alle
Hofreiter hat vermutlich (es wird absichtlich wach wie ein Spürhund in Argwohn und Begierde,
sloffen gelassen) mit einem seiner besten Freunde ein
seine Stücke — eigentlich keine Dramen sondern geist¬
verhalten und nonchalant, groß auch in jeder
amerikanisches Duoll gehabt, demzufolge sich dieser
reiche Feuilletons oder Novellen in Dialogform —
Schwäche. Eine sehr sein abgestimmte Leistung war
erschießen mußte. Grund: eine vermutete Liebelei
geben Bilder jener spezisisch wienerischen Vorkriegs¬
die Valeria Verdens als Genia. Wie in ihr das
des Freundes mit Frau Hofreiter. Vom Begräbnis
kultur, über deren Lebensfreude eine jewisse
Gefühl der Mütterlichkeit auch für den von so vielen
zurückkehrend, fängt er beim Tennis ein heftiges
lächelnde Müdigkeit als Ahnung des Absterbens
Frauen verwöhnten Gatten sich wandelt in das der
Techtelmechtel mit einem jungen, vorurteilslosen
dieser Kultur schwebt. Im Rahmen des Theater¬
Nache für die erlittenen Demütigungen, und wie
Mädel (Erna Wahl) an und erklettert dann mit ihr
und Musikfestes, das die Stadt Wien im Oktober
trotzdem alles in ihr fraulich und mütterlich bleibt,
und seinem Freunde Dr. Mauer, der sich ernsthaft
1924 gab, kam auch Schnitzler noch einmal zu Wort
das trat in Ausdruck des Wortes und des Mienen
mit einem Werk, das geschrieben scheint, das von ihm
für Erna interessiert, einen gefährlichen Gipfel, denspiels groß hervor. Kitty Hellens hatte Ge
Aignerturm, wo Erna sich ihm an den Hals wirft.
bisher erlebt=Gestaltete zusammenzufassen: „Komödie,
legenheit, mit ihrer Verkörperung der Erna Wahl
Bei einer früheren Besteigung dieses Berges ist ein
der Verführung" Die heutige Wiener Gesellschaft
die Scharte ihres ersten Auftretens (als Vivie in
anderer Freund Hofreiters an dessen Seite — ab¬
dramatisch zu gestalten, vermag er offenbar nicht, sie
„Frau Warrens Gewerbe“) auszuwetzen. Das ge¬
gestürzt.(H— Wieder in seiner Villa in Baden bei
ist ja nicht mehr die seine.
lang ihr durchaus. Sie traf sehr gut den Ton der¬
Wien, macht er nächtliche Fensterpromenaden zu¬
Auch die Tragikomödie „Das weite Land“ (1911)gleich vor den Zimmern Ernas und seiner Frau
selbständigen, frühreifen Tochter, die den reifen
behandelt jenes Thema, das einem seiner Schau= Genia. Dabei wird er Zeuge einer Liebesstunde sei¬
Mann genießen, aber auch dauernd fesseln will, ohnes
spiele den Titel abgegeben hat: „Liebelei“. Hier
es doch zu vermögen. Just Scheu gab dem Dr.
ner Frau mit dem Fähnrich Otto Aigner, einem
führt er in dem Glühstrumpffabrikanten Friedrich
Mauefalle Milde und Resignation des anständigen
Sohn der von Dr. Aigner geschiedenen Schau¬
Hofreiter einen komplizierten Ehebrecher vor, der in
Mannés, der sich selbst treu bleibt auch in dieser vur¬
spielerin Anna Meinhold=Aigner. Frau Genia, die
seinen beiden Hauptberufen: Fabrikation zur Macht¬
derblichen Atmosphäre. Einen schwereren Stand hatte
ihm vor seiner Abreise ins Gebirge noch den Be¬
gewinnung und Liebe zur Machtbestärkung —
in
Kurt Strehlen als Fähnrich Aigner, eine
weis geliefert hatte, daß sie sich mit dem aus dem
vollendeter Tatmensch ist. Das „weite Land“ ist Leben geschiedenen Freund nicht näher eingelassen,
Figur, die etwas farblos vom Dichter gezeichnet ist.
die Seele des Menschen, in der so vielerlei neben¬
Von ihm wird viel stummes Spiel verlangt, das bei
hält sich nun an dem jüngeren Aigner schadlos. Hof¬
einander Platz hat, ohne sich im Raume zu stoßen,
der Vielheit der Personen auf der Bühne dem Zu¬
reiter erschießt diesen in einem Pistolenduell, drückt
und in der es doch hin und wieder in Weltkata¬
schauer leicht verloren geht. Auch er bot eine aner¬
der ahnungslos Frau Genia besuchenden Mutter
strophen im Wasserglase oder im Kinderluftbillon
kennenswerte Leistung. Das gleiche gilt von Alfred
des Getöteten die Hand und stellt sich dem Gericht,
kommt. Alle diese Menschen, die Schnitzler „erschuf“,
Sopp (Dr. v. Aigner), Friedr. Lenar (Bankier
das ihn ja nicht schwer bestrafen wird. — Man
indem er sie, wie er sie vorfand, in das feinmaschige
Natter), Conrad Rohde (Schriftsteller Rhon),
sieht, die Aufzählung dieser Geschehnisse gibt nichts
Netz seines Dialoges verstrickte, sind im Grunde
Fred Piegsa (Hotelvortier), Helene Matzinger
von dem eigentlichen Gehalt des Stückes wieder, der
liebenswerte, ein wenig verzogene Kinder, über
(Frau Wahl), Marianne Holm (Frau Meinhold¬
eben mehr in der Komplikation der Gefühle liegt,
deren stets wacher Leidenschaft ein Schleier von
Aigner) und den Vertretern der zahlreichen kleinen#
wie sie durch den feinen Dialog umschrieben werden.
wohltemperierter menuetthafter Grazie liegt. Alles
Rollen.
A. Z.
Die Aufführung am Sonnabend war im ganzen
Handeln, und sel es wie bier eine Serie von Mor= vortrefflich. Konrad Robdes Spielleitung hatte
—.—