II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 768

L.
24. Das weite Land
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wirklich nichts andres wäre als ein köstliches Spiel. Aber was er hier* Wenns schließt, hat er, in blinder Wut und giftiger Eisersucht und
sieht: dieses Ineinander von Zurückhaltung und Frechheit, von feiger in
großer Liebe, den noch viel jüngern Aigner totgeschossen, den sie
Eifersucht und erlogenem Gleichmut, von rasender Leidenschaft und #
erhört“ hat — sei es aus Erinnerung an den Fall Korsakow, sei es
leerer Lust — das findet er trübselig und grauenhaft. Ist wirklich zu u
aus Rache für die Erna Wahl, sei es aus simpler Sehnsucht nach
glauben, daß Schnitzler das weniger trübselig und grauenhaft findet?
der Wärme eines unverbrauchten und naiven Menschen. Zwischen Anfang
Es ist eine echte Trauer in ihm um die Männer und Frauen seiner:
und Ende sieht man wenig Versuche der beiden, zu einander zu kommen,
Zeit und dieser Schicht. Aber er hat freilich nicht die Natur, zornig
und das ist nicht nur ein dramaturgischer Einwand, sondern hat wahr¬
die Augen zu rollen und Donnerworte der Empörung zu ballen. Er
scheinlich auch empfindliche Gemüter gegen das Ethos der Dichtung
will schon der Sittenrichter dieser Generation sein. Aber nicht mit
eingenommen. Die beiden Menschen, kann man sagen, kämpfen nicht
priesterlichen Gebärden und im Vollgefühl der eigenen Unfehlbarkeit.
genug, um so leicht unterliegen zu dürsen. Für mich ist es aus¬
Er züchtigt, indem er darstellt: mit resignierendem Verständnis und
schließlich ein dramaturgischer Einwand. Denn ihre Kämpfe liegen bei
einer wehmütigen Ironie, deren weltmännisch gelassener Ton doch
Beginn des Stückes hinter ihnen. Sie wissen um einander Bescheid.
wohl nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß eine wahre Herzensnot
lange gebraucht hat, um sich zu ihm abzuklären.
Sie sagen, daß sie nichts mehr wünschen und nichts mehr hoffen, und
tun es im stillen doch. Sie kennen ihre Tragik: zueinander zu gehören,
Für ungefähr zehn Seelen ist die Liebe im Grunde Qual, Problem
aber einander nicht festhalten zu können. Weil sie die Reinheit dieses
und Schicksal. Sie liebeln, ja, weil es Frühling oder Sommer ist,
: Glücks nicht finden, beschmutzen sie sich; weil man sie ganz nicht haben
und weil es Mondlicht und Wiesenduft, Höhenrausch und Einsamkeit
will, zersplittern sie sich. So geht es Genia, so geht es den andern.
und in jeder Jahreszeit andre Gelegenheiten gibt. Sie liebeln dreist
Durch das Stück dröhnt nicht pathetisch und wimmert nicht sentimental,
und zynisch durcheinander; aber sie liebeln doch nur nebenbei und
sondern spricht bald gefaßt und mit gütigem Lächeln, bald hinter Scher¬
zwischendurch, neben und zwischen der großen Liebe, an der oder für
zen verborgen ein tiefer Schmerz über die Unsicherheit aller mensch¬
die sie verbluten. Der junge Musiker Korsakow erschießt sich, weil
lichen und gar aller erotischen Beziehungen, über die furchtbare Ein¬
er Frau Genia Hofreiter nicht besitzen kann, und der noch jüngere
samkeit jeder bessern Seele und über die Aussichtslosigkeit jedes
Fähnrich Aigner wird erschossen, weil er sie besessen hat. Aigners
Kampfes gegen diesen traurigen Zustand. Von vierzehn Menschen
Eltern sind früh auseinandergegangen, weil er sie ein einziges Mal :
sind höchstens drei glücklich, und das sind Trottel.
betrogen hat, und beide gestehen nach zwanzig Jahren, daß sie keinen
Also könnte „Das weite Land“ genau so gut „Der einsame Weg'
und keine nachher je wieder wirklich geliebt haben. Der Bankier
heißen. Manches in beiden Dichtungen stimmt nicht blos wörtlich,
Natter weiß, daß ihn seine Adele jeden Monat mit einem andern be¬
stimmt erst recht nach Stimmung und Umständen überein. Wie die
trügt und liebt sie doch so rettungslos, daß er ein Leben ohne sie nie¬
junge Johanna Wegrath zu dem alternden Sala bedingungslos sagt:
mals ertragen würde. Der Doktor Mauer bietet Erna Wahl den
„Ich liebe dich!“, so sagt bedingungslos zu dem alternden Hofreiter
Frieden und die Sicherheit, die sie nur anzunehmen brauchte, um
die junge Erna Wahl: „Ich liebe dich!“ Aber der „Einsame Weg',
den braven Mann vielleicht für immer zu beglücken, und es ist möglich,
der den Vorzug hatte, früher da zu sein, war auch voller, wog auch
daß er nach ihr keine mehr begehren wird. Erna Wahl liebt Friedrich
schwerer. Sala hat eine andre Existenz als Herr Friedrich Hofreiter,
Hofreiter, der sie am Wendepunkt seines Daseins von sich stößt. Denn
dem ich entweder die Glühlichterfabrikation oder seine Differenziertheit
er hat Erna zwar genommen, wie so viele Frauen und Mädchen, aber
glaube. Es handelt sich nicht um die Branche: aber da geht nicht alles
ist sich klar darüber, daß er doch nur Genia liebt — Genia, um
derentwillen.
*
zusammen. „Hineinschauen in mich kannst du doch nicht — das
kann keiner“ versichert er seiner Frau. Bis auf den Dichter, ver¬
Zwischen Genia und Friedrich spielt das eigentliche Drama. Wenn
es beginnt, ist sie ihm unheimlich, kann er ihr beinah nicht verzeihen,
sichern wir Schnitzlern, der es leider unterlassen hat. Wir wollen
lieber ein enges Land ganz als ein weites Land fast gar nicht kennen
daß sie um eines Schemens, eines Nichts, eines Phantoms, nämlich
um ihrer Tugend willen jenen jungen Korsakow hat sterben lassen.
lernen. Darum bereichern uns mehr die mäßig komplizierten Men¬
schen, die hier vor uns entfaltet werden. Es kommt nämlich wirklich

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