II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 788

24. Das veite Land
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es ist kein Wunder. Der erste — das ist doch immerhin ein Erlebnis.
Oder bedeutet das auch nichts mehr? Sie müssen mir darüber Auf¬
schluß geben, Erna. Ja! — Ich finde mich nämlich nicht mehr zurecht.
Das Leben ist um so viel leichter geworden in der letzten Zeit. Als ich
so jung war wie Sie, nahm man gewisse Dinge noch furchtbar ernst.
Es sind nicht viel mehr als zehn Jahre seither vergangen, aber mir
scheint, die Welt hat sich seitdem sehr verändert.
Stubenmädchen (mit einem Telegramm von rechts. Geht gleich
wieder).
Genia (öffnet es rasch): Von meiner Schwester Mary. Sie kommt
heute mittag mit Percy an. Hier. (Sie gibt Erna das Telegramm.)
Es wird ein lustiges Wiedersehen werden. Aber wollen wir nicht doch
in den Garten, Erna? Oder machen wir eine kleine Spazierfahrt. Ja?
Der Tag ist so schön. Die Luft wird Ihnen wohltun. Sie sind blaß ...
Sie haben vielleicht nicht sehr gut geschlafen.
Erna: Nein. Ich habe gewacht. Und um fünf Uhr früh hab ich
meinen Bruder fortgehn sehn. In jedem Augenblick können wir er¬
fahren, wie es ausgegangen ist. Denn während wir hier reden, ist alles
längst vorüber.
Genia: Erna — ich sagte Ihnen doch, Friedrich ist in die Stadt ge¬
fahren, zu seinem Advokaten ... wahrscheinlich.
Erna: Er ist nicht zum Advokaten gefahren. Ich weiß es. Ich
habe meinen Bruder gesprochen heut früh als er fortging. Gestern
abend noch ist alles abgemacht worden. Heut morgen um acht hat das
Duell stattgefunden. Ich nehme an — nicht gar weit von hier. Im
Heiligenkreuzerwald wahrscheinlich. Und jetzt ist alles ... vorbei.
Genia: Nun, so ist es eben vorbei Jetzt ist nichts mehr zu
ändern, nicht wahr? Im Heiligenkreuzerwald, glauben Sie? — So
sitzen sie jetzt alle zusammen im Stiftsgarten, unter dem schattigen Laub
und feiern die Versöhnung ... Das Frühstück war schon vorher be¬
stellt von den Herren Sekundanten. Und versöhnt ist man ja schnell,
wenn man einander nie wirklich böse war. Was denken Sie, Erna,
trinken sie auf unser Wohl? Warum nicht. Das Leben ist ja so lustig.
Vielleicht erscheinen sie zusammen hier, Arm in Arm. Ja: Wir
sollten ihnen entgegengehn.
Erna: Ich will nach Hause ... Vielleicht ist mein Bruder schon
zurück
Genia: Gut — gehn Sie nach Hause, Erna ... Ich warte hier ..
Erna (scheint nach draußen zu lauschen).
Genia: Was haben Sie? — Ja, es sind Schritte.
Erna (zur Verandatür): Es ist Frau Meinhold.
Genia (zuckt zusammen): Wie..?
Erna: Sie kommt ganz ruhig heran. Sie weiß nichts.
Genia: Was will sie so früh ...
Erna: Sie weiß sicher nichts. Sie geht langsam. Ihre Züge scheinen
mir ganz unbewegt. Wenn Sie nur die leifeste Ahnung hätte, sähe sie
anders aus. Woher sollte sie auch. Fassen Sie sich, Frau Genia!
Frau Meinhold (kommt): Guten Morgen.
Erna: Guten Morgen, gnädige Frau.
Genia: Sie sind es, Frau Meinhold? Ah... (Sie steht auf.)
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Kuntwart 220 4.