II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 808

Land
24. Das weite
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Dr. Carl Furtmüller,
spielerin geblieben. Auch dass er eine geheime Neigung zu ihr aus ethischen
Gründen bisher unterdrückt hätte, können wir nicht annehmen, denn
sobald er sich ihre Eroberung als Ziel gesteckt hat, geht er ihm ohne jeden
Schatten innerer Bedenken nach. In welcher Situation befindet sich Hof¬
reiter, als er sich daran macht, Erna zu gewinnen? Er ist ein Mann von
etwa 45 Jahren. Das gesteht er freilich sich selbst und anderen nicht
gerne ein und sogar der Dichter scheint seine Empfindlichkeit zu schonen,
indem er bei ihm nicht, wie bei den anderen Personen des Stückes, das
Alter angibt. Aber er ist gleichaltrig mit Ernas Mutter, was für ihn freilich
der Anlass wird, sie ostentativ nicht anders als „Mama Wahl“ zu nennen
und so recht weit von ihr abzurücken. Im übrigen sorgt er dafür, dass
die Leute seiner nächsten Umgebung viel jünger sind als er, um sich
dann unter ihnen als Altersgenosse zu bewegen. Sein bester Freund ist
ein um 10 Jahre jüngerer Mann. Aber die Zeichen schwindender Jugend
lassen sich nicht abweisen. Gerade jetzt ist sein Verhältnis mit Adele
Natter zu Ende — und wohl nicht auf seine Initiative hin, sonst würden
wir nicht verstehen, warum es ihn gar so ärgert, dass Mauer seiner Frau
davon gesprochen hat; und in seinem Gesprüch mit Adele sehen wir
ihn bemüht, wenigstens äusserlich die alten Formen aufrecht zu erhalten,
während sie energisch fürs Schlussmachen ist. Und sie ist hartherzig
genug, ihn an das nahende Alter zu erinnern („Die Zeit der Jugend¬
torheiten ist vorbei. Für uns beide, denk ich. Meine Kinder wachsen
heran, Und Ihr Bub auch.“ S. 59).
Diese ersten Vorboten des Alterns müssen den Fonds von Unsicher¬
heit, den wir an ihm schon kennen, ganz ausserordentlich verstärken
und er wird nach nichts eifriger suchen als nach der Gelegenheit zu
einer Probe, die ihm zeigen soll, dass er noch der alte ist, dass seine
Persönlichkeit nichts von ihrer Kraft und Wirkung eingebüsst hat.
(„Mit vierzig Jahren sollt man jung werden, da hätte man erst was davon.
Soll ich Dir was sagen, Adele? Mir ist eigentlich doch, als wäre alles
Bisherige nur Vorstudium gewesen. Und das Leben und die Liebe fing erst
jetzt an.“ S. 61.) Und welche Probe könnte schlagender sein, als ein
Mädchen zu erobern, das seine Tochter sein könnte, das er noch auf den
Knien geschaukelt hat. Und noch dazu jetzt, wo es gilt, einem um zehn
Jahre jüngeren Rivalen das Feld abzugewinnen. Alles bei diesem Ausflug
zum Völser Weiher läuft darauf hinaus, sich zu beweisen, dass er noch
zu jeder Jugendtat fähig, ja dass er noch vor keiner Jugendtorheit sicher
ist. Deshalb überwindet er auch die jahrelange Scheu und steigt wieder
auf den Aignerturm, was übrigens wohl nicht nur vom Dichter Rhon sym¬
bolisch mit Fraueneroberung in Zusammenhang gebracht wird. Mit be¬
sonderer Genugtuung erzählt er von dieser Tour Herrn Aigner, der so
schwierige Besteigungen schon aufgegeben hat. („Den guten, alten Herrn
Aigner“ nennt er einmal IS. 171) den um etwa 7 Jahre älteren Mann.) Und in
seinem Liebeswerben um Erna fehlt kein Zug allerjugendlichsten Über¬
schwangs. („Erna, Erna! Ich wär imstande, eine rasende Dummheit zu
begehen. Plötzlich verstch' ich allen Unsinn, über den ich mich früher
lustig gemacht habe. Ich verstehe Fensterpromenaden, Serenaden, ich
verstch' dass man mit gezücktem Messer auf einen Rivalen losgehn, aus
unglücklicher Liebe in einen Abgrund springen kann.“ S. 117.) Er bietet
ihr an, sich von Genia scheiden zu lassen und sie zu heiraten.
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