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Schnitzler’s Tragikomödie „Das weite Land“.
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zu ihr aus ethischen
annehmen, denn
Aber diese stürmische Jugendlichkeit findet noch eine zweite und
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sehr merkwürdige Verwendung. Am Tage nach dieser Werbung reist Hof¬
reiter ab. Denn, wäre er dort geblieben, „in wenigen Tagen, ach Gott —
ich Hof¬
In voll
am selben Tag hätte es das ganze Hotel gewusst“ (S. 137). Der „Schein
nicht
um den Kopf“, der ideelle und der materielle, hätte sie verraten. Und
er hat es vermeiden wollen, Erna zu kompromittieren. Man merkt wohl,
heil,
das
dass da nicht die Vorsicht dem Taumel einfach folgt, sondern dass die
aufs Höchste gesteigerte, zu jeder Unvorsichtigkeit verleitende Leidenschaft¬
lichkeit ein wirksamer Mahnruf zur Vorsicht gewesen ist. So sorgt gerade
die überbotene Zügellosigkeit seines Begehrens dafür, dass er sich recht¬
zeitig wieder zurücknimmt und dass die „Pause“ wieder in ihre Rechte
eintritt. Man möchte fast glauben, er stelle ein Programm fest, wenn
er mitten im heissesten Werben hervorstösst: „Ich werde mich mit nichts
Vernünftigem beschäftigen können, ehe ich Sie in den Armen halte. Ich
werde nichts weur denken können, nichts mehr arbeiten“ (S. 119).
Aber noch haben wir die allerwichtigste Triebkraft seiner Leiden¬
schaft für Erna nicht erörtert. Nur ganz flüchtig haben wir bisher die
Tatsache erwähnt, dass sein Interesse für sie gerade in dem Moment ein¬
setzt, wo sein Freund Mauer deutlich um sie wirbt. Sie wird für ihn in
dem Augenblick zum Liebesobjekt, wo er sie einem andern wegnehmen
kann. Da hätten wir allerdings eine der typischen Liebesbedingungen
gegeben, die Freud beobachtet hat. Aber wir sehen in diesem Falle auch
klar, dass diese Liebesbedingung nichts Unverständliches an sich trägt,
das uns nötigen würde, zu der Freud’schen Hypothese zu greifen, hier
wolle eigentlich der Sohn dem Vater die geliebte Mutter abringen. Sein
Verhalten hier entspricht genau seinem sonstigen Charakter. Er kann
überhaupt nicht vertragen, sich ausgeschaltet zu sehen, er kann einem
andern nichts lassen. Er verübelt seiner Frau jedes „dear mother“ in
den Briefen seines Sohnes; und dass die Wahls mit Doktor Mauer, „ohne
ihn um Erlaubnis zu fragen“ ein Zusammentreffen am Völser Weiher
verabreden, erfüllt ihn mit ehrlicher Entrüstung und bildet den letzten
Anstoss dazu, dass er Mauer auf seiner Reise begleitet.
Die Freundschaft zwischen Hofreiter und Mauer gehört nun überhaupt
zu jenen, deren Untergrund eine versteckte Feindseligkeit bildet; und
zwar nicht nur auf Seite Hofreiters: man achte nur auf die Bemerkungen,
die Mauer in seinem ersten Gespräch mit Genia über seinen Freund
macht, In Hofreiter ist dieser stets bereite Fonds durch Mauer’s kleine
Indiskretion der Oberfläche näher gerückt. Das alles, diese Unfähigkeit,
jemand anderem etwas zu lassen, die aufflammende Feindseligkeit und
das Bedürfnis, Mauer herabzusetzen, kann man aus den achtlos hin¬
geworfenen und achtlos aufgenommenen Worten Hofreiter’s heraushören:
„Ah? Die Erna! Ja, das wär was. Na, Mauerl, nimm Dich zusammen,
die gönn ich nicht jedem.“ (S. 45). An diese Worte schliesst sich die
schon früher gestreifte bissige Bemerkung über Erna an und so, unheim¬
lich und drohend, nicht mit einer Liebes-, sondern mit einer Kriegserklärung,
schliesst der erste Akt.
Die hier offenkundige Tendenz, Mauer herabzusetzen, zeigt sich in
voller Entfaltung nach der Rückkehr vom Völser Weiher, als er ihn
überreden will, bei Erna der Zweite zu werden. Hier wird es völlig klar,
dass es nicht eine tragische Macht ist, die ihn zu Erna getrieben und ihn
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sehr merkwürdige Verwendung. Am Tage nach dieser Werbung reist Hof¬
reiter ab. Denn, wäre er dort geblieben, „in wenigen Tagen, ach Gott —
ich Hof¬
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am selben Tag hätte es das ganze Hotel gewusst“ (S. 137). Der „Schein
nicht
um den Kopf“, der ideelle und der materielle, hätte sie verraten. Und
er hat es vermeiden wollen, Erna zu kompromittieren. Man merkt wohl,
heil,
das
dass da nicht die Vorsicht dem Taumel einfach folgt, sondern dass die
aufs Höchste gesteigerte, zu jeder Unvorsichtigkeit verleitende Leidenschaft¬
lichkeit ein wirksamer Mahnruf zur Vorsicht gewesen ist. So sorgt gerade
die überbotene Zügellosigkeit seines Begehrens dafür, dass er sich recht¬
zeitig wieder zurücknimmt und dass die „Pause“ wieder in ihre Rechte
eintritt. Man möchte fast glauben, er stelle ein Programm fest, wenn
er mitten im heissesten Werben hervorstösst: „Ich werde mich mit nichts
Vernünftigem beschäftigen können, ehe ich Sie in den Armen halte. Ich
werde nichts weur denken können, nichts mehr arbeiten“ (S. 119).
Aber noch haben wir die allerwichtigste Triebkraft seiner Leiden¬
schaft für Erna nicht erörtert. Nur ganz flüchtig haben wir bisher die
Tatsache erwähnt, dass sein Interesse für sie gerade in dem Moment ein¬
setzt, wo sein Freund Mauer deutlich um sie wirbt. Sie wird für ihn in
dem Augenblick zum Liebesobjekt, wo er sie einem andern wegnehmen
kann. Da hätten wir allerdings eine der typischen Liebesbedingungen
gegeben, die Freud beobachtet hat. Aber wir sehen in diesem Falle auch
klar, dass diese Liebesbedingung nichts Unverständliches an sich trägt,
das uns nötigen würde, zu der Freud’schen Hypothese zu greifen, hier
wolle eigentlich der Sohn dem Vater die geliebte Mutter abringen. Sein
Verhalten hier entspricht genau seinem sonstigen Charakter. Er kann
überhaupt nicht vertragen, sich ausgeschaltet zu sehen, er kann einem
andern nichts lassen. Er verübelt seiner Frau jedes „dear mother“ in
den Briefen seines Sohnes; und dass die Wahls mit Doktor Mauer, „ohne
ihn um Erlaubnis zu fragen“ ein Zusammentreffen am Völser Weiher
verabreden, erfüllt ihn mit ehrlicher Entrüstung und bildet den letzten
Anstoss dazu, dass er Mauer auf seiner Reise begleitet.
Die Freundschaft zwischen Hofreiter und Mauer gehört nun überhaupt
zu jenen, deren Untergrund eine versteckte Feindseligkeit bildet; und
zwar nicht nur auf Seite Hofreiters: man achte nur auf die Bemerkungen,
die Mauer in seinem ersten Gespräch mit Genia über seinen Freund
macht, In Hofreiter ist dieser stets bereite Fonds durch Mauer’s kleine
Indiskretion der Oberfläche näher gerückt. Das alles, diese Unfähigkeit,
jemand anderem etwas zu lassen, die aufflammende Feindseligkeit und
das Bedürfnis, Mauer herabzusetzen, kann man aus den achtlos hin¬
geworfenen und achtlos aufgenommenen Worten Hofreiter’s heraushören:
„Ah? Die Erna! Ja, das wär was. Na, Mauerl, nimm Dich zusammen,
die gönn ich nicht jedem.“ (S. 45). An diese Worte schliesst sich die
schon früher gestreifte bissige Bemerkung über Erna an und so, unheim¬
lich und drohend, nicht mit einer Liebes-, sondern mit einer Kriegserklärung,
schliesst der erste Akt.
Die hier offenkundige Tendenz, Mauer herabzusetzen, zeigt sich in
voller Entfaltung nach der Rückkehr vom Völser Weiher, als er ihn
überreden will, bei Erna der Zweite zu werden. Hier wird es völlig klar,
dass es nicht eine tragische Macht ist, die ihn zu Erna getrieben und ihn
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