Lanc
24. Das weite
Millen weh zu tun, sondern
roberungslust positive Kräfte
Keir bis jetzt auf Hofreiters
sind. Aber da er sich hier
die meisten Rätsel aufgibt,
er darüber klar zu werden,
triebe ihn leiten. Jetzt wird
knpunkt das Dramas zurecht
Verhältnis zu seiner Frau
ut: keines soll dem andern
stillschweigenden Voraus¬
n Gebrauch machen werde.
ibt gebunden und hat nicht
Aber nicht nur in diesem
t; auch über die Erziehung
den kleinsten Details des
ich und sie ist gewohnt,
leichgültigkeit gegen die
Jenia sehr genau. Sie
vor hatte, was eine
kann.“ (S. 24).
en und beruhigenden
nicht für Hinter¬
ja schliesslich
nicht täuschen
t.
Nicht nur,
durch¬
Ikow.
sch
1 be¬
ler
Is
er
en
box 29/6
Schnitzler’s Tragikomödie „Das weite Land“.
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anderer etwas wegnimmt. Aber auch bei dieser scheinbar so bizarren
Wendung Genia gegenüber finden wir die Einheit des Charakters völlig
gewahrt. Von zwei Seiten her ist diese Szene nur die konsequente Weiter¬
führung des im ersten Akte Angebahnten. Korsakows Ted war für ihn ein
Sieg; er ist aus dieser Krise mit der Überzeugung hervorgegangen, seiner
Frau unbedingt sicher zu sein; er treibt jetzt das Hochgefühl dieses
Triumphes, das Gefühl seiner Überlegenheit auf die Spitze: „ihm ist seine
Frau treu, obwohl er sogar wöchte, dass sie ihm untreu sein?! Und
doch war in seinem Sieg etwas vom Stachel einer Niederlage; Genia
war ja „leider“ nicht Korsakow’s Gelicbte; sie ist ihrem Mann treu
geblieben — nicht um seinetwillen, sondern weil sie einfach nicht anders
konnte. Er rächt sich nun, indem er ihr Opfer zurückstösst.
Wir haben jetzt aufgezeigt, was diese Szene des zweiten Akts
mit dem Vorausgegangenen verbindet, aber wir glauben nicht, ihren Ge¬
halt dadurch erschöpft zu haben. Wenn Hofreiter Genia sagt, sie sei ihm
unheimlich, so ist ihm das nicht nur ein Mittel des Triumphs und der
Rache; sie ist ihm wirklich unheimlich geworden. Die Grösse des Opfers,
das sie gebracht hat, lässt sich ja nicht wegleugnen. Und dieses Opfer
scheint darauf hinzudrängen, dass in ihrem Verhältnis etwas anders werden
muss; es gibt Genia ein neues Recht auf ihn, sie ist sich dieses Neuen
zwischen sich und ihrem Manne bewusst und wartet mit schüchterner
Zuversicht auf das Kommende. Dass Hofreiter sich diesem Anspruch
entziehen will, dass er ihm unbequem ist, hätte nichts Rätselhaftes. Dass
ihm seine Frau dadurch unheimlich wird, gibt zu denken. Unheimlich
ist, was man fürchtet. Bei dem Manne, der den Frauen anscheinend mit
solcher Sicherheit und Überlegenheit gegenübertritt („Obacht geben!“
eines seiner Lieblingsworte zu Frauen), bricht also in dem ersten Momente,
wo eine Frau in der Lage zu sein scheint, ihn unter ihren Einfluss zu
bringen, die Furcht vor der Frau hervor. Wir entdecken da in seinem
Verhalten zur Frau dieselbe Zwiespältigkeit, die wir in seinem ganzen
Wesen schon gefunden haben: auch hier ist die Sicherheit und Sieghaftig¬
keit dem Boden der Unsicherheit entsprossen. Wieder sehen wir uns auf
bekanntem Terrain. Unsere psvchologischen Forschungen haben uns ja
die ungeheure Bedentung dieser Furcht vor der Frau ermessen gelehrt.
Wir lernen hier auch ein neues Moment kennen, das ihn zu Erna treibt.
Er flüchtet sich in das Abenteuer, um dem, was er als Angriff seiner
Frau empfindet, zu entgehen. Und wir können jetzt auch besser verstehen,
warum er bei der Episode mit Erna so auffallend rasch Schluss zu
machen trachtet; auch sie hat ein grosses Opfer gebracht, auch sie könnte
Ansprüche erheben, auch hier beherrscht ihn die Furcht, unter die Herr¬
schaft der Frau zu geraten. So gelangen wir in unserem speziellen Fall zu
einer Erklärung, die sich auch allgemein für den Don Juan- und Casanova¬
Typus aufstellen lässt. Die fundamentale psvchische Unsicherheit ist es,
die zur immer wiederholten sexuellen Aggression treibt, weil das Individuum
dieses Beweises seiner Männlichkeit bedarf; die Furcht, unter die Herr¬
schaft der Frau zu geraten, ist es, die ihn von der kaum Eroberten wieder
wegtreibt. Der erste Zug ist beim Don Juan-Typus, der zweite beim
Casanova-Typus mehr ausgeprägt.
So wie Hofreiters Charakter jetzt vor uns liegt, hat sein Verhalten
bei Genia’s Untreue nichts Rätselhaftes mehr für uns. Unverständlich
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Millen weh zu tun, sondern
roberungslust positive Kräfte
Keir bis jetzt auf Hofreiters
sind. Aber da er sich hier
die meisten Rätsel aufgibt,
er darüber klar zu werden,
triebe ihn leiten. Jetzt wird
knpunkt das Dramas zurecht
Verhältnis zu seiner Frau
ut: keines soll dem andern
stillschweigenden Voraus¬
n Gebrauch machen werde.
ibt gebunden und hat nicht
Aber nicht nur in diesem
t; auch über die Erziehung
den kleinsten Details des
ich und sie ist gewohnt,
leichgültigkeit gegen die
Jenia sehr genau. Sie
vor hatte, was eine
kann.“ (S. 24).
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ja schliesslich
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Schnitzler’s Tragikomödie „Das weite Land“.
37
anderer etwas wegnimmt. Aber auch bei dieser scheinbar so bizarren
Wendung Genia gegenüber finden wir die Einheit des Charakters völlig
gewahrt. Von zwei Seiten her ist diese Szene nur die konsequente Weiter¬
führung des im ersten Akte Angebahnten. Korsakows Ted war für ihn ein
Sieg; er ist aus dieser Krise mit der Überzeugung hervorgegangen, seiner
Frau unbedingt sicher zu sein; er treibt jetzt das Hochgefühl dieses
Triumphes, das Gefühl seiner Überlegenheit auf die Spitze: „ihm ist seine
Frau treu, obwohl er sogar wöchte, dass sie ihm untreu sein?! Und
doch war in seinem Sieg etwas vom Stachel einer Niederlage; Genia
war ja „leider“ nicht Korsakow’s Gelicbte; sie ist ihrem Mann treu
geblieben — nicht um seinetwillen, sondern weil sie einfach nicht anders
konnte. Er rächt sich nun, indem er ihr Opfer zurückstösst.
Wir haben jetzt aufgezeigt, was diese Szene des zweiten Akts
mit dem Vorausgegangenen verbindet, aber wir glauben nicht, ihren Ge¬
halt dadurch erschöpft zu haben. Wenn Hofreiter Genia sagt, sie sei ihm
unheimlich, so ist ihm das nicht nur ein Mittel des Triumphs und der
Rache; sie ist ihm wirklich unheimlich geworden. Die Grösse des Opfers,
das sie gebracht hat, lässt sich ja nicht wegleugnen. Und dieses Opfer
scheint darauf hinzudrängen, dass in ihrem Verhältnis etwas anders werden
muss; es gibt Genia ein neues Recht auf ihn, sie ist sich dieses Neuen
zwischen sich und ihrem Manne bewusst und wartet mit schüchterner
Zuversicht auf das Kommende. Dass Hofreiter sich diesem Anspruch
entziehen will, dass er ihm unbequem ist, hätte nichts Rätselhaftes. Dass
ihm seine Frau dadurch unheimlich wird, gibt zu denken. Unheimlich
ist, was man fürchtet. Bei dem Manne, der den Frauen anscheinend mit
solcher Sicherheit und Überlegenheit gegenübertritt („Obacht geben!“
eines seiner Lieblingsworte zu Frauen), bricht also in dem ersten Momente,
wo eine Frau in der Lage zu sein scheint, ihn unter ihren Einfluss zu
bringen, die Furcht vor der Frau hervor. Wir entdecken da in seinem
Verhalten zur Frau dieselbe Zwiespältigkeit, die wir in seinem ganzen
Wesen schon gefunden haben: auch hier ist die Sicherheit und Sieghaftig¬
keit dem Boden der Unsicherheit entsprossen. Wieder sehen wir uns auf
bekanntem Terrain. Unsere psvchologischen Forschungen haben uns ja
die ungeheure Bedentung dieser Furcht vor der Frau ermessen gelehrt.
Wir lernen hier auch ein neues Moment kennen, das ihn zu Erna treibt.
Er flüchtet sich in das Abenteuer, um dem, was er als Angriff seiner
Frau empfindet, zu entgehen. Und wir können jetzt auch besser verstehen,
warum er bei der Episode mit Erna so auffallend rasch Schluss zu
machen trachtet; auch sie hat ein grosses Opfer gebracht, auch sie könnte
Ansprüche erheben, auch hier beherrscht ihn die Furcht, unter die Herr¬
schaft der Frau zu geraten. So gelangen wir in unserem speziellen Fall zu
einer Erklärung, die sich auch allgemein für den Don Juan- und Casanova¬
Typus aufstellen lässt. Die fundamentale psvchische Unsicherheit ist es,
die zur immer wiederholten sexuellen Aggression treibt, weil das Individuum
dieses Beweises seiner Männlichkeit bedarf; die Furcht, unter die Herr¬
schaft der Frau zu geraten, ist es, die ihn von der kaum Eroberten wieder
wegtreibt. Der erste Zug ist beim Don Juan-Typus, der zweite beim
Casanova-Typus mehr ausgeprägt.
So wie Hofreiters Charakter jetzt vor uns liegt, hat sein Verhalten
bei Genia’s Untreue nichts Rätselhaftes mehr für uns. Unverständlich
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