II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 824

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Land
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issen Sie noch? Das keiner eindringe. Du hast mich in England erziehen übertönt, wie das dünne Klirren einer alten Spieldose.
hit Madame! Natter
aber was red' ich, lassen, damit ich der Größe des Erdballs nur ja gewachsen Aber sie kommt wieder, glaube mir — schöner hoffent¬
sei — und nun ist kein Fußbreit Boden für uns lich, von mehr Menschlichkeit kontrapunktiert, aber
esenmitgift gegeben.
gegangen und hat Jüngere mehr da. Ihr hattet es leicht. Ihr habt ge= einmal werden spätere Generationen wissen, daß auch
stöhnt, wenn ihr zuviel arbeiten mußtet. Wir stöhnen, wir zu etwas gut waren.“
aurig für eine alte
weil wir nicht mehr arbeiten dürfen.“
an mehr dabei ver¬
„Du sprichst von einem engen Lande.... Da fiel
„So ähnlich spricht Mama auch,“ sagte Percy,
t. Grüß Gott, grüß
mir das Wort eines längst verstorbenen Freundes ein:
sich erhebend. „Aber Onkel Mauer sagt es anders. Er
Sie einmal Bridge¬
Die Seele ist ein weites Land....“
kennt euch besser — er als Arzt sah in die Tiefe. Ich
muß jetzt heim. Ich bin unruhig seinetwegen.“
„Möglich, aber wer kann sich heute um die Seele
Doch, indem sein
kümmern, wo der Körper das Nötige nicht mehr hat?
Hofreiter fühlte einen leisen Schmerz in der Herz¬
ßbilligend: Was hat
gegend, wie immer, wenn er sah, wie sein Sohn an
Ich habe mich heute noch sattgegessen, werde ich
nausgewachsen und es morgen können? Ich esse das Brot eines alten
seinem Pflegevater hing. Meinetwegen würde er sich
in einem englischen Mannes mit versagendem Herzen und weiß nicht,
weniger grämen! dachte er. Er erhob sich gleichfalls
ns hat was andres woher ich es für ihn und meine Mutter schaffe, wenn
und legte ein unverhältnismäßig großes Trinkgeld
en, da war man in
auf den Tisch.
er zusammenbricht. Meine Freunde sind andre Wege
kem Sohn die Hand
Dieses Trinkgeld trug Schuld, daß er auf die
gegangen — du würdest sie kaum mehr als Gentlemen
Wo bleibt Onkel
Elektrische verzichtete. Er ging langsam, kein Mensch
bezeichnen. Konnte sie jemand daran hindern? Gibt
beachtete ihn, er konnte sich so müde und gebückt halten,
es noch Selbstachtung, wenn man von einer Stelle zur
en.“ sagte Perch.
wie es ihm Erleichterung schuf. Nie versäumte er an
andern läuft und hört: Bedaure nichts frei, Sie sind
„Und Onkel Mauer
solchen Tagen, den Weg durch jenes schöne Garten¬
sozusagen überflüssig auf der Welt, junger Mann!“
3 wir sind recht
viertel zu nehmen, das ihm einst Heimat gewesen war.
„Schweig', Percy!“ bat Hofreiter gequält.
Viele Villen hatten seither ihren Besitzer gewechselt,
„Ihr habt wenigstens eure Jugend genossen, aber aber sie standen hochmütig und unberührt. Er blickte
te, Briefträger und
wir? Immer das Gespenst des Unterganges vor uns,
fühlte, wie es in
zu einem Hause in der Sternwartestraße empor:
immer die Furcht: Wirst du dich im Lebenskampf be= brannte dort Licht, so schien es ihm, als gingen Strahlen
hat wohl viel zu
haupten? Die Welt von heute ist euer Werk, Vater.
von Verstehen und Vergebung auf ihn nieder. Aber
Ihr hättet sie vielleicht ändern können, aber ihr war't
nun lag es seit langem im Dunkel...
sich heute noch einen
blind, als die große Stunde kam!“
rKrankenkasse. Es
Die Schuldfrage! dachte er. Kriegsschuldfrage —
„Wann war eigentlich die große Stunde, kannst
nd meine Arbeits¬
Lebensschuldfrage. Auch zu Percy wird einmal sein
du mir das sagen, mein Sohn?“ fragte Hofreiter.
Sohn kommen und sagen: „Ihr, Vater, seid an allem
„Keine Generation hört den Ruf der Zukunft zur
rechten Zeit.“
du wärst bei der
Schuld! Nie wäre es mit uns so weit gekommen ohne
eure Sünden! Auch Percy wird zu hören bekommen,
„Ihr dachtet zu eng. Du sprachst vorhin von einem daß seine Seele verengt war von eigenen Sorgen und
weiten Land. Aber keine Vorstellung von einem er die der kommenden nicht erfaßte. Kommt einmal
lie Beamten wurden
Dereinst von neuen Begriffen und Umwälzungen die Zeit, wo die Grenzmauern fallen, die um jedes
nen?“
hatte Platz in eurem wunderbar weiten Land, das auf Land, um jeden Menschen gelegt sind? Wo die Weite
sseit sechs Monaten
einer Seite von einem Schlafzimmer, auf der andern
von einem Tennisplatz begrenzt war!“
sich wieder auftut und es Menschen gibt, die sie zu
u sagen, du hättest
nützen verstehen?
immer, ich würde
„Sprich nicht so!“ sagte Hofreiter gepeinigt.
Er war aus dem Duft des schönen Viertels wieder
sche und suche und
Was weißt denn du? Ihr seid eng geworden, ihr auf die lärmende Straße getreten. Sie gab keine Ant¬

Jungen, nicht durch eure Schuld ich weiß es — aber wort auf seine Fragen, denn Straße ist Gegenwart und
über die karge Lebensnotdurft blickt ihr nicht hinaus, weiß von Zukunft nichts. Die weißen Bogenlampen
und die tausend Dinge, die in uns vibrierten, die schienen sich vor seinen müden Augen in blitzenden
knen!“ sagte Percy leugnet ihr ab. Und doch ist jeder Rest von Kultur, der Firnenschnee zu verwandeln, aus dem rote Dolomit¬
n engen Lande, die noch in und um euch lebt, ein Ueberbleibsel aus unsrer zacken ragten. Weit..., dachte er. Sehr weit.... Ich
rn und jedes ist mit Zeit. Das weißt du nicht, mein Kind, und kannst es bin müde. Morgen ist ein harter Arbeitstag — treppauf,
etzen und Verord=nicht verstehen. Unmoralisch, egoistisch und leichtfertig,
treppab. Ich möchte heim....
lede Unternehmung, wie wir waren — wir hatten, was ihr nicht habt: die
Eine ausdruckslose, kahle, lehmige Gasse, die enge
sine mittelalterliche Melodie. Wir haben sie irgendwo in der Welt hinter= Gasse der Armut, nahm den ehemaligen Fabrikanten
sezogen hat, damit lassen, und heute klingt sie, vom Schrei nach Brot Friedrich Hofreiter auf.