II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 836

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eine Fahrt ins Dunkle, von der Lüge in die Lüge ge¬
trieben
nur schade, daß all das nicht dramatisch
ist. Es ist ein gewaltiger Irrtum unserer Dichter zu
glauben, daß sie das Groteske oder — wie sie es oft
nennen — Tragikomische, das darin besteht, daß der
Mensch scheint, was er nicht ist, und unter der Geißel
des Augenblicks tut, was er nicht will, einfach zum
Lebensnerv des Dramas machen können. Auf der
Bühne muß aus seinen eigenen Gedanken und Hand¬
lungen (die deshalb für den Zuschauer eindeutig und
logisch sein müssen durch sich selber oder durch die Ge¬
danken und Handlungen anderer Personen) ein Charakter
erwachsen, der in sich abgerundet ist, dessen Lebens¬
äußerungen so mannigfaltig sein können, wie es der
enge Raum der Bühne zuläßt, von dem ich aber eine
so feste Vorstellung gewinne, daß mir seine Handlungen
durch sein Wesen erklärlich erscheinen. Der Novellist
dagegen zeichnet weniger plastisch; er kann uns selbst
mit wenigen Worten sagen, wie geartet seine Personen
sein sollen, und wir glauben es ihm; mit ebenso wenigen
Worten kann er uns Wandlungen im Geiste seiner
Personen oder Aberraschungen in ihren Handlungen
bringen. Dem Dramatiker wird es nicht leicht, einen
Othello in Eifersucht zu hetzen; der Novellist braucht
uns kurz zu sagen: ein Schurke verstand, seine Eifersucht
zu erwecken, — und niemand wird Zweifel daran hegen.
Dagegen hat der Novellist andere Verpflichtungen: wir
stehen seinen Personen nicht so Auge in Auge gegen¬
über, wir glauben ihnen nicht gleich, daß sie Menschen
von Fleisch und Blut sind, und der Dichter muß eine
Anmenge kleiner und kleinster Züge zusammentragen; die
Art der Schilderung übt hier den Neiz aus, das Milieu,
in dem sich die Personen bewegen. Deshalb mag es
eine naturalistische, idealistische usw. Epik geben, je nach¬
dem der Epiker objektiv, subjektiv usw. ist, für die
Dramatik taugt nur der Realismus, der weder photo¬
graphiert, noch phantasiert, sondern folgerichtig entwickelt.
Der Dramatiker muß die Seelenkräfte des Menschen in
ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit kennen, sie sind die
Bausteine, aus denen er in geheimnisvoller Gesetzmäßig¬
keit seinen Bau schafft: den Charakter, und alles, was
nicht diesem letzten Ziele dient, ist im Drama minder¬
wertig. Zwar heißt Drama Handlung, wie alle
ledernen Dramaturgen in ihren poetischen Handwerks¬
lehren betonen, dennoch ist eine Handlung an sich
d. h., wenn sie nicht von den Charakteren getragen
wird — etwas Zufälliges, Erklügeltes und deshalb etwas
Vergängliches (man denke an die Myriaden von farb¬
losen Liebes= und Ebedramen); wahre Kunst ist jedoch
unvergänglich, da sie der Mensch selbst in seiner Seelen¬
blöße ist; aus den Zufälligkeiten, aus dem Erklügelten
der Handlung muß sich erst das Höchste loslösen, an
das der Dichter sein Herzblut verschwendet hat: der
Charakter. — Ansere Dramatiker (mit geringen Aus¬
nahmen) sind wenig geeignet für das Drama höheren
Stils — vielleicht, weil ihnen das Herzblut fehlt,
vielleicht, weil ihre Weltanschauung die Schaffenskraft
lähmt. Fragen wir uns: Warum sind uns Shakespeare,
Molière, Goethe usw. und selbst der von der modernen
Generation so sehr verhöhnte Schiller noch lebendig, so
können wir nur antworten: sie haben Charaktere ge¬
schaffen.
Arthur Schnitzler hat in seiner Tragikomödie weder
dramatische Handlung noch dramatische Charaktere. Erst