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Moments, für die nicht er, sondern seine Natur ver¬
antwortlich ist. And Frau Genia, die um ihren Gatten
Angst hat, „Angst wie um einen Sohn — einen ziemlich
erwachsenen, der sich in zweifelhafte Abenteuer einläßt“.
Frau Genia ist gleicher Meinung: „And wer sagt
Ihnen, lieber Doktor, daß Friedrich nicht bezahlt? Muß
es denn gerade in gleicher Münze sein? Er bezahlt
schon — in seiner Weise! Es geht ihm wirklich nicht
so gut, wie Sie glauben. Auch nicht so gut, wie er
selber manchmal glaubt. Zuweilen tut er mir geradezu
leid. Wirklich, Doktor, manchmal denk ich, es ist ein
Dämon, der ihn so treibt.“ Das Bild Hofreiters
sei zunächst noch durch eine Schilderung seines Außeren
ergänzt. Er ist „schlank, nicht sehr groß, schmales, feines
Gesicht, dunkler Schnurrbart, englisch gestutzt; blondes
grau meliertes, rechts gescheiteltes Haar. Er trägt
Zwicker ohne Band, den er manchmal abnimmt; geht
etwas nach vorn gebeugt. Kleine, ein wenig zusammen¬
gekniffene Augen. Liebenswürdige weiche, beinahe weich¬
liche Art zu reden, die manchmal ins ironisch Bissige
umschlägt. Seine Bewegungen sind geschmeidig, aber
verraten Energie. Er ist mit Eleganz, ganz ohne Gecken¬
haftigkeit gekleidet.“
Ein Freund Hofreiters, der Nusse Alexei Korsakow,
hat sich erschossen, niemand weiß recht, warum. Er hat
noch am Tage vorher mit seinen Freunden soupiert und
mit Hofreiter besonders Billard gespielt, und dann hat
er sich erschossen: als Hofreiters Diener am Morgen
nach dem Souper mit verwetteten Zigarren zu Korsakow
kam, fand er die Tür verschlossen. Vielleicht war es
gekränkter Ehrgeiz, wie einige meinen; er bekam nämlich
immer zu hören, er könne nur Chopin spielen und
13
Schumann, — aber keinen Beethoven und keinen Bach.
Hofreiter hat nicht diese Vermutung; Korsakow war ihm
viel zu gescheit für solchen lächerlichen Ehrgeiz, viel zu
philosophisch dafür: „Die Klavierspielerei war ihm in
Wirklichkeit Nebensache. Habt ihr denn eine Ahnung,
für was alles er sich interessiert hat? Den Kant und
den Schopenhauer und den Nietzsche hat er im kleinen
Finger gehabt, und den Marx und Proudhon gleich¬
falls. Es war ja fabelhaft. Ich weiß schon, wen ich
mir aussuch zum konversieren... Und dabei täglich sechs
Stunden üben! Wo er nur die Zeit zu dem allen her¬
genommen hat? — And siebenundzwanzig Jahre! Und
bringt sich um. Herr Gott, was hat so ein Kerl noch
alles vor sich gehabt. Jung und berühmt, ganz hübsch
obendrein — und schießt sich tot. Wenn das ein alter
Esel tut, dem das Leben nichts mehr bieten kann . ..“
Diese Worte haben wahrlich nichts Besonderes an sich;
so spricht mancher, nicht nur ein Hofreiter. Und dennoch
erscheinen sie plötzlich in ganz andrer Beleuchtung, wenn
man erfährt, daß — Hofreiter der Mörder Korsakows
ist. Wir erfahren das erst ganz zum Schluß, beiläufig,
aus einer Zeitungsnotiz; es wird uns nicht bestimmt
gesagt, wir dürfen es aber mit vollem Recht folgern.
Korsakow war in Frau Genia Hofreiter verliebt, und
der reizbare Gatte forderte ihn — ganz im geheimen —
auf ein amerikanisches Duell, das mit Billardkugeln aus¬
getragen wurde. And wenn wir dies wissen, dann er¬
scheinen uns die Worte Hofreiters in einem ganz andern
Lichte; dann tun wir einen Blick in die diabolisch=eifer¬
süchtige Seele dieses Mannes; dann erst verstehen wir
andere Beziebungen und wir begreifen, daß ein ge¬
wisser Dr. Bernhaupt, der vor sieben Jahren dicht neben
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Moments, für die nicht er, sondern seine Natur ver¬
antwortlich ist. And Frau Genia, die um ihren Gatten
Angst hat, „Angst wie um einen Sohn — einen ziemlich
erwachsenen, der sich in zweifelhafte Abenteuer einläßt“.
Frau Genia ist gleicher Meinung: „And wer sagt
Ihnen, lieber Doktor, daß Friedrich nicht bezahlt? Muß
es denn gerade in gleicher Münze sein? Er bezahlt
schon — in seiner Weise! Es geht ihm wirklich nicht
so gut, wie Sie glauben. Auch nicht so gut, wie er
selber manchmal glaubt. Zuweilen tut er mir geradezu
leid. Wirklich, Doktor, manchmal denk ich, es ist ein
Dämon, der ihn so treibt.“ Das Bild Hofreiters
sei zunächst noch durch eine Schilderung seines Außeren
ergänzt. Er ist „schlank, nicht sehr groß, schmales, feines
Gesicht, dunkler Schnurrbart, englisch gestutzt; blondes
grau meliertes, rechts gescheiteltes Haar. Er trägt
Zwicker ohne Band, den er manchmal abnimmt; geht
etwas nach vorn gebeugt. Kleine, ein wenig zusammen¬
gekniffene Augen. Liebenswürdige weiche, beinahe weich¬
liche Art zu reden, die manchmal ins ironisch Bissige
umschlägt. Seine Bewegungen sind geschmeidig, aber
verraten Energie. Er ist mit Eleganz, ganz ohne Gecken¬
haftigkeit gekleidet.“
Ein Freund Hofreiters, der Nusse Alexei Korsakow,
hat sich erschossen, niemand weiß recht, warum. Er hat
noch am Tage vorher mit seinen Freunden soupiert und
mit Hofreiter besonders Billard gespielt, und dann hat
er sich erschossen: als Hofreiters Diener am Morgen
nach dem Souper mit verwetteten Zigarren zu Korsakow
kam, fand er die Tür verschlossen. Vielleicht war es
gekränkter Ehrgeiz, wie einige meinen; er bekam nämlich
immer zu hören, er könne nur Chopin spielen und
13
Schumann, — aber keinen Beethoven und keinen Bach.
Hofreiter hat nicht diese Vermutung; Korsakow war ihm
viel zu gescheit für solchen lächerlichen Ehrgeiz, viel zu
philosophisch dafür: „Die Klavierspielerei war ihm in
Wirklichkeit Nebensache. Habt ihr denn eine Ahnung,
für was alles er sich interessiert hat? Den Kant und
den Schopenhauer und den Nietzsche hat er im kleinen
Finger gehabt, und den Marx und Proudhon gleich¬
falls. Es war ja fabelhaft. Ich weiß schon, wen ich
mir aussuch zum konversieren... Und dabei täglich sechs
Stunden üben! Wo er nur die Zeit zu dem allen her¬
genommen hat? — And siebenundzwanzig Jahre! Und
bringt sich um. Herr Gott, was hat so ein Kerl noch
alles vor sich gehabt. Jung und berühmt, ganz hübsch
obendrein — und schießt sich tot. Wenn das ein alter
Esel tut, dem das Leben nichts mehr bieten kann . ..“
Diese Worte haben wahrlich nichts Besonderes an sich;
so spricht mancher, nicht nur ein Hofreiter. Und dennoch
erscheinen sie plötzlich in ganz andrer Beleuchtung, wenn
man erfährt, daß — Hofreiter der Mörder Korsakows
ist. Wir erfahren das erst ganz zum Schluß, beiläufig,
aus einer Zeitungsnotiz; es wird uns nicht bestimmt
gesagt, wir dürfen es aber mit vollem Recht folgern.
Korsakow war in Frau Genia Hofreiter verliebt, und
der reizbare Gatte forderte ihn — ganz im geheimen —
auf ein amerikanisches Duell, das mit Billardkugeln aus¬
getragen wurde. And wenn wir dies wissen, dann er¬
scheinen uns die Worte Hofreiters in einem ganz andern
Lichte; dann tun wir einen Blick in die diabolisch=eifer¬
süchtige Seele dieses Mannes; dann erst verstehen wir
andere Beziebungen und wir begreifen, daß ein ge¬
wisser Dr. Bernhaupt, der vor sieben Jahren dicht neben